Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

schaft die Pferde zur Frühjahrbestellung fehlten, aber auch diese können in
kürzester Frist zum Dienst eingezogen werden. Das ganze östliche Frankreich
sieht aus wie ein unermeßliches Heerlager; die kaiserliche Garde, die Armee
von Paris und die Armee von Lyon (1. und 4. Corps) sind so marschbereit, daß
sie jeden Tag aufbrechen können. Ferner stehen S0,000 Mann zwischen Lille
und Straßburg und eine zweite Armee wird in Chalons aus den Süd¬
uno Westprovinzen zusammengezogen, dazu die Truppen schleunigst auf der
Eisenbahn befördert; die Lager sind zu der ungewöhnlichsten, und für die
Landescultur nachtheiligsten Zeit angeordnet, sie sollen bis Anfang Mai,
respective bis Anfang Juli ihre completen Armeen umfassen. Für diese
Rüstungen ist nicht nur die italienische Garnison reducirt worden, sondern
es sind auch in aller Stille und mit beabsichtigter Geheimhaltung mehrere
Regimenter aus Algier nach Frankreich gezogen worden. In der ganzen
Armee erwartet man mit größter Sicherheit den Krieg, im französischen
Kriegsministerium wird davon wie von einer zweifellosen Sache gesprochen,
der Ausbruch als im Juli bevorstehend verkündet. Es scheint, daß der Kai¬
ser den Gedanken hat, im Kriegsfall nach dem Beispiel von König Wilhelm
selbst den Oberbefehl zu führen, um keinen seiner Marschälle mächtig werden
zu lassen, denn der Befehl über die gesammte Armee ist seinem Generaladju¬
tanten übertragen. Den Zeitungen Frankreichs ist der Befehl zugegangen,
über alle diese Rüstungen zu schweigen, aber diese Mobilisirung eines ganzen
Landes läßt sich nicht verdecken, und aus Privalbriesen Reisender, welche mi¬
litärische Sachkenntniß besitzen, werden der ungeheure Umfang und die enormen
Kosten dieser Rüstung hervorgehoben. In Paris discutirt man in allen imperia¬
listischen Kreisen offen die Pläne des Kaisers, man nimmt an, daß er, sobald
sein letzter Entschluß gefaßt ist, vor allem danach streben wird, den norddeutschen
Bund in seiner Friedensorganisation zu überraschen, und daß er sich mir vier
Armeen, und mit unwiderstehlicher localer Ueberlegenheit, auf ein deutsches
Grenzland werfen, und dies befestigte Land in militärisch günstiger Position bis
aufs äußerste behaupten wird.--Und wenn der Deutsche einen Franzosen, der
ihm so offen dies Bevorstehende mittheilt, fragt, ob denn Paris aus bloßer
Abneigung, ohne genügende Veranlassung, einen Krieg mit Deutschland
wolle, so erhält er den echt französischen Bescheid: Zuletzt muß man doch
wissen, wer der Stärkere in Europa ist. Und auf die Frage: Und was wird
aus dem Kaiser, wenn das Kriegsglück gegen ihn entscheiden sollte? kommt
die überraschende Antwort: Dann werden sich sofort die Socialisten rühren
und alle anständigen Leute zwingen, sich für die Nothwendigkeit des Kaiser¬
tums zu interessiren.

Während dieser drohenden Vorbereitungen schweigt der Kaiser. Aus
wiederholte und zahlreiche Anfragen der preußischen Regierung wegen der
*


