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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Unsere Industrie bedarf auf das dringendste einer Verringerung der Her¬
stellungskosten durch Herabsetzung der Transportspesen. Die hohen Eisenbahn¬
tarife bilden in der That Schutzzölle zu Gunsten der auswärtigen Con-
currenz auf dem heimischen Markte. Daß trotzdem noch keine Agitation sich
entwickelt hat, wie man sie gemäß der Bedeutung der auf dem Spiele stehen¬
den Interessen erwarten sollte, hängt mit der monopolisirenden Entwicke¬
lung unseres Eisenbahnwesens auf das Engste zusammen. Die Producenten
und Händler sind für den Transport ihrer Güter zum großen Theile auf
eine einzige Gesellschaft angewiesen und diese hat es in der Hand, den
Bezug und Absatz von Rohproducten, Fabrikaten und Waaren durch Trans¬
portbedingungen je nach ihrem Ermessen zu erleichtern und zu beschweren.
Jene dürfen es deshalb mit den Eisenbahnverwaltungen nicht "verderben"
und schweigen lieber, als daß sie die souveraine Verwaltung erzürnen.

Dieser Indolenz, die leider ihre große Berechtigung hat, die Basis zu
entziehen, ist die Aufgabe der Presse wie der kaufmännischen und industriellen
Corporationen und Bereine. Die Handelskammern von Elberfeld-Barmer,
von Hagen, Dortmund, Essen und Köln haben diese Pflicht erfüllt und nun
hat auch der Handels- und Gewerbeverein für Rheinland und Westphalen
die Frage der Tarifermäßigung bezüglich des Empsangstariss auf die Tages¬
ordnung gestellt.

Die Roheiseneinfuhr von England in die Provinz Preußen stieg in
dem kurzen Zeitraume von vier Jahren von 3315 auf 5240 Tonnen,
jährlich; das deutet auf einen mächtigen Betrieb in den östlichen Pro¬
vinzen des preußischen Staates hin. Mit dem Einpfennigtarif macht die
westphälische Kohle gegenwärtig der englischen immer mehr das Gebiet streitig,
sie ist nach Ostfriesland vorgedrungen, nach Bremerhafen, von wo die Schiffe
des norddeutschen "Lloyd" fast ausschließlich mit deutschem Brennmaterial
versehen werden; sie findet in Hamburg, in Bremen, in Kiel, in Lübeck, in
Berlin Absatz, sogar in Stettin und weiter östlich.

Einen gleichen Erfolg würde der Einpfennigtarif auch für Roheisen
haben. Es ist daher gewiß nicht ungerechtfertigt, daß unsere Industrie, die
einmal des billigen Bezuges von Rohproducten und Hilfsstoffen nicht ent¬
behren kann, wenn sie bei der immer wachsenden ausländischen Concurrenz
siegreich bleiben will, sich immer wieder an diejenige Macht wendet, welche
durch ihre Gesetzgebung zum Theil die Schuld des sogenannten factischen
Monopols der Eisenbahnen trägt.

Es thut längst noth, daß man auch in Deutschland die der Freiheit des
Verkehrs entgegenstehenden Hindernisse beseitige. Auch Deutschland hat auf
dem kosmopolitischen Kampfplatz der Industrie die gleichen Waffen vonnöthen,
um im' Weltverkehr bestehen zu können. Der norddeutsche Bund und das


Unsere Industrie bedarf auf das dringendste einer Verringerung der Her¬
stellungskosten durch Herabsetzung der Transportspesen. Die hohen Eisenbahn¬
tarife bilden in der That Schutzzölle zu Gunsten der auswärtigen Con-
currenz auf dem heimischen Markte. Daß trotzdem noch keine Agitation sich
entwickelt hat, wie man sie gemäß der Bedeutung der auf dem Spiele stehen¬
den Interessen erwarten sollte, hängt mit der monopolisirenden Entwicke¬
lung unseres Eisenbahnwesens auf das Engste zusammen. Die Producenten
und Händler sind für den Transport ihrer Güter zum großen Theile auf
eine einzige Gesellschaft angewiesen und diese hat es in der Hand, den
Bezug und Absatz von Rohproducten, Fabrikaten und Waaren durch Trans¬
portbedingungen je nach ihrem Ermessen zu erleichtern und zu beschweren.
Jene dürfen es deshalb mit den Eisenbahnverwaltungen nicht „verderben"
und schweigen lieber, als daß sie die souveraine Verwaltung erzürnen.

Dieser Indolenz, die leider ihre große Berechtigung hat, die Basis zu
entziehen, ist die Aufgabe der Presse wie der kaufmännischen und industriellen
Corporationen und Bereine. Die Handelskammern von Elberfeld-Barmer,
von Hagen, Dortmund, Essen und Köln haben diese Pflicht erfüllt und nun
hat auch der Handels- und Gewerbeverein für Rheinland und Westphalen
die Frage der Tarifermäßigung bezüglich des Empsangstariss auf die Tages¬
ordnung gestellt.

