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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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sehen, daß es ziemlich gleichgiltig erscheint, ob die Zahl der Compromit-
tirten um einen vermehrt oder vermindert wird. -- im gegenwärtigen
Augenblick sind Auseinandersetzungen über Chevaliers Betheiligung an
Börsenoperationen von zweifelhafter Moralität, aber sicher höchst unwill¬
kommen gewesen. Der genannte französische Volkswirth und Senator
ist bekanntlich der kaiserliche Rathgeber in öconomischen und finanz-poli-
tischen Fragen und steht in dieser Eigenschaft mit dem englisch-französt.
schen Handelsvertrage und den freihändlerischen Reformen des Kaisers
in engem Zusammenhang. Thiers, der in der Wahl seiner Angriffsobjecte
niemals besonders gewissenhaft gewesen ist und als französischer Liberaler alter
Schule an den Vorurtheilen des Protectionismus ebenso festhält, wie an der
Lehre von Frankreichs Verpflichtung zur Unterstützung der Kleinstaaterei,
hat im Bunde mit grollenden Fabrikanten einen Sturmlauf gegen das größte
Verdienst der kaiserlichen Regierung, die Adoption freihändlerischer Grund¬
sätze versucht. Die Gewohnheit, sich unbequemer Interpellationen auf ge¬
waltthätige Weise zu entledigen, ist der Majorität des Lorps I^islAtik so in
Fleisch und Blut übergegangen, daß dieselbe -- wie es heißt auf Anstiften
der Regierung -- das Kaiserthum um die Gelegenheit zu einem glänzenden
parlamentarischen Siege über den alten Doktrinär gebracht hat. dem nur die
Armuth an neueren Talenten dazu verhelfen konnte, in alten Tagen die Rolle
wieder aufzunehmen, welche schon vor zwanzig Jahren ausgespielt war.

In den abgelaufenen Monat fallen auch die Debatten des pariser Se-
nats über das neue, inzwischen in Kraft getretene Preßgesetz, das Gesetz über
das Versammlungsrecht und die clericalen Angriffe gegen die von Duruy
proclamirte Unterrichtsfreiheit. Der geistige Gehalt dieser Debatten ist zu
ärmlich, als daß die einzelnen Reden, welche dabei gehalten, übrigens in
Paris selbst immer nur>24 Stunden lang besprochen wurden, -- auch nur
der Aufzählung werth wären. Talent und unabhängige Gesinnung waren
höchstens bei den ultramontanen Heißspornen zu finden, gouvernementale
Liberale und gouvernementale Reactionäre suchten einander gegenseitig in
der Wiederholung von Phrasen zu übertreffen, die in dem alten Frankreich
auch für die Mres wiiwrum Mutina zu trivial gewesen wären. Die Aus-
gelebtheit und Schaalheit der übrigen im Senat vertretenen Parteien, läßt
es mehr wie begreiflich erscheinen, daß die Bedeutung der Clericalen täaHch
zunimmt und wir werden uris nicht wundern können, wenn dieselben auf der
Tribüne demnächst ebenso nachhaltige Wirkungen erzielen, wie bereits gegen¬
wärtig in der Presse. Was zu anderen Zeiten und unter anderen Verhältnissen in
Frankreich selbstverständlich gewesen wäre, daß Marschall Mac-Mahon gegen¬
über dem Erzbischof von Algier Recht behalten und durchgesetzt hat. daß die
algierischen Waisen, deren die Regierung sich angenommen, nicht zwangsweise


sehen, daß es ziemlich gleichgiltig erscheint, ob die Zahl der Compromit-
tirten um einen vermehrt oder vermindert wird. — im gegenwärtigen
Augenblick sind Auseinandersetzungen über Chevaliers Betheiligung an
Börsenoperationen von zweifelhafter Moralität, aber sicher höchst unwill¬
kommen gewesen. Der genannte französische Volkswirth und Senator
ist bekanntlich der kaiserliche Rathgeber in öconomischen und finanz-poli-
tischen Fragen und steht in dieser Eigenschaft mit dem englisch-französt.
schen Handelsvertrage und den freihändlerischen Reformen des Kaisers
in engem Zusammenhang. Thiers, der in der Wahl seiner Angriffsobjecte
niemals besonders gewissenhaft gewesen ist und als französischer Liberaler alter
Schule an den Vorurtheilen des Protectionismus ebenso festhält, wie an der
Lehre von Frankreichs Verpflichtung zur Unterstützung der Kleinstaaterei,
hat im Bunde mit grollenden Fabrikanten einen Sturmlauf gegen das größte
Verdienst der kaiserlichen Regierung, die Adoption freihändlerischer Grund¬
sätze versucht. Die Gewohnheit, sich unbequemer Interpellationen auf ge¬
waltthätige Weise zu entledigen, ist der Majorität des Lorps I^islAtik so in
Fleisch und Blut übergegangen, daß dieselbe — wie es heißt auf Anstiften
der Regierung — das Kaiserthum um die Gelegenheit zu einem glänzenden
parlamentarischen Siege über den alten Doktrinär gebracht hat. dem nur die
Armuth an neueren Talenten dazu verhelfen konnte, in alten Tagen die Rolle
wieder aufzunehmen, welche schon vor zwanzig Jahren ausgespielt war.

In den abgelaufenen Monat fallen auch die Debatten des pariser Se-
nats über das neue, inzwischen in Kraft getretene Preßgesetz, das Gesetz über
das Versammlungsrecht und die clericalen Angriffe gegen die von Duruy
proclamirte Unterrichtsfreiheit. Der geistige Gehalt dieser Debatten ist zu
ärmlich, als daß die einzelnen Reden, welche dabei gehalten, übrigens in
Paris selbst immer nur>24 Stunden lang besprochen wurden, — auch nur
der Aufzählung werth wären. Talent und unabhängige Gesinnung waren
höchstens bei den ultramontanen Heißspornen zu finden, gouvernementale
Liberale und gouvernementale Reactionäre suchten einander gegenseitig in
der Wiederholung von Phrasen zu übertreffen, die in dem alten Frankreich
auch für die Mres wiiwrum Mutina zu trivial gewesen wären. Die Aus-
gelebtheit und Schaalheit der übrigen im Senat vertretenen Parteien, läßt
es mehr wie begreiflich erscheinen, daß die Bedeutung der Clericalen täaHch
zunimmt und wir werden uris nicht wundern können, wenn dieselben auf der
Tribüne demnächst ebenso nachhaltige Wirkungen erzielen, wie bereits gegen¬
wärtig in der Presse. Was zu anderen Zeiten und unter anderen Verhältnissen in
Frankreich selbstverständlich gewesen wäre, daß Marschall Mac-Mahon gegen¬
über dem Erzbischof von Algier Recht behalten und durchgesetzt hat. daß die
algierischen Waisen, deren die Regierung sich angenommen, nicht zwangsweise


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/355>, abgerufen am 15.01.2025.