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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Das bedeutungsvollste politische Ergebniß der Session ist die Klärung
der Ansichten in Betreff des weiteren nationalen Fortschritts. Was v. Ben-
nigsen in der Adreßdebatre zur Ueberraschung Vieler als die Auffassung seiner
Partei hinstellte: daß der Augenblick zu neuen Eroberungen der nationalen
Idee durchaus ungeeignet erscheine, das hat in der großen Debatte des
18. Mai Laster nicht allein ausdrücklich als Parteiansicht bekräftigt, sondern
erweitert zu förmlicher Perhorrescirung des Weges, auf welchem bisher der
weitere Fortgang der Einheitsbestrebungen vorzugsweise gesucht wurde, nem-
lich der CompetenzerweiterMg des Zollparlaments. Es muß jetzt als ein
integrirender Bestandtheil des Programms der norddeutschen Nationallibe¬
ralen angesehen werden, daß, was von Ausdehnungen der nationalen Staats¬
einheit über den Main hinaus jeweilig reif erscheint, vor sich gehen soll in
der Form des Anschlusses an die Organe des norddeutschen Bundes. Von
der Gemeinsamkeit eines einzelnen Rechtsgebietes bis zu völligem und vorbe¬
haltlosem Eintritt soll fortan alles auf diese Bahn geleitet werden. Die
Meinung des Grafen Bismarck scheint darauf schon länger hinaufgelaufen zu
sein. Es entspricht seinem staatsmännischen Geprägesowohlals seiner Stellung,
den Bund mit einheitlicher Executive dem Bunde ohne eine solche vorzuziehen.

Damit ist nicht nothwendig gesagt, daß die Competenz des Zollparlaments
nun ein für allemal begrenzt und'abgeschlossen wäre. Wenn z. B. in der
nächsten Session die große Mehrzahl der Süddeutschen, die bairischen Minister
voran, das Verlangen stellen sollte, die Regelung der Münzverhältnisse in
den Kreis des Zollbundes aufzunehmen, so wird voraussichtlich weder Graf
Bismarck noch die nationalliberale Partei sie auf das Mittel des Anschlusses
an den norddeutschen Bund für diesen einen Zweck verweisen. Es käme ja
auch ziemlich auf dasselbe hinaus. Der prinzipielle Verzicht der tonangeben¬
den norddeutschen Kreise auf Erweiterung der Zollparlamentscompetenz neu-
tralisirt nur gewissermaßen diese wichtige Institution, befreit sie für gewöhn¬
liche Zeiten und die nächste Zukunft von dem Drucke entgegengesetzter poli¬
tischer Tendenzen, stärkt also ihre berufsmäßige Wirksamkeit, Befähigung und
Macht. Auf der anderen Seite ist dadurch ein bequemes Pförtchen aufge¬
than, um solche süddeutsche Interessen, welche nicht auf den Tag der Voll¬
endung warten können und wollen, bei Zeiten in aller Unbefangenheit
einzulassen.

Ein zweites politisches Resultat der Session ist die Annäherung der pa¬
triotischen Parteien an einander. Als am 18. Mai der Rückschlag gegen
den 7. eintrat, befanden sich die eingefleischter Particularisten in einer
geradezu erdrückenden Vereinsamung, die sie nach Volks herrlicher Rede das
Wort gar nicht mehr nehmen ließ/ Wie das auf Seiten der nationalgesinn¬
ten Mehrheit nachwirkte, sah man auf dem Börsenfest am 21. Mai. Da
suchte Graf Bismark mit Vorliebe seine alten Gegner Löwe, Waldeck und
Duncker auf. Und auf Tivoli Tags daraus, wo die berliner Bevölkerung
den Süddeutschen ihr Fest gab. kamen nur echt nationale Klänge zur Gel¬
tung, kein Widerhall des früheren Fraternisirens zwischen berliner und stutt-
garier Radicalen in einer eigens dazu angesetzten Volksversammlung. Selbst
der alte Waldeck gab sich da als deutschen, nicht als preußischen Patrioten.
Seine Tivolirede war in dieser Hinsicht das vollständige Seitenstück zu Wa¬
geners Parlamentsrede am 18. Mai. Der persönliche Umgang mit Süd¬
deutschen aller Schattirungen, das Zusammensein mit ihnen in einem natio¬
nalen Parlament, so kurze Zeit es auch dauerte, hat für sie doch die Wirkung
eines Cursus in nationaler" Politik gehabt. Sie erscheinen jetzt sammt und
sonders ein wenig nationalliberal angelaufen. Sie erkennen schweigend an,


