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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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an, der in dem Namen "Banausen" seinen Ausdruck fand. Dieser Ausdruck be¬
zeichnete zunächst einen am Kamin arbeitenden Handwerker, wurde aber später
in verächtlichem Sinn auch auf alle diejenigen angewendet, welche durch irgend
eine Thätigkeit sich ihren Unterhalt zu verschaffen suchten und zwar begriff
man hierunter etwa nicht nur solche mit, deren Gewerbszweig der Kunst nahe
stand, sondern auch Lehrer, Advokaten, Aerzte, Maler und Bildhauer,
wenn sie sich für ihre Kunst bezahlen ließen. So sehr sich unser Gefühl
gegen eine solche Auffassung sträuben mag, so begegnen wir ihr doch nicht
nur bei Philosophen und Historikern einer mehr aristocratischen Parteirich¬
tung, sondern so ziemlich bei allem, was uns einen Schluß aus griechische
Denkweise machen läßt.

Aus dieser Anschauung heraus haben wir die Worte des Macedoniers
Philipp zu verstehn, mit denen er seinen großen Sohn Alexander schalt, als
er beim Zitherspiel eine gewisse Virtuosität an den Tag gelegt hatte: "Schämst
Du Dich nicht, ^so schön zu spielen? es ist Ehre genug für die Musen, wenn
ein König sich die Muße nimmt, anderer Spiel zu lauschen" -- eine Ansicht,
die wohl am schärfsten Lucian ausspricht, wenn er die Wissenschaft zu einem
Jünglinge über die Wahl seines künftigen Lebensberufs reden läßt: "Würdest
Du auch ein Phidias oder Polyklet und erzeugtest Du Wunderwerke der
Kunst, so würden zwar alle Deine Kunst loben, kein Verständiger aber
würde wünschen, Dir gleich zu sein. Denn wie groß Du auch in Deiner
Kunst sein möchtest, Du bliebest immer ein Banause, ein Handwerker und
Lohnarbeiter."

Wir wollen vorläufig nur bemerken, daß die Sitte, den Sclaven einen
großen Theil der eigentlichen Handarbeit zu übertragen, im griechischen
Alterthum die Beschäftigung des Handwerkers als eine des freien Mannes
mehr oder minder unwürdige erscheinen ließ, daß aber auch die Sprache
keinen Unterschied zwischen Handwerk und Kunst machte und auf diese Weise
Anschauungen, wie den eben bezeichneten, Eingang gewährte. Freilich würden
Wir weit fehlgreifen, wollten wir annehmen, es sei jegliche Art von gewerb¬
licher oder künstlerischer Thätigkeit nur in den Händen der Unfreien oder
Halbfreien gewesen. Es hat vielmehr das griechische Alterthum ebensogut
wie wir freie Arbeiter und Fabrikanten gekannt, nur war die Stellung der¬
selben, je nach den Bedingungen, unter denen sie existirten, verschieden. Es
ist in dieser Frage von äußerster Wichtigkeit, Ort und Zeit streng zu schei¬
den, da die Verhältnisse sich in Seestaaten durchaus anders gestalteten als in
Binnenländern, anders unter democratischer Verfassung, als unter aristocra-
tischer, anders bei der Blüthe des Staatslebens als beim Verfall. Wir ver¬
suchen im Folgenden eine Darstellung der Arbeits- und Fabrikverhältnisse
im athenischen Staat.


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an, der in dem Namen „Banausen" seinen Ausdruck fand. Dieser Ausdruck be¬
zeichnete zunächst einen am Kamin arbeitenden Handwerker, wurde aber später
in verächtlichem Sinn auch auf alle diejenigen angewendet, welche durch irgend
eine Thätigkeit sich ihren Unterhalt zu verschaffen suchten und zwar begriff
man hierunter etwa nicht nur solche mit, deren Gewerbszweig der Kunst nahe
stand, sondern auch Lehrer, Advokaten, Aerzte, Maler und Bildhauer,
wenn sie sich für ihre Kunst bezahlen ließen. So sehr sich unser Gefühl
gegen eine solche Auffassung sträuben mag, so begegnen wir ihr doch nicht
nur bei Philosophen und Historikern einer mehr aristocratischen Parteirich¬
tung, sondern so ziemlich bei allem, was uns einen Schluß aus griechische
Denkweise machen läßt.

Aus dieser Anschauung heraus haben wir die Worte des Macedoniers
Philipp zu verstehn, mit denen er seinen großen Sohn Alexander schalt, als
er beim Zitherspiel eine gewisse Virtuosität an den Tag gelegt hatte: „Schämst
Du Dich nicht, ^so schön zu spielen? es ist Ehre genug für die Musen, wenn
ein König sich die Muße nimmt, anderer Spiel zu lauschen" — eine Ansicht,
die wohl am schärfsten Lucian ausspricht, wenn er die Wissenschaft zu einem
Jünglinge über die Wahl seines künftigen Lebensberufs reden läßt: „Würdest
Du auch ein Phidias oder Polyklet und erzeugtest Du Wunderwerke der
Kunst, so würden zwar alle Deine Kunst loben, kein Verständiger aber
würde wünschen, Dir gleich zu sein. Denn wie groß Du auch in Deiner
Kunst sein möchtest, Du bliebest immer ein Banause, ein Handwerker und
Lohnarbeiter."

