Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.geistlose, knechtische Subalternbeamte, der nur von Orden und Titeln träumt, Es ließe sich diese Kette durch die Aufzählung zahlreicher anderer Namen geistlose, knechtische Subalternbeamte, der nur von Orden und Titeln träumt, Es ließe sich diese Kette durch die Aufzählung zahlreicher anderer Namen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0252" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117784"/> <p xml:id="ID_804" prev="#ID_803"> geistlose, knechtische Subalternbeamte, der nur von Orden und Titeln träumt,<lb/> Skalosub, der bildungsfeindliche Armeeoffizier, der alle Menschen in zwei<lb/> Classen theilt, solche die in seinem Regiment gedient haben und solche, welche<lb/> dieser Ehre nicht theilhaft geworden. Repetilow, der professionelle Spieler und<lb/> None, der um 6 Uhr Morgens „überall hin, nur nicht nach Hause fahren<lb/> will" — Famussows Tochter, das Muster eines leeren, sitten- und empfin¬<lb/> dungslosen Edelfräuleins von „guter Erziehung" u. s. w. — Gribojedows<lb/> Zeitgenosse, Alexander Puschkin, gelangte schnell zu allgemeiner Anerken¬<lb/> nung und Berühmtheit, weil sein Byronscher Weltschmerz ein specifisch rus¬<lb/> sisches Gepräge trug und im Grunde nur den traurigen Zuständen des Vater¬<lb/> landes galt. Klarer und bewußter als bei Gribojedow tritt bet dem Dichter<lb/> des „Onegin" und „Boris Godunow" das Verlangen nach einem nationalen<lb/> Inhalt des russischen Lebens hervor, in dem Volk sieht er die einzige Quelle<lb/> wahrer Poesie, die einzige Rettung von der Zwangsjacke der fremden, allen<lb/> humanen Aufgaben abgewandten Cultur und Staatsform. Das Naturgefühl,<lb/> in welchem sein „kaukasischer Gefangener" schwelgt, hat den Ekel an der<lb/> verderbten Petersburger Hofluft zur Folie, „Eugene Onegin" entwirft ein<lb/> abschreckendes Bild von der Inhaltslosigkeit und Hohlheit einer vornehmen<lb/> russischen Existenz, die „Zigeuner" und die „Näuberbrüder" feiern die Wild¬<lb/> heit zuchtlosen Berg- und Waldlebens im Gegensatz zur Entwürdigung der<lb/> Culturwelt und „Boris Godunow" predigt die Rückkehr zu der verlorenen<lb/> Herrlichkeit der Väter. Aehnlich steht es mit Michael Lermontow, einer<lb/> Puschkin nah verwandten Natur, die der Bitterkeit und Verzweiflung über<lb/> den Jammer der gegebenen Zustände einen noch düstereren, dämonischen Aus¬<lb/> druck gab und in dem „Helden unserer Tage" vollständige Blasirtheit als<lb/> das schließliche Resultat jedes Ganges durch das wirkliche russische Leben<lb/> bezeichnet.</p><lb/> <p xml:id="ID_805" next="#ID_806"> Es ließe sich diese Kette durch die Aufzählung zahlreicher anderer Namen<lb/> um ein beträchtliches verlängern: bei der blos localen Berühmtheit derselben<lb/> wird für unseren Zweck genügen, wenn wir noch einen gefeierten Schriftsteller<lb/> dieser Kategorie, Nicolai Gogol, nennen. Dieser dem Engländer Dickens<lb/> in jeder Beziehung ebenbürtige Humorist kann um so weniger übergangen<lb/> werden, als er einmal eine von der der obengenannten Schriftsteller wesent¬<lb/> lich verschiedene Richtung repräsentirt und zweitens von beinahe unbegrenztem<lb/> Einfluß auf alle späteren russischen Romanschriftsteller gewesen ist. Während<lb/> die Gribojedow, Puschkin u. s. w. vornehmlich die Centren der Korruption<lb/> schilderten und ihre Gegenstände entweder dem Leben der hohen Artstocratie<lb/> und eines idealisirten Volks- und Bauernthums entnahmen, spätere Dichter,<lb/> wie z. B. Graf Sollohub, der Verfasser des „Tarantaß" und der „großen<lb/> Welt", den Nachweis der Fäulniß derselben im einzelnen zu führen suchten,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0252]