Das bedeutungsvollste politische Ergebniß der Session ist die Klärung
der Ansichten in Betreff des weiteren nationalen Fortschritts. Was v. Ben-
nigsen in der Adreßdebatre zur Ueberraschung Vieler als die Auffassung seiner
Partei hinstellte: daß der Augenblick zu neuen Eroberungen der nationalen
Idee durchaus ungeeignet erscheine, das hat in der großen Debatte des
18. Mai Laster nicht allein ausdrücklich als Parteiansicht bekräftigt, sondern
erweitert zu förmlicher Perhorrescirung des Weges, auf welchem bisher der
weitere Fortgang der Einheitsbestrebungen vorzugsweise gesucht wurde, nem-
lich der CompetenzerweiterMg des Zollparlaments. Es muß jetzt als ein
integrirender Bestandtheil des Programms der norddeutschen Nationallibe¬
ralen angesehen werden, daß, was von Ausdehnungen der nationalen Staats¬
einheit über den Main hinaus jeweilig reif erscheint, vor sich gehen soll in
der Form des Anschlusses an die Organe des norddeutschen Bundes. Von
der Gemeinsamkeit eines einzelnen Rechtsgebietes bis zu völligem und vorbe¬
haltlosem Eintritt soll fortan alles auf diese Bahn geleitet werden. Die
Meinung des Grafen Bismarck scheint darauf schon länger hinaufgelaufen zu
sein. Es entspricht seinem staatsmännischen Geprägesowohlals seiner Stellung,
den Bund mit einheitlicher Executive dem Bunde ohne eine solche vorzuziehen.

Damit ist nicht nothwendig gesagt, daß die Competenz des Zollparlaments
nun ein für allemal begrenzt und'abgeschlossen wäre. Wenn z. B. in der
nächsten Session die große Mehrzahl der Süddeutschen, die bairischen Minister
voran, das Verlangen stellen sollte, die Regelung der Münzverhältnisse in
den Kreis des Zollbundes aufzunehmen, so wird voraussichtlich weder Graf
Bismarck noch die nationalliberale Partei sie auf das Mittel des Anschlusses
an den norddeutschen Bund für diesen einen Zweck verweisen. Es käme ja
auch ziemlich auf dasselbe hinaus. Der prinzipielle Verzicht der tonangeben¬
den norddeutschen Kreise auf Erweiterung der Zollparlamentscompetenz neu-
tralisirt nur gewissermaßen diese wichtige Institution, befreit sie für gewöhn¬
liche Zeiten und die nächste Zukunft von dem Drucke entgegengesetzter poli¬
tischer Tendenzen, stärkt also ihre berufsmäßige Wirksamkeit, Befähigung und
Macht. Auf der anderen Seite ist dadurch ein bequemes Pförtchen aufge¬
than, um solche süddeutsche Interessen, welche nicht auf den Tag der Voll¬
endung warten können und wollen, bei Zeiten in aller Unbefangenheit
einzulassen.

Ein zweites politisches Resultat der Session ist die Annäherung der pa¬
triotischen Parteien an einander. Als am 18. Mai der Rückschlag gegen
den 7. eintrat, befanden sich die eingefleischter Particularisten in einer
geradezu erdrückenden Vereinsamung, die sie nach Volks herrlicher Rede das
Wort gar nicht mehr nehmen ließ/ Wie das auf Seiten der nationalgesinn¬
ten Mehrheit nachwirkte, sah man auf dem Börsenfest am 21. Mai. Da
suchte Graf Bismark mit Vorliebe seine alten Gegner Löwe, Waldeck und
Duncker auf. Und auf Tivoli Tags daraus, wo die berliner Bevölkerung
den Süddeutschen ihr Fest gab. kamen nur echt nationale Klänge zur Gel¬
tung, kein Widerhall des früheren Fraternisirens zwischen berliner und stutt-
garier Radicalen in einer eigens dazu angesetzten Volksversammlung. Selbst
der alte Waldeck gab sich da als deutschen, nicht als preußischen Patrioten.
Seine Tivolirede war in dieser Hinsicht das vollständige Seitenstück zu Wa¬
geners Parlamentsrede am 18. Mai. Der persönliche Umgang mit Süd¬
deutschen aller Schattirungen, das Zusammensein mit ihnen in einem natio¬
nalen Parlament, so kurze Zeit es auch dauerte, hat für sie doch die Wirkung
eines Cursus in nationaler" Politik gehabt. Sie erscheinen jetzt sammt und
sonders ein wenig nationalliberal angelaufen. Sie erkennen schweigend an,