Wir wollen vorläufig nur bemerken, daß die Sitte, den Sclaven einen
großen Theil der eigentlichen Handarbeit zu übertragen, im griechischen
Alterthum die Beschäftigung des Handwerkers als eine des freien Mannes
mehr oder minder unwürdige erscheinen ließ, daß aber auch die Sprache
keinen Unterschied zwischen Handwerk und Kunst machte und auf diese Weise
Anschauungen, wie den eben bezeichneten, Eingang gewährte. Freilich würden
Wir weit fehlgreifen, wollten wir annehmen, es sei jegliche Art von gewerb¬
licher oder künstlerischer Thätigkeit nur in den Händen der Unfreien oder
Halbfreien gewesen. Es hat vielmehr das griechische Alterthum ebensogut
wie wir freie Arbeiter und Fabrikanten gekannt, nur war die Stellung der¬
selben, je nach den Bedingungen, unter denen sie existirten, verschieden. Es
ist in dieser Frage von äußerster Wichtigkeit, Ort und Zeit streng zu schei¬
den, da die Verhältnisse sich in Seestaaten durchaus anders gestalteten als in
Binnenländern, anders unter democratischer Verfassung, als unter aristocra-
tischer, anders bei der Blüthe des Staatslebens als beim Verfall. Wir ver¬
suchen im Folgenden eine Darstellung der Arbeits- und Fabrikverhältnisse
im athenischen Staat.


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[0375] an, der in dem Namen „Banausen" seinen Ausdruck fand. Dieser Ausdruck be¬ zeichnete zunächst einen am Kamin arbeitenden Handwerker, wurde aber später in verächtlichem Sinn auch auf alle diejenigen angewendet, welche durch irgend eine Thätigkeit sich ihren Unterhalt zu verschaffen suchten und zwar begriff man hierunter etwa nicht nur solche mit, deren Gewerbszweig der Kunst nahe stand, sondern auch Lehrer, Advokaten, Aerzte, Maler und Bildhauer, wenn sie sich für ihre Kunst bezahlen ließen. So sehr sich unser Gefühl gegen eine solche Auffassung sträuben mag, so begegnen wir ihr doch nicht nur bei Philosophen und Historikern einer mehr aristocratischen Parteirich¬ tung, sondern so ziemlich bei allem, was uns einen Schluß aus griechische Denkweise machen läßt. Aus dieser Anschauung heraus haben wir die Worte des Macedoniers Philipp zu verstehn, mit denen er seinen großen Sohn Alexander schalt, als er beim Zitherspiel eine gewisse Virtuosität an den Tag gelegt hatte: „Schämst Du Dich nicht, ^so schön zu spielen? es ist Ehre genug für die Musen, wenn ein König sich die Muße nimmt, anderer Spiel zu lauschen" — eine Ansicht, die wohl am schärfsten Lucian ausspricht, wenn er die Wissenschaft zu einem Jünglinge über die Wahl seines künftigen Lebensberufs reden läßt: „Würdest Du auch ein Phidias oder Polyklet und erzeugtest Du Wunderwerke der Kunst, so würden zwar alle Deine Kunst loben, kein Verständiger aber würde wünschen, Dir gleich zu sein. Denn wie groß Du auch in Deiner Kunst sein möchtest, Du bliebest immer ein Banause, ein Handwerker und Lohnarbeiter." Wir wollen vorläufig nur bemerken, daß die Sitte, den Sclaven einen großen Theil der eigentlichen Handarbeit zu übertragen, im griechischen Alterthum die Beschäftigung des Handwerkers als eine des freien Mannes mehr oder minder unwürdige erscheinen ließ, daß aber auch die Sprache keinen Unterschied zwischen Handwerk und Kunst machte und auf diese Weise Anschauungen, wie den eben bezeichneten, Eingang gewährte. Freilich würden Wir weit fehlgreifen, wollten wir annehmen, es sei jegliche Art von gewerb¬ licher oder künstlerischer Thätigkeit nur in den Händen der Unfreien oder Halbfreien gewesen. Es hat vielmehr das griechische Alterthum ebensogut wie wir freie Arbeiter und Fabrikanten gekannt, nur war die Stellung der¬ selben, je nach den Bedingungen, unter denen sie existirten, verschieden. Es ist in dieser Frage von äußerster Wichtigkeit, Ort und Zeit streng zu schei¬ den, da die Verhältnisse sich in Seestaaten durchaus anders gestalteten als in Binnenländern, anders unter democratischer Verfassung, als unter aristocra- tischer, anders bei der Blüthe des Staatslebens als beim Verfall. Wir ver¬ suchen im Folgenden eine Darstellung der Arbeits- und Fabrikverhältnisse im athenischen Staat. 47*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/375>, abgerufen am 15.01.2025.