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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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hinaus vorgeschlagen wurde, bedeutete, nachdem die Aufhebung des Reiszolls
schon im Bundesrath abgelehnt worden war, mehr eine allerdings wünschens-
werthe Vereinfachung des Tarifs im allgemeinen, als daß es irgend eine
hervorragende Einzelreform geboten hätte. Die gänzliche Aufhebung des Roh¬
eisenzolls und Ermäßigung der übrigen Eisenzölle, welche von den Seestädten,
zumal von Ostpreußen her, so beweglich verlangt wird, erfuhr im Par¬
lament den Einspruch des bairischen Handelsministers und fiel auch mit der
Ablehnung der beiden Deckungsvorschläge von selbst zu Boden. Anträge
auf Abschaffung des letzten noch bestehenden Ausfuhrzolls, desjenigen auf
Lumpen, ferner auf Herabsetzung des Cigarrenzolls, des Baumwollenzolls
und der Zuckerzölle, in denen meist die hanseatischen Mitglieder zu großem
Aerger Moritz Mohl's ihre berechtigte Ansicht von dem Besten der Gesammtheit
niederlegten, dienten gewissermaßen nur, künftigen Berathungen ein Ziel auf¬
zustecken, der ferneren Agitation der Interessen und Doctrinen einen Stoff
zu gewähren. Auf praktischen Erfolg konnten sie um so weniger rechnen, als
der Bundesrath ohne finanzielle Deckung nicht einmal die Tarisreformvorlage
aufrecht erhalten wollte.

Muß man darum die Session der Unfruchtbarkeit anklagen, das Zoll¬
parlament wohl gar für eine ungeeignete Geburtsstätte großer wirthschaftlicher
Reformen verschreien? Im Vergleich zu seiner Vorgängerin im Amte, der
alten Generalconferenz, wird es auch nach dieser etwas mager ausgefallenen
Session immer noch für clam rüstigen Arbeiter gelten können. Der Handels¬
vertrag mit Oestreich -- nächst dem deutsch-französischen von 1862/65 bei
Weitem der wichtigste unserer auswärtigen Verträge -- ist soviel schneller
durch die Klippen der Ratifikation hindurchgesteuert worden; das Zollver¬
fahren ist Verbesserungen unterzogen worden, an die man sich während des
früheren Zustandes der Dinge kaum wagte, und doch werden sie jetzt nur
als Abschlagszahlung hingenommen für eine noch viel gründlichere Reform,
über deren Richtung und hauptsächliche Grundsätze man sich bereits derart
verständigt hat, daß ihr Zustandekommen in der nächsten Session keinem
Zweifel unterliegt. In dieser Reform aber, so unscheinbar sie ist und so sehr
sie des Vortheils entbehrt, Gegensätze hervorzurufen, Leidenschaften zu erregen,
und dadurch das Interesse des großen Publicums zu spannen, liegt doch
recht eigentlich der Beweis für die Vortrefflichkeit der neuen Institutionen,
gerade wie ihre praktitsche Unmöglichkeit unter der Herrschaft der alten diese
am härtesten verurtheilte. Noch in einer anderen Beziehung hat sich der
Werth des Zollparlamentes und einer öffentlichen Verhandlungsstätte ge¬
zeigt, als der Mißbrauch der französischen titrss ä'aoquit -- ü, caution
zu Ausfuhrprämien für Eisenfabrikate zur Sprache kam. Die Tribüne
einer gesammtoeutschen Vertretung gab da eine weit bessere Gelegenheit als


hinaus vorgeschlagen wurde, bedeutete, nachdem die Aufhebung des Reiszolls
schon im Bundesrath abgelehnt worden war, mehr eine allerdings wünschens-
werthe Vereinfachung des Tarifs im allgemeinen, als daß es irgend eine
hervorragende Einzelreform geboten hätte. Die gänzliche Aufhebung des Roh¬
eisenzolls und Ermäßigung der übrigen Eisenzölle, welche von den Seestädten,
zumal von Ostpreußen her, so beweglich verlangt wird, erfuhr im Par¬
lament den Einspruch des bairischen Handelsministers und fiel auch mit der
Ablehnung der beiden Deckungsvorschläge von selbst zu Boden. Anträge
auf Abschaffung des letzten noch bestehenden Ausfuhrzolls, desjenigen auf
Lumpen, ferner auf Herabsetzung des Cigarrenzolls, des Baumwollenzolls
und der Zuckerzölle, in denen meist die hanseatischen Mitglieder zu großem
Aerger Moritz Mohl's ihre berechtigte Ansicht von dem Besten der Gesammtheit
niederlegten, dienten gewissermaßen nur, künftigen Berathungen ein Ziel auf¬
zustecken, der ferneren Agitation der Interessen und Doctrinen einen Stoff
zu gewähren. Auf praktischen Erfolg konnten sie um so weniger rechnen, als
der Bundesrath ohne finanzielle Deckung nicht einmal die Tarisreformvorlage
aufrecht erhalten wollte.