geistlose, knechtische Subalternbeamte, der nur von Orden und Titeln träumt,
Skalosub, der bildungsfeindliche Armeeoffizier, der alle Menschen in zwei
Classen theilt, solche die in seinem Regiment gedient haben und solche, welche
dieser Ehre nicht theilhaft geworden. Repetilow, der professionelle Spieler und
None, der um 6 Uhr Morgens „überall hin, nur nicht nach Hause fahren
will" — Famussows Tochter, das Muster eines leeren, sitten- und empfin¬
dungslosen Edelfräuleins von „guter Erziehung" u. s. w. — Gribojedows
Zeitgenosse, Alexander Puschkin, gelangte schnell zu allgemeiner Anerken¬
nung und Berühmtheit, weil sein Byronscher Weltschmerz ein specifisch rus¬
sisches Gepräge trug und im Grunde nur den traurigen Zuständen des Vater¬
landes galt. Klarer und bewußter als bei Gribojedow tritt bet dem Dichter
des „Onegin" und „Boris Godunow" das Verlangen nach einem nationalen
Inhalt des russischen Lebens hervor, in dem Volk sieht er die einzige Quelle
wahrer Poesie, die einzige Rettung von der Zwangsjacke der fremden, allen
humanen Aufgaben abgewandten Cultur und Staatsform. Das Naturgefühl,
in welchem sein „kaukasischer Gefangener" schwelgt, hat den Ekel an der
verderbten Petersburger Hofluft zur Folie, „Eugene Onegin" entwirft ein
abschreckendes Bild von der Inhaltslosigkeit und Hohlheit einer vornehmen
russischen Existenz, die „Zigeuner" und die „Näuberbrüder" feiern die Wild¬
heit zuchtlosen Berg- und Waldlebens im Gegensatz zur Entwürdigung der
Culturwelt und „Boris Godunow" predigt die Rückkehr zu der verlorenen
Herrlichkeit der Väter. Aehnlich steht es mit Michael Lermontow, einer
Puschkin nah verwandten Natur, die der Bitterkeit und Verzweiflung über
den Jammer der gegebenen Zustände einen noch düstereren, dämonischen Aus¬
druck gab und in dem „Helden unserer Tage" vollständige Blasirtheit als
das schließliche Resultat jedes Ganges durch das wirkliche russische Leben
bezeichnet.
Es ließe sich diese Kette durch die Aufzählung zahlreicher anderer Namen
um ein beträchtliches verlängern: bei der blos localen Berühmtheit derselben
wird für unseren Zweck genügen, wenn wir noch einen gefeierten Schriftsteller
dieser Kategorie, Nicolai Gogol, nennen. Dieser dem Engländer Dickens
in jeder Beziehung ebenbürtige Humorist kann um so weniger übergangen
werden, als er einmal eine von der der obengenannten Schriftsteller wesent¬
lich verschiedene Richtung repräsentirt und zweitens von beinahe unbegrenztem
Einfluß auf alle späteren russischen Romanschriftsteller gewesen ist. Während
die Gribojedow, Puschkin u. s. w. vornehmlich die Centren der Korruption
schilderten und ihre Gegenstände entweder dem Leben der hohen Artstocratie
und eines idealisirten Volks- und Bauernthums entnahmen, spätere Dichter,
wie z. B. Graf Sollohub, der Verfasser des „Tarantaß" und der „großen
Welt", den Nachweis der Fäulniß derselben im einzelnen zu führen suchten,
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