Die Roheiseneinfuhr von England in die Provinz Preußen stieg in
dem kurzen Zeitraume von vier Jahren von 3315 auf 5240 Tonnen,
jährlich; das deutet auf einen mächtigen Betrieb in den östlichen Pro¬
vinzen des preußischen Staates hin. Mit dem Einpfennigtarif macht die
westphälische Kohle gegenwärtig der englischen immer mehr das Gebiet streitig,
sie ist nach Ostfriesland vorgedrungen, nach Bremerhafen, von wo die Schiffe
des norddeutschen „Lloyd" fast ausschließlich mit deutschem Brennmaterial
versehen werden; sie findet in Hamburg, in Bremen, in Kiel, in Lübeck, in
Berlin Absatz, sogar in Stettin und weiter östlich.

Einen gleichen Erfolg würde der Einpfennigtarif auch für Roheisen
haben. Es ist daher gewiß nicht ungerechtfertigt, daß unsere Industrie, die
einmal des billigen Bezuges von Rohproducten und Hilfsstoffen nicht ent¬
behren kann, wenn sie bei der immer wachsenden ausländischen Concurrenz
siegreich bleiben will, sich immer wieder an diejenige Macht wendet, welche
durch ihre Gesetzgebung zum Theil die Schuld des sogenannten factischen
Monopols der Eisenbahnen trägt.

Es thut längst noth, daß man auch in Deutschland die der Freiheit des
Verkehrs entgegenstehenden Hindernisse beseitige. Auch Deutschland hat auf
dem kosmopolitischen Kampfplatz der Industrie die gleichen Waffen vonnöthen,
um im' Weltverkehr bestehen zu können. Der norddeutsche Bund und das


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[0026] Unsere Industrie bedarf auf das dringendste einer Verringerung der Her¬ stellungskosten durch Herabsetzung der Transportspesen. Die hohen Eisenbahn¬ tarife bilden in der That Schutzzölle zu Gunsten der auswärtigen Con- currenz auf dem heimischen Markte. Daß trotzdem noch keine Agitation sich entwickelt hat, wie man sie gemäß der Bedeutung der auf dem Spiele stehen¬ den Interessen erwarten sollte, hängt mit der monopolisirenden Entwicke¬ lung unseres Eisenbahnwesens auf das Engste zusammen. Die Producenten und Händler sind für den Transport ihrer Güter zum großen Theile auf eine einzige Gesellschaft angewiesen und diese hat es in der Hand, den Bezug und Absatz von Rohproducten, Fabrikaten und Waaren durch Trans¬ portbedingungen je nach ihrem Ermessen zu erleichtern und zu beschweren. Jene dürfen es deshalb mit den Eisenbahnverwaltungen nicht „verderben" und schweigen lieber, als daß sie die souveraine Verwaltung erzürnen. Dieser Indolenz, die leider ihre große Berechtigung hat, die Basis zu entziehen, ist die Aufgabe der Presse wie der kaufmännischen und industriellen Corporationen und Bereine. Die Handelskammern von Elberfeld-Barmer, von Hagen, Dortmund, Essen und Köln haben diese Pflicht erfüllt und nun hat auch der Handels- und Gewerbeverein für Rheinland und Westphalen die Frage der Tarifermäßigung bezüglich des Empsangstariss auf die Tages¬ ordnung gestellt. Die Roheiseneinfuhr von England in die Provinz Preußen stieg in dem kurzen Zeitraume von vier Jahren von 3315 auf 5240 Tonnen, jährlich; das deutet auf einen mächtigen Betrieb in den östlichen Pro¬ vinzen des preußischen Staates hin. Mit dem Einpfennigtarif macht die westphälische Kohle gegenwärtig der englischen immer mehr das Gebiet streitig, sie ist nach Ostfriesland vorgedrungen, nach Bremerhafen, von wo die Schiffe des norddeutschen „Lloyd" fast ausschließlich mit deutschem Brennmaterial versehen werden; sie findet in Hamburg, in Bremen, in Kiel, in Lübeck, in Berlin Absatz, sogar in Stettin und weiter östlich. Einen gleichen Erfolg würde der Einpfennigtarif auch für Roheisen haben. Es ist daher gewiß nicht ungerechtfertigt, daß unsere Industrie, die einmal des billigen Bezuges von Rohproducten und Hilfsstoffen nicht ent¬ behren kann, wenn sie bei der immer wachsenden ausländischen Concurrenz siegreich bleiben will, sich immer wieder an diejenige Macht wendet, welche durch ihre Gesetzgebung zum Theil die Schuld des sogenannten factischen Monopols der Eisenbahnen trägt. Es thut längst noth, daß man auch in Deutschland die der Freiheit des Verkehrs entgegenstehenden Hindernisse beseitige. Auch Deutschland hat auf dem kosmopolitischen Kampfplatz der Industrie die gleichen Waffen vonnöthen, um im' Weltverkehr bestehen zu können. Der norddeutsche Bund und das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/26>, abgerufen am 15.01.2025.