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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Der- Einfall Herrn Langle's ist aber auch "lächerlich". In der That
können Leute, welche einige Begriffe von der Lage der Dinge in der Türkei
haben, sich des Lachens nicht erwehren, wenn sie die orientalische Frage
durch Mittel lösen sehen, die ebenso leicht auf das Papier zu werfen als
unverträglich mit der Wirklichkeit sind. Herr Langle spricht über eine Frage,
deren erste Elemente er nicht kennt, im Tone eines Meisters, nicht anders,
als wenn wir uns mit den Angelegenheiten China's beschäftigen und dem
Beherrscher des himmlischen Reiches rathen wollten, das und das zu thun
oder zu lassen, ohne -- wir gestehen es aufrichtig -- von den Dingen in
seinem Lande etwas ordentliches zu wissen. Herr Langle zimmert mit der
Spitze seiner Feder einen Staatenbund zusammen, wie vor Alters Kadmus
aus Drachenzähnen gewappnete Männer hervorzauberte. Aber das ist nicht
alles. Herr Langle irrt noch schwerer in andern Punkten. Er sagt: das
türkische Reich stützen und erhalten sei für christliche Mächte ebenso viel, als
Wasser und Feuer mit einander versöhnen wollen. Dies ist das reine
Gegentheil der Wahrheit. Ohne Zweifel leiden die Christen jetzt unter der
osmanischen Herrschaft, aber die Osmanen selbst leiden nicht weniger als sie.
und in gewisser Hinsicht noch mehr. Die Christen haben. Dank dem aus"
ländischen Schutze, sehr einflußreiche Patriarchate; sie haben von den be¬
treffenden Gemeindekörpern gewählte, ihre Rechte bei der Regierung ver¬
tretende Rathskammern. Droht ihnen von Seiten der Machthaber irgend
ein Unrecht, so nehmen sie ihre Zuflucht zu ihrem Patriarchen; bleibt dieser
für ihre Klagen und Bitten taub, so übernimmt die nationale Rathskammer
ihre Vertheidigung, und kann auch diese nicht Gerechtigkeit erlangen, so
legen die fremden Gesandtschaften ihr Veto ein. Die Türken haben keins
von allen diesen Schutzmitteln; von Natur stolz und verschlossen, ertragen sie
schweigend die Uebelstände einer heillosen Verwaltung, doch nicht ohne im
Stillen zu seufzen und .das Loos ihrer christlichen Mitbürger zu beneiden.
Die Christen in der Türkei haben ihre besondere nationale Selbstverwaltung,
ihre eigenen Schulen, die freie, ungehinderte Ausübung ihres Cultus, in
ihren Händen liegt beinahe der ganze Handel und Gewerbbetrieb des
Landes; gegen eine unbedeutende Abgabe sind sie vom Kriegsdienste befreit;
vor Gericht stehen sie den Türken nicht gleich, nein! sie genießen noch be¬
sondere Vorrechte. Wie könnten sie, im gesicherten Besitze aller dieser Vor¬
theile, auf den Gedanken kommen, sich dem Cabinete von Se. Petersburg
in die Arme werfen zu wollen? Unsere Christen wünschen nichts anders
als: eine gute Staatsverwaltung zu erhalten und mit ihren moslemischen
Mitbürgern in Frieden weiter zu leben; umgekehrt, ist dies letztere auch der
Wunsch aller Moslemen. Hält Herr L. seine Glaubensgenossen in der
Türkei etwa für so unwissend und thöricht, daß sie wünschen sollten, eine


Der- Einfall Herrn Langle's ist aber auch „lächerlich". In der That
können Leute, welche einige Begriffe von der Lage der Dinge in der Türkei
haben, sich des Lachens nicht erwehren, wenn sie die orientalische Frage
durch Mittel lösen sehen, die ebenso leicht auf das Papier zu werfen als
unverträglich mit der Wirklichkeit sind. Herr Langle spricht über eine Frage,
deren erste Elemente er nicht kennt, im Tone eines Meisters, nicht anders,
als wenn wir uns mit den Angelegenheiten China's beschäftigen und dem
Beherrscher des himmlischen Reiches rathen wollten, das und das zu thun
oder zu lassen, ohne — wir gestehen es aufrichtig — von den Dingen in
seinem Lande etwas ordentliches zu wissen. Herr Langle zimmert mit der
Spitze seiner Feder einen Staatenbund zusammen, wie vor Alters Kadmus
aus Drachenzähnen gewappnete Männer hervorzauberte. Aber das ist nicht
alles. Herr Langle irrt noch schwerer in andern Punkten. Er sagt: das
türkische Reich stützen und erhalten sei für christliche Mächte ebenso viel, als
Wasser und Feuer mit einander versöhnen wollen. Dies ist das reine
Gegentheil der Wahrheit. Ohne Zweifel leiden die Christen jetzt unter der
osmanischen Herrschaft, aber die Osmanen selbst leiden nicht weniger als sie.
und in gewisser Hinsicht noch mehr. Die Christen haben. Dank dem aus«
ländischen Schutze, sehr einflußreiche Patriarchate; sie haben von den be¬
treffenden Gemeindekörpern gewählte, ihre Rechte bei der Regierung ver¬
tretende Rathskammern. Droht ihnen von Seiten der Machthaber irgend
ein Unrecht, so nehmen sie ihre Zuflucht zu ihrem Patriarchen; bleibt dieser
für ihre Klagen und Bitten taub, so übernimmt die nationale Rathskammer
ihre Vertheidigung, und kann auch diese nicht Gerechtigkeit erlangen, so
legen die fremden Gesandtschaften ihr Veto ein. Die Türken haben keins
von allen diesen Schutzmitteln; von Natur stolz und verschlossen, ertragen sie
schweigend die Uebelstände einer heillosen Verwaltung, doch nicht ohne im
Stillen zu seufzen und .das Loos ihrer christlichen Mitbürger zu beneiden.
Die Christen in der Türkei haben ihre besondere nationale Selbstverwaltung,
ihre eigenen Schulen, die freie, ungehinderte Ausübung ihres Cultus, in
ihren Händen liegt beinahe der ganze Handel und Gewerbbetrieb des
Landes; gegen eine unbedeutende Abgabe sind sie vom Kriegsdienste befreit;
vor Gericht stehen sie den Türken nicht gleich, nein! sie genießen noch be¬
sondere Vorrechte. Wie könnten sie, im gesicherten Besitze aller dieser Vor¬
theile, auf den Gedanken kommen, sich dem Cabinete von Se. Petersburg
in die Arme werfen zu wollen? Unsere Christen wünschen nichts anders
als: eine gute Staatsverwaltung zu erhalten und mit ihren moslemischen
Mitbürgern in Frieden weiter zu leben; umgekehrt, ist dies letztere auch der
Wunsch aller Moslemen. Hält Herr L. seine Glaubensgenossen in der
Türkei etwa für so unwissend und thöricht, daß sie wünschen sollten, eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/305>, abgerufen am 15.01.2025.