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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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aber er setzte in größte Gefahr eines Flankenangriffs durch General Falkenstein;
der Weg über Gotha war vom 23. bis 25. so gut wie offen, er war noch am
26. ohne große Anstrengungen zu forciren. Von Gotha aus führen drei
vortreffliche Heerstraßen über den Wald, leicht passirbar für jedes Geschütz;
das Waldgebirge ist in einem halben Tagemarsche von Gotha zu erreichen,
ein Verfolgen dort war mit schwachen Kräften fast hoffnungslos, ein Flanken¬
angriff von Eisenach aus sehr erschwert.

Man hatte plebe den Entschluß, einen von diesen beiden Wegen einzu¬
schlagen; wohl aber gab man sich der Illusion hin, daß die Baiern eine Kraft
entwickeln würden, die man selbst nicht hatte.

Von dieser Hoffnung aus lag es im Interesse des Königs von Hanno¬
ver, die Preußen hinzuhalten. Es lag ebenso im Interesse der Preußen, den
Marsch der Hannoveraner zu verzögern, bis die preußischen Streitkräfte in
entsprechender Macht herangekommen waren.

Aber das Verhalten der beiden Parteien war nicht dasselbe. Es war
allerdings unrichtig, daß man in Berlin am 23. Juni annahm, das Heer
der Hannoveraner sei bereits umstellt. Die preußischen Streitkräfte waren
wenigstens in Gotha völlig ungenügend, den Durchbruch zu verhindern.
Aber man verfuhr preußischerseits doch mit großer Mäßigkeit und Loyalität,
denn Oberst Döring trug noch am 26. Juni dem König von Hannover das
Angebot eines Offensiv- und Defensivbündnisses mit Garantie des hannöver-
schen Besitzstandes zu. Es war ein Antrag, den jeder Unparteiische für das
Aeußerste von Rücksicht erklären wird, welche nach dem Geschehenen noch
möglich war.

Wie verfuhr dagegen der König von Hannover? Sein Heer'hatte das Ge--
biet eines andern deutschen Bundesfürsten betreten, da schrieb er, er zuerst am
24. Juni an den Herzog von Gotha und erbat dessen Vermittelung. Nicht weil
er eine Verständigung mit Preußen wollte, sondern um die Energie der
preußischen Concentration aufzuhalten und Zeit zu gewinnen. Während sein
Bevollmächtigter, Major Jacobi noch in Gotha weilte, kam dort Nachricht an,
daß Vortruppen der Hannoveraner die Bahn zwischen Gotha und Eisenach
besetzt hätten und die Schienen aufrissen. Gerade als der Herzog von Gotha
auf den Wunsch des Fürsten, der mit einem Heere in sein Land gebro¬
chen war, einen Verständigungsversuch nach Berlin befördert hat, und sich
nach der erhaltenen Antwort des wahrscheinlichen Erfolges freut, wird ihm
berichtet, daß der Fürst, der seine Vermittelung gesucht hat, zu gleicher Zeit
ein Kriegsmittel anwendet, um Gotha von Eisenach zu isoliren Und das Her-
zogthum dadurch wehrlos zu machen. Daß solche Gewaltthat in diesem Augen¬
blicke nicht nur illoyal gegen den Vermittelnden, sondern auch nachtheilig für ein
Abkommen Hannovers mit Preußen war. lag aus der Hand, und der Herzog


aber er setzte in größte Gefahr eines Flankenangriffs durch General Falkenstein;
der Weg über Gotha war vom 23. bis 25. so gut wie offen, er war noch am
26. ohne große Anstrengungen zu forciren. Von Gotha aus führen drei
vortreffliche Heerstraßen über den Wald, leicht passirbar für jedes Geschütz;
das Waldgebirge ist in einem halben Tagemarsche von Gotha zu erreichen,
ein Verfolgen dort war mit schwachen Kräften fast hoffnungslos, ein Flanken¬
angriff von Eisenach aus sehr erschwert.

Man hatte plebe den Entschluß, einen von diesen beiden Wegen einzu¬
schlagen; wohl aber gab man sich der Illusion hin, daß die Baiern eine Kraft
entwickeln würden, die man selbst nicht hatte.

Von dieser Hoffnung aus lag es im Interesse des Königs von Hanno¬
ver, die Preußen hinzuhalten. Es lag ebenso im Interesse der Preußen, den
Marsch der Hannoveraner zu verzögern, bis die preußischen Streitkräfte in
entsprechender Macht herangekommen waren.

Aber das Verhalten der beiden Parteien war nicht dasselbe. Es war
allerdings unrichtig, daß man in Berlin am 23. Juni annahm, das Heer
der Hannoveraner sei bereits umstellt. Die preußischen Streitkräfte waren
wenigstens in Gotha völlig ungenügend, den Durchbruch zu verhindern.
Aber man verfuhr preußischerseits doch mit großer Mäßigkeit und Loyalität,
denn Oberst Döring trug noch am 26. Juni dem König von Hannover das
Angebot eines Offensiv- und Defensivbündnisses mit Garantie des hannöver-
schen Besitzstandes zu. Es war ein Antrag, den jeder Unparteiische für das
Aeußerste von Rücksicht erklären wird, welche nach dem Geschehenen noch
möglich war.

Wie verfuhr dagegen der König von Hannover? Sein Heer'hatte das Ge--
biet eines andern deutschen Bundesfürsten betreten, da schrieb er, er zuerst am
24. Juni an den Herzog von Gotha und erbat dessen Vermittelung. Nicht weil
er eine Verständigung mit Preußen wollte, sondern um die Energie der
preußischen Concentration aufzuhalten und Zeit zu gewinnen. Während sein
Bevollmächtigter, Major Jacobi noch in Gotha weilte, kam dort Nachricht an,
daß Vortruppen der Hannoveraner die Bahn zwischen Gotha und Eisenach
besetzt hätten und die Schienen aufrissen. Gerade als der Herzog von Gotha
auf den Wunsch des Fürsten, der mit einem Heere in sein Land gebro¬
chen war, einen Verständigungsversuch nach Berlin befördert hat, und sich
nach der erhaltenen Antwort des wahrscheinlichen Erfolges freut, wird ihm
berichtet, daß der Fürst, der seine Vermittelung gesucht hat, zu gleicher Zeit
ein Kriegsmittel anwendet, um Gotha von Eisenach zu isoliren Und das Her-
zogthum dadurch wehrlos zu machen. Daß solche Gewaltthat in diesem Augen¬
blicke nicht nur illoyal gegen den Vermittelnden, sondern auch nachtheilig für ein
Abkommen Hannovers mit Preußen war. lag aus der Hand, und der Herzog


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/36>, abgerufen am 15.01.2025.