Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band."arbeitenden Bestandtheils", die Legislative ist unter dem Titel gewählt, Es ist von höchstem Interesse und für eine tiefere Erfassung der Be¬ „arbeitenden Bestandtheils", die Legislative ist unter dem Titel gewählt, Es ist von höchstem Interesse und für eine tiefere Erfassung der Be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0368" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117900"/> <p xml:id="ID_1157" prev="#ID_1156"> „arbeitenden Bestandtheils", die Legislative ist unter dem Titel gewählt,<lb/> Gesetze zu geben, in Wirklichkeit findet sie aber ihre Beschäftigung darin,<lb/> eine Exeeutivgewalt herzustellen und aufrecht zu erhalten — von diesem Fun¬<lb/> damentalsatz hat alle Kritik des englischen parlamentarischen Systems aus¬<lb/> zugehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1158" next="#ID_1159"> Es ist von höchstem Interesse und für eine tiefere Erfassung der Be¬<lb/> dingungen der parlamentarischen Regierungsform fast unerläßlich, Ver¬<lb/> gleichungspunkte zwischen den rivalisirenden Systemen Englands und Ame¬<lb/> rikas aufzusuchen und die Unterschiede festzustellen. Bei einer solchen Vergleichung<lb/> wird der monarchische Charakter der englischen Staatsform außer Acht ge¬<lb/> lassen werden können. Wenn es wahr ist, daß England eine „verkleidete<lb/> Republik" ist, so sind die Analogien mit dem republikanischen Amerika von<lb/> selbst gegeben. Wir haben schon oben auf eine derartige Analogie verwiesen:<lb/> beide Staaten haben einen gewählten ersten Beamten, Amerika den Präsi¬<lb/> denten, England den Premierminister. -Aber diese Analogie wird freilich von<lb/> viel größeren Unterschieden wieder ausgehoben und zu Nichte gemacht. Denn<lb/> gerade das Hauptmerkmal der englisch-parlamentarischen Negierung, die Ver¬<lb/> schmelzung der legislativen und executiven Gewalt, existirt in Amerika nicht<lb/> und sollte auch nach der Ansicht der Gründer der amerikanischen Constitution<lb/> nicht existiren. Vielmehr ist die Unabhängigkeit beider Gewalten von einan¬<lb/> der schon dadurch festgestellt, daß der Präsident durch das Volk auf eine an¬<lb/> dere Weise gewählt wird wie die Volksvertretung. Es ist schwer, ganz kurz<lb/> und präcise anzugeben, worin das Bedenken gegen die Wahlmethode des<lb/> ersten Beamten, wie sie in Amerika üblich, besteht. Gleichwohl liegt die<lb/> Mangelhaftigkeit des Systems uns bei den Wahlvorgängen selbst offen zu<lb/> Tage. Was Washington und Hamilton zu erschaffen strebten, war ein<lb/> Wahlcollegium der auserlesensten Männer der Nation, in Wahrheit ist der<lb/> Wahlmann in-Amerika aber im voraus verpflichtet, seinen Zettel für Mr.<lb/> X. oder Mr. A. abzugeben, die wählende Versammlung ist die Nation selbst<lb/> und diese ist fast immer eine sehr schlechte Wahlversammlung. Die Wahl¬<lb/> umtriebe, durch welche in Amerika fast jede Präsidentenwahl zu Stande<lb/> kommt, sind zu bekannt, um einer Beschreibung zu bedürfen. Was in Ame¬<lb/> rika das Wahlcollegium, ist in England, soweit die Wahl des ersten Beam¬<lb/> ten in Betracht kommt, das Haus der Gemeinen. Aber die ganze Stellung<lb/> dieser Körperschaft ist eine total andere. Sie hat wichtige Functionen, die<lb/> ununterbrochen fortgehen, sie wacht von einem Tag zum anderen, gibt Ge¬<lb/> setze, setzt Ministerien ab und andere wieder ein — während das Wahlcolle¬<lb/> gium in den Vereinigten Staaten auseinandergeht, wenn es seinen Candida-<lb/> ten gewählt hat. Wie groß die hier zu berücksichtigenden Unterschiede sind,<lb/> lehrt die Geschichte jedes Parlaments. Auch das Parlament von 1857 war,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0368]
„arbeitenden Bestandtheils", die Legislative ist unter dem Titel gewählt,
Gesetze zu geben, in Wirklichkeit findet sie aber ihre Beschäftigung darin,
eine Exeeutivgewalt herzustellen und aufrecht zu erhalten — von diesem Fun¬
damentalsatz hat alle Kritik des englischen parlamentarischen Systems aus¬
zugehen.
Es ist von höchstem Interesse und für eine tiefere Erfassung der Be¬
dingungen der parlamentarischen Regierungsform fast unerläßlich, Ver¬
gleichungspunkte zwischen den rivalisirenden Systemen Englands und Ame¬
rikas aufzusuchen und die Unterschiede festzustellen. Bei einer solchen Vergleichung
wird der monarchische Charakter der englischen Staatsform außer Acht ge¬
lassen werden können. Wenn es wahr ist, daß England eine „verkleidete
Republik" ist, so sind die Analogien mit dem republikanischen Amerika von
selbst gegeben. Wir haben schon oben auf eine derartige Analogie verwiesen:
beide Staaten haben einen gewählten ersten Beamten, Amerika den Präsi¬
denten, England den Premierminister. -Aber diese Analogie wird freilich von
viel größeren Unterschieden wieder ausgehoben und zu Nichte gemacht. Denn
gerade das Hauptmerkmal der englisch-parlamentarischen Negierung, die Ver¬
schmelzung der legislativen und executiven Gewalt, existirt in Amerika nicht
und sollte auch nach der Ansicht der Gründer der amerikanischen Constitution
nicht existiren. Vielmehr ist die Unabhängigkeit beider Gewalten von einan¬
der schon dadurch festgestellt, daß der Präsident durch das Volk auf eine an¬
dere Weise gewählt wird wie die Volksvertretung. Es ist schwer, ganz kurz
und präcise anzugeben, worin das Bedenken gegen die Wahlmethode des
ersten Beamten, wie sie in Amerika üblich, besteht. Gleichwohl liegt die
Mangelhaftigkeit des Systems uns bei den Wahlvorgängen selbst offen zu
Tage. Was Washington und Hamilton zu erschaffen strebten, war ein
Wahlcollegium der auserlesensten Männer der Nation, in Wahrheit ist der
Wahlmann in-Amerika aber im voraus verpflichtet, seinen Zettel für Mr.
X. oder Mr. A. abzugeben, die wählende Versammlung ist die Nation selbst
und diese ist fast immer eine sehr schlechte Wahlversammlung. Die Wahl¬
umtriebe, durch welche in Amerika fast jede Präsidentenwahl zu Stande
kommt, sind zu bekannt, um einer Beschreibung zu bedürfen. Was in Ame¬
rika das Wahlcollegium, ist in England, soweit die Wahl des ersten Beam¬
ten in Betracht kommt, das Haus der Gemeinen. Aber die ganze Stellung
dieser Körperschaft ist eine total andere. Sie hat wichtige Functionen, die
ununterbrochen fortgehen, sie wacht von einem Tag zum anderen, gibt Ge¬
setze, setzt Ministerien ab und andere wieder ein — während das Wahlcolle¬
gium in den Vereinigten Staaten auseinandergeht, wenn es seinen Candida-
ten gewählt hat. Wie groß die hier zu berücksichtigenden Unterschiede sind,
lehrt die Geschichte jedes Parlaments. Auch das Parlament von 1857 war,
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