Muß man darum die Session der Unfruchtbarkeit anklagen, das Zoll¬
parlament wohl gar für eine ungeeignete Geburtsstätte großer wirthschaftlicher
Reformen verschreien? Im Vergleich zu seiner Vorgängerin im Amte, der
alten Generalconferenz, wird es auch nach dieser etwas mager ausgefallenen
Session immer noch für clam rüstigen Arbeiter gelten können. Der Handels¬
vertrag mit Oestreich — nächst dem deutsch-französischen von 1862/65 bei
Weitem der wichtigste unserer auswärtigen Verträge — ist soviel schneller
durch die Klippen der Ratifikation hindurchgesteuert worden; das Zollver¬
fahren ist Verbesserungen unterzogen worden, an die man sich während des
früheren Zustandes der Dinge kaum wagte, und doch werden sie jetzt nur
als Abschlagszahlung hingenommen für eine noch viel gründlichere Reform,
über deren Richtung und hauptsächliche Grundsätze man sich bereits derart
verständigt hat, daß ihr Zustandekommen in der nächsten Session keinem
Zweifel unterliegt. In dieser Reform aber, so unscheinbar sie ist und so sehr
sie des Vortheils entbehrt, Gegensätze hervorzurufen, Leidenschaften zu erregen,
und dadurch das Interesse des großen Publicums zu spannen, liegt doch
recht eigentlich der Beweis für die Vortrefflichkeit der neuen Institutionen,
gerade wie ihre praktitsche Unmöglichkeit unter der Herrschaft der alten diese
am härtesten verurtheilte. Noch in einer anderen Beziehung hat sich der
Werth des Zollparlamentes und einer öffentlichen Verhandlungsstätte ge¬
zeigt, als der Mißbrauch der französischen titrss ä'aoquit — ü, caution
zu Ausfuhrprämien für Eisenfabrikate zur Sprache kam. Die Tribüne
einer gesammtoeutschen Vertretung gab da eine weit bessere Gelegenheit als


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[0361] hinaus vorgeschlagen wurde, bedeutete, nachdem die Aufhebung des Reiszolls schon im Bundesrath abgelehnt worden war, mehr eine allerdings wünschens- werthe Vereinfachung des Tarifs im allgemeinen, als daß es irgend eine hervorragende Einzelreform geboten hätte. Die gänzliche Aufhebung des Roh¬ eisenzolls und Ermäßigung der übrigen Eisenzölle, welche von den Seestädten, zumal von Ostpreußen her, so beweglich verlangt wird, erfuhr im Par¬ lament den Einspruch des bairischen Handelsministers und fiel auch mit der Ablehnung der beiden Deckungsvorschläge von selbst zu Boden. Anträge auf Abschaffung des letzten noch bestehenden Ausfuhrzolls, desjenigen auf Lumpen, ferner auf Herabsetzung des Cigarrenzolls, des Baumwollenzolls und der Zuckerzölle, in denen meist die hanseatischen Mitglieder zu großem Aerger Moritz Mohl's ihre berechtigte Ansicht von dem Besten der Gesammtheit niederlegten, dienten gewissermaßen nur, künftigen Berathungen ein Ziel auf¬ zustecken, der ferneren Agitation der Interessen und Doctrinen einen Stoff zu gewähren. Auf praktischen Erfolg konnten sie um so weniger rechnen, als der Bundesrath ohne finanzielle Deckung nicht einmal die Tarisreformvorlage aufrecht erhalten wollte. Muß man darum die Session der Unfruchtbarkeit anklagen, das Zoll¬ parlament wohl gar für eine ungeeignete Geburtsstätte großer wirthschaftlicher Reformen verschreien? Im Vergleich zu seiner Vorgängerin im Amte, der alten Generalconferenz, wird es auch nach dieser etwas mager ausgefallenen Session immer noch für clam rüstigen Arbeiter gelten können. Der Handels¬ vertrag mit Oestreich — nächst dem deutsch-französischen von 1862/65 bei Weitem der wichtigste unserer auswärtigen Verträge — ist soviel schneller durch die Klippen der Ratifikation hindurchgesteuert worden; das Zollver¬ fahren ist Verbesserungen unterzogen worden, an die man sich während des früheren Zustandes der Dinge kaum wagte, und doch werden sie jetzt nur als Abschlagszahlung hingenommen für eine noch viel gründlichere Reform, über deren Richtung und hauptsächliche Grundsätze man sich bereits derart verständigt hat, daß ihr Zustandekommen in der nächsten Session keinem Zweifel unterliegt. In dieser Reform aber, so unscheinbar sie ist und so sehr sie des Vortheils entbehrt, Gegensätze hervorzurufen, Leidenschaften zu erregen, und dadurch das Interesse des großen Publicums zu spannen, liegt doch recht eigentlich der Beweis für die Vortrefflichkeit der neuen Institutionen, gerade wie ihre praktitsche Unmöglichkeit unter der Herrschaft der alten diese am härtesten verurtheilte. Noch in einer anderen Beziehung hat sich der Werth des Zollparlamentes und einer öffentlichen Verhandlungsstätte ge¬ zeigt, als der Mißbrauch der französischen titrss ä'aoquit — ü, caution zu Ausfuhrprämien für Eisenfabrikate zur Sprache kam. Die Tribüne einer gesammtoeutschen Vertretung gab da eine weit bessere Gelegenheit als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/361>, abgerufen am 15.01.2025.