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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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gewesen sein werde, darauf möchte man fast ohne weiteres schwören. Unter
diesen Umständen ergibt sich die Forderung von selbst: der norddeutsche Bund
muß seinen eigenen Finanzminister erhalten und dieser auch im Zollverein
das große Wort führen. Die Theilung der Initiative zwischen zwei einander
gleichgesetzte Behörden lahmt alle Entwickelung. Wenn die oberste Bundes¬
behörde die deutsche Handelspolitik leiten soll, muß sie auch in der Haupt¬
sache unabhängig sein in der Wahl der Punkte, wo sie den Steuerzügel je¬
weils nachlassen oder stärker anziehen will. Sonst kommt in die Reform des
Zolltarifs weder System noch Consequenz. Es konnte Nicht den Eindruck
zweckmäßiger und gerechter Vertheilung der Rollen machen, wenn man Herrn
von der Heydt ruhig unter den Abgeordneten sitzen sah, während zuerst
Herr Michaelis für zwölf Thaler Tabakssteuer und dann Herr v. Delbrück
sür den Petroleumzoll zu einer im voraus dagegen eingenommenen Versamm¬
lung sprachen. Die zahlreichen Inconvenienzen dieses Verhältnisses werden
zum Glück auch im Schoße des preußischen Finanzministeriums gefühlt, und
allem Vermuthen nach ist der Tag nicht fern, welcher dem norddeutschen
Bunde seinen besonderen Finanzminister bescheren wird.

Bevor diese Einheit des schöpferischen Gedankens und Willens nicht her¬
gestellt ist, läßt sich über den finanziellen Werth oder Unwerth der neuen
Organisation kein endgiltiges Urtheil fällen. Möchte man freilich anerkennen,
daß sie in diesem Stücke das gerade Gegentheil der bureaucratisch-föderalistischen
Organisation sei, welche für die Finanzen der betheiligten Staaten allezeit
mehr besorgt war als für die Nationalwohlfahrt, wenn auch ohne deswegen
finanzielle Wunderdinge zu verrichten, so würde ihr damit die Bedeutung
eines höchst wirksamen politischen Werkzeugs zugesprochen sein. Jede neue
Session würde dann in zwei Richtungen gleichzeitig auf Concentration der natio¬
nalen Staatskräfte hinwirken: erstens durch die Erschwerung des finanziellen
Bestands der Kleinstaaten, denen Zolleinnahmen ohne angemessene Deckung
entzogen würden, während ihre directe Besteuetungsfähigkeit Meist schon
nahezu erschöpft ist; und zweitens durch das sämmtlichen Regierungen auf-
genöthigte Interesse an einer Competenzerweiterung, welche das Parlament
williger machen möchte, auch einmal dem Finanzminister etwas zuzuwenden.

Dieser Entwickelung der Dinge wird sich jedoch, falls die Prophezeiungen
der Freihändler Grund haben, eine andere hemmend in den Weg werfen:
die Steigerung der Einnahmen aus den ermäßigten Zöllen durch die Er¬
mäßigung, aus den übrig bleibenden Zöllen durch die gestrichenen. Für dies¬
mal hat die Tarifreform noch keine erheblichen Dimensionen angenommen.
Sie beschränkt sich auf die Oestreich gemachten Zugeständnisse, unter denen
die Herabsetzung des Roheisenzolls von 7'/-, auf 6 Silbergroschen und des
Leinengarnzolls von 2 auf V- Thaler die wichtigsten sind. Was darüber


gewesen sein werde, darauf möchte man fast ohne weiteres schwören. Unter
diesen Umständen ergibt sich die Forderung von selbst: der norddeutsche Bund
muß seinen eigenen Finanzminister erhalten und dieser auch im Zollverein
das große Wort führen. Die Theilung der Initiative zwischen zwei einander
gleichgesetzte Behörden lahmt alle Entwickelung. Wenn die oberste Bundes¬
behörde die deutsche Handelspolitik leiten soll, muß sie auch in der Haupt¬
sache unabhängig sein in der Wahl der Punkte, wo sie den Steuerzügel je¬
weils nachlassen oder stärker anziehen will. Sonst kommt in die Reform des
Zolltarifs weder System noch Consequenz. Es konnte Nicht den Eindruck
zweckmäßiger und gerechter Vertheilung der Rollen machen, wenn man Herrn
von der Heydt ruhig unter den Abgeordneten sitzen sah, während zuerst
Herr Michaelis für zwölf Thaler Tabakssteuer und dann Herr v. Delbrück
sür den Petroleumzoll zu einer im voraus dagegen eingenommenen Versamm¬
lung sprachen. Die zahlreichen Inconvenienzen dieses Verhältnisses werden
zum Glück auch im Schoße des preußischen Finanzministeriums gefühlt, und
allem Vermuthen nach ist der Tag nicht fern, welcher dem norddeutschen
Bunde seinen besonderen Finanzminister bescheren wird.

Bevor diese Einheit des schöpferischen Gedankens und Willens nicht her¬
gestellt ist, läßt sich über den finanziellen Werth oder Unwerth der neuen
Organisation kein endgiltiges Urtheil fällen. Möchte man freilich anerkennen,
daß sie in diesem Stücke das gerade Gegentheil der bureaucratisch-föderalistischen
Organisation sei, welche für die Finanzen der betheiligten Staaten allezeit
mehr besorgt war als für die Nationalwohlfahrt, wenn auch ohne deswegen
finanzielle Wunderdinge zu verrichten, so würde ihr damit die Bedeutung
eines höchst wirksamen politischen Werkzeugs zugesprochen sein. Jede neue
Session würde dann in zwei Richtungen gleichzeitig auf Concentration der natio¬
nalen Staatskräfte hinwirken: erstens durch die Erschwerung des finanziellen
Bestands der Kleinstaaten, denen Zolleinnahmen ohne angemessene Deckung
entzogen würden, während ihre directe Besteuetungsfähigkeit Meist schon
nahezu erschöpft ist; und zweitens durch das sämmtlichen Regierungen auf-
genöthigte Interesse an einer Competenzerweiterung, welche das Parlament
williger machen möchte, auch einmal dem Finanzminister etwas zuzuwenden.

Dieser Entwickelung der Dinge wird sich jedoch, falls die Prophezeiungen
der Freihändler Grund haben, eine andere hemmend in den Weg werfen:
die Steigerung der Einnahmen aus den ermäßigten Zöllen durch die Er¬
mäßigung, aus den übrig bleibenden Zöllen durch die gestrichenen. Für dies¬
mal hat die Tarifreform noch keine erheblichen Dimensionen angenommen.
Sie beschränkt sich auf die Oestreich gemachten Zugeständnisse, unter denen
die Herabsetzung des Roheisenzolls von 7'/-, auf 6 Silbergroschen und des
Leinengarnzolls von 2 auf V- Thaler die wichtigsten sind. Was darüber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/360>, abgerufen am 15.01.2025.