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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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wünschen; aus vielen guckt eine unerbittliche Dummheit. Häufig begegnet
man schönen Köpfen mit regelmäßigen Gesichtszügen und einem Ausdruck,
der mehr Kraft als Schönheit verspricht. Es ist möglich, daß, wie behauptet wird,
"die Jnn- und Puster- und Zillerthaler noch lustiger in die Welt schauen. Aber
wer denkt beim Anblick jener stattlichen Köpfe und hohen Gestalten nicht an
Ludw. Steub, der in seinen "drei Sommern in Tirol" so oft mit Vorliebe
daran erinnert, was der Tiroler in den altdeutschen Zeiten war und was
er wieder sein könnte! Das Stoff- und sinnreiche Buch ist vor ungefähr
zwanzig Jahren erschienen, aber zu den Capiteln über die clericale Volkser¬
ziehung liefert heute noch jeder Tag die wunderlichsten Illustrationen. Nicht
alle Priester sind Pfaffen. Der Berg- und Waldcurat hoch oben ist meist
ein gemüthlicher Mann, hat als Hausfreund und Nothhelfer seiner Nachbarn,
als Landwirth und Jäger viele schätzenswerthe Tugenden und nur gerade so
viel Mirakelglauben, als in einem Thal bei armen Hirten unentbehrlich ist;
in seinen jungen Jahren hatte er sogar ideale Anfluge, bis sie ihm von seinen
Bauern ausgetrieben wurden. Unter den besser gestellten Caplanen und
Pfarrern in den größeren Ortschaften möchten manche gern liberal sein, wenn
sie dürsten. Dann aber kommen die richtigen Schwarzen, die das Ländchen
mit Gewalt finster machen. Alles begünstigt ihre Herrschaft: die geringe-
Zahl und schwache Bevölkerung der Städte (Innsbruck und Trient mit je
14,000 Seelen sind die größten), die ungeheuer überwiegende Mehrheit des
Bauernstandes, und die klösterliche Abgeschiedenheit der vielen Seitenthäler-
Die tiroler Liberalen sind auch lange nicht so sanguinisch wie die lebens¬
lustigen Wiener, die ihr Jahrhundert überflügelt zu haben glauben, sobald
das Herrenhaus ein vernünftiges Wort gesprochen hat. Wenn die Ultra¬
montanen erst einen ultraliberalen Domino anziehen wie in andern katho¬
lischen Ländern, wenn die Schwarzen bei feierlichen Gelegenheiten einen röth-
lichen Nimbus um Hut oder Tonsur tragen, ja dann -- das sind die
wahren Zeichen. Aber davon ist noch entfernt nicht die Rede. Man wird
einwenden, daß der Abgeordnete Greuter einmal auf Lassalle schwur, aber
was will die Eine Kutte sagen? Wie die Dinge jetzt stehen, hat der hersch-
süchtige Clerus die Hoffnung, daß der absolute Säbel in seinem alten Glänze
zurückkehren werde, noch nicht ganz aufgegeben. Böser Ahnungen kann er
sich gleichwohl nicht enthalten, und jedes Lüftchen jagt ihn in Harnisch-
Wogegen jetzt am eifrigsten gepredigt wird, das ist die Betheiligung am
wiener Bundesschießen; und es leidet keinen Zweifel, daß es den Kanzelred¬
nern und Beichtvätern gelingen wird, viele ländliche und auch städtische
Schützen von der Fahrt nach dem "Sodom und Gomorrha an der Donau"
abzuschrecken. Ein guter Zehrpfennig, dem Vintschgauer oder Passeirer in
die Hand gedrückt, würde vielleicht seine Gewissensangst verscheuchen; indeß


wünschen; aus vielen guckt eine unerbittliche Dummheit. Häufig begegnet
man schönen Köpfen mit regelmäßigen Gesichtszügen und einem Ausdruck,
der mehr Kraft als Schönheit verspricht. Es ist möglich, daß, wie behauptet wird,
«die Jnn- und Puster- und Zillerthaler noch lustiger in die Welt schauen. Aber
wer denkt beim Anblick jener stattlichen Köpfe und hohen Gestalten nicht an
Ludw. Steub, der in seinen „drei Sommern in Tirol" so oft mit Vorliebe
daran erinnert, was der Tiroler in den altdeutschen Zeiten war und was
er wieder sein könnte! Das Stoff- und sinnreiche Buch ist vor ungefähr
zwanzig Jahren erschienen, aber zu den Capiteln über die clericale Volkser¬
ziehung liefert heute noch jeder Tag die wunderlichsten Illustrationen. Nicht
alle Priester sind Pfaffen. Der Berg- und Waldcurat hoch oben ist meist
ein gemüthlicher Mann, hat als Hausfreund und Nothhelfer seiner Nachbarn,
als Landwirth und Jäger viele schätzenswerthe Tugenden und nur gerade so
viel Mirakelglauben, als in einem Thal bei armen Hirten unentbehrlich ist;
in seinen jungen Jahren hatte er sogar ideale Anfluge, bis sie ihm von seinen
Bauern ausgetrieben wurden. Unter den besser gestellten Caplanen und
Pfarrern in den größeren Ortschaften möchten manche gern liberal sein, wenn
sie dürsten. Dann aber kommen die richtigen Schwarzen, die das Ländchen
mit Gewalt finster machen. Alles begünstigt ihre Herrschaft: die geringe-
Zahl und schwache Bevölkerung der Städte (Innsbruck und Trient mit je
14,000 Seelen sind die größten), die ungeheuer überwiegende Mehrheit des
Bauernstandes, und die klösterliche Abgeschiedenheit der vielen Seitenthäler-
Die tiroler Liberalen sind auch lange nicht so sanguinisch wie die lebens¬
lustigen Wiener, die ihr Jahrhundert überflügelt zu haben glauben, sobald
das Herrenhaus ein vernünftiges Wort gesprochen hat. Wenn die Ultra¬
montanen erst einen ultraliberalen Domino anziehen wie in andern katho¬
lischen Ländern, wenn die Schwarzen bei feierlichen Gelegenheiten einen röth-
lichen Nimbus um Hut oder Tonsur tragen, ja dann — das sind die
wahren Zeichen. Aber davon ist noch entfernt nicht die Rede. Man wird
einwenden, daß der Abgeordnete Greuter einmal auf Lassalle schwur, aber
was will die Eine Kutte sagen? Wie die Dinge jetzt stehen, hat der hersch-
süchtige Clerus die Hoffnung, daß der absolute Säbel in seinem alten Glänze
zurückkehren werde, noch nicht ganz aufgegeben. Böser Ahnungen kann er
sich gleichwohl nicht enthalten, und jedes Lüftchen jagt ihn in Harnisch-
Wogegen jetzt am eifrigsten gepredigt wird, das ist die Betheiligung am
wiener Bundesschießen; und es leidet keinen Zweifel, daß es den Kanzelred¬
nern und Beichtvätern gelingen wird, viele ländliche und auch städtische
Schützen von der Fahrt nach dem „Sodom und Gomorrha an der Donau"
abzuschrecken. Ein guter Zehrpfennig, dem Vintschgauer oder Passeirer in
die Hand gedrückt, würde vielleicht seine Gewissensangst verscheuchen; indeß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/318>, abgerufen am 15.01.2025.