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[0363] Das bedeutungsvollste politische Ergebniß der Session ist die Klärung der Ansichten in Betreff des weiteren nationalen Fortschritts. Was v. Ben- nigsen in der Adreßdebatre zur Ueberraschung Vieler als die Auffassung seiner Partei hinstellte: daß der Augenblick zu neuen Eroberungen der nationalen Idee durchaus ungeeignet erscheine, das hat in der großen Debatte des 18. Mai Laster nicht allein ausdrücklich als Parteiansicht bekräftigt, sondern erweitert zu förmlicher Perhorrescirung des Weges, auf welchem bisher der weitere Fortgang der Einheitsbestrebungen vorzugsweise gesucht wurde, nem- lich der CompetenzerweiterMg des Zollparlaments. Es muß jetzt als ein integrirender Bestandtheil des Programms der norddeutschen Nationallibe¬ ralen angesehen werden, daß, was von Ausdehnungen der nationalen Staats¬ einheit über den Main hinaus jeweilig reif erscheint, vor sich gehen soll in der Form des Anschlusses an die Organe des norddeutschen Bundes. Von der Gemeinsamkeit eines einzelnen Rechtsgebietes bis zu völligem und vorbe¬ haltlosem Eintritt soll fortan alles auf diese Bahn geleitet werden. Die Meinung des Grafen Bismarck scheint darauf schon länger hinaufgelaufen zu sein. Es entspricht seinem staatsmännischen Geprägesowohlals seiner Stellung, den Bund mit einheitlicher Executive dem Bunde ohne eine solche vorzuziehen. Damit ist nicht nothwendig gesagt, daß die Competenz des Zollparlaments nun ein für allemal begrenzt und'abgeschlossen wäre. Wenn z. B. in der nächsten Session die große Mehrzahl der Süddeutschen, die bairischen Minister voran, das Verlangen stellen sollte, die Regelung der Münzverhältnisse in den Kreis des Zollbundes aufzunehmen, so wird voraussichtlich weder Graf Bismarck noch die nationalliberale Partei sie auf das Mittel des Anschlusses an den norddeutschen Bund für diesen einen Zweck verweisen. Es käme ja auch ziemlich auf dasselbe hinaus. Der prinzipielle Verzicht der tonangeben¬ den norddeutschen Kreise auf Erweiterung der Zollparlamentscompetenz neu- tralisirt nur gewissermaßen diese wichtige Institution, befreit sie für gewöhn¬ liche Zeiten und die nächste Zukunft von dem Drucke entgegengesetzter poli¬ tischer Tendenzen, stärkt also ihre berufsmäßige Wirksamkeit, Befähigung und Macht. Auf der anderen Seite ist dadurch ein bequemes Pförtchen aufge¬ than, um solche süddeutsche Interessen, welche nicht auf den Tag der Voll¬ endung warten können und wollen, bei Zeiten in aller Unbefangenheit einzulassen. Ein zweites politisches Resultat der Session ist die Annäherung der pa¬ triotischen Parteien an einander. Als am 18. Mai der Rückschlag gegen den 7. eintrat, befanden sich die eingefleischter Particularisten in einer geradezu erdrückenden Vereinsamung, die sie nach Volks herrlicher Rede das Wort gar nicht mehr nehmen ließ/ Wie das auf Seiten der nationalgesinn¬ ten Mehrheit nachwirkte, sah man auf dem Börsenfest am 21. Mai. Da suchte Graf Bismark mit Vorliebe seine alten Gegner Löwe, Waldeck und Duncker auf. Und auf Tivoli Tags daraus, wo die berliner Bevölkerung den Süddeutschen ihr Fest gab. kamen nur echt nationale Klänge zur Gel¬ tung, kein Widerhall des früheren Fraternisirens zwischen berliner und stutt- garier Radicalen in einer eigens dazu angesetzten Volksversammlung. Selbst der alte Waldeck gab sich da als deutschen, nicht als preußischen Patrioten. Seine Tivolirede war in dieser Hinsicht das vollständige Seitenstück zu Wa¬ geners Parlamentsrede am 18. Mai. Der persönliche Umgang mit Süd¬ deutschen aller Schattirungen, das Zusammensein mit ihnen in einem natio¬ nalen Parlament, so kurze Zeit es auch dauerte, hat für sie doch die Wirkung eines Cursus in nationaler" Politik gehabt. Sie erscheinen jetzt sammt und sonders ein wenig nationalliberal angelaufen. Sie erkennen schweigend an,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/363>, abgerufen am 15.01.2025.