31

schaft die Pferde zur Frühjahrbestellung fehlten, aber auch diese können in
kürzester Frist zum Dienst eingezogen werden. Das ganze östliche Frankreich
sieht aus wie ein unermeßliches Heerlager; die kaiserliche Garde, die Armee
von Paris und die Armee von Lyon (1. und 4. Corps) sind so marschbereit, daß
sie jeden Tag aufbrechen können. Ferner stehen S0,000 Mann zwischen Lille
und Straßburg und eine zweite Armee wird in Chalons aus den Süd¬
uno Westprovinzen zusammengezogen, dazu die Truppen schleunigst auf der
Eisenbahn befördert; die Lager sind zu der ungewöhnlichsten, und für die
Landescultur nachtheiligsten Zeit angeordnet, sie sollen bis Anfang Mai,
respective bis Anfang Juli ihre completen Armeen umfassen. Für diese
Rüstungen ist nicht nur die italienische Garnison reducirt worden, sondern
es sind auch in aller Stille und mit beabsichtigter Geheimhaltung mehrere
Regimenter aus Algier nach Frankreich gezogen worden. In der ganzen
Armee erwartet man mit größter Sicherheit den Krieg, im französischen
Kriegsministerium wird davon wie von einer zweifellosen Sache gesprochen,
der Ausbruch als im Juli bevorstehend verkündet. Es scheint, daß der Kai¬
ser den Gedanken hat, im Kriegsfall nach dem Beispiel von König Wilhelm
selbst den Oberbefehl zu führen, um keinen seiner Marschälle mächtig werden
zu lassen, denn der Befehl über die gesammte Armee ist seinem Generaladju¬
tanten übertragen. Den Zeitungen Frankreichs ist der Befehl zugegangen,
über alle diese Rüstungen zu schweigen, aber diese Mobilisirung eines ganzen
Landes läßt sich nicht verdecken, und aus Privalbriesen Reisender, welche mi¬
litärische Sachkenntniß besitzen, werden der ungeheure Umfang und die enormen
Kosten dieser Rüstung hervorgehoben. In Paris discutirt man in allen imperia¬
listischen Kreisen offen die Pläne des Kaisers, man nimmt an, daß er, sobald
sein letzter Entschluß gefaßt ist, vor allem danach streben wird, den norddeutschen
Bund in seiner Friedensorganisation zu überraschen, und daß er sich mir vier
Armeen, und mit unwiderstehlicher localer Ueberlegenheit, auf ein deutsches
Grenzland werfen, und dies befestigte Land in militärisch günstiger Position bis
aufs äußerste behaupten wird.—Und wenn der Deutsche einen Franzosen, der
ihm so offen dies Bevorstehende mittheilt, fragt, ob denn Paris aus bloßer
Abneigung, ohne genügende Veranlassung, einen Krieg mit Deutschland
wolle, so erhält er den echt französischen Bescheid: Zuletzt muß man doch
wissen, wer der Stärkere in Europa ist. Und auf die Frage: Und was wird
aus dem Kaiser, wenn das Kriegsglück gegen ihn entscheiden sollte? kommt
die überraschende Antwort: Dann werden sich sofort die Socialisten rühren
und alle anständigen Leute zwingen, sich für die Nothwendigkeit des Kaiser¬
tums zu interessiren.

Während dieser drohenden Vorbereitungen schweigt der Kaiser. Aus
wiederholte und zahlreiche Anfragen der preußischen Regierung wegen der
*


31
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0247" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117779"/>
          <p xml:id="ID_789" prev="#ID_788"> schaft die Pferde zur Frühjahrbestellung fehlten, aber auch diese können in<lb/>
kürzester Frist zum Dienst eingezogen werden. Das ganze östliche Frankreich<lb/>
sieht aus wie ein unermeßliches Heerlager; die kaiserliche Garde, die Armee<lb/>
von Paris und die Armee von Lyon (1. und 4. Corps) sind so marschbereit, daß<lb/>
sie jeden Tag aufbrechen können. Ferner stehen S0,000 Mann zwischen Lille<lb/>
und Straßburg und eine zweite Armee wird in Chalons aus den Süd¬<lb/>
uno Westprovinzen zusammengezogen, dazu die Truppen schleunigst auf der<lb/>
Eisenbahn befördert; die Lager sind zu der ungewöhnlichsten, und für die<lb/>
Landescultur nachtheiligsten Zeit angeordnet, sie sollen bis Anfang Mai,<lb/>
respective bis Anfang Juli ihre completen Armeen umfassen. Für diese<lb/>
Rüstungen ist nicht nur die italienische Garnison reducirt worden, sondern<lb/>
es sind auch in aller Stille und mit beabsichtigter Geheimhaltung mehrere<lb/>
Regimenter aus Algier nach Frankreich gezogen worden. In der ganzen<lb/>
Armee erwartet man mit größter Sicherheit den Krieg, im französischen<lb/>
Kriegsministerium wird davon wie von einer zweifellosen Sache gesprochen,<lb/>
der Ausbruch als im Juli bevorstehend verkündet. Es scheint, daß der Kai¬<lb/>
ser den Gedanken hat, im Kriegsfall nach dem Beispiel von König Wilhelm<lb/>
selbst den Oberbefehl zu führen, um keinen seiner Marschälle mächtig werden<lb/>
zu lassen, denn der Befehl über die gesammte Armee ist seinem Generaladju¬<lb/>
tanten übertragen. Den Zeitungen Frankreichs ist der Befehl zugegangen,<lb/>
über alle diese Rüstungen zu schweigen, aber diese Mobilisirung eines ganzen<lb/>
Landes läßt sich nicht verdecken, und aus Privalbriesen Reisender, welche mi¬<lb/>
litärische Sachkenntniß besitzen, werden der ungeheure Umfang und die enormen<lb/>
Kosten dieser Rüstung hervorgehoben. In Paris discutirt man in allen imperia¬<lb/>
listischen Kreisen offen die Pläne des Kaisers, man nimmt an, daß er, sobald<lb/>
sein letzter Entschluß gefaßt ist, vor allem danach streben wird, den norddeutschen<lb/>
Bund in seiner Friedensorganisation zu überraschen, und daß er sich mir vier<lb/>
Armeen, und mit unwiderstehlicher localer Ueberlegenheit, auf ein deutsches<lb/>
Grenzland werfen, und dies befestigte Land in militärisch günstiger Position bis<lb/>
aufs äußerste behaupten wird.&#x2014;Und wenn der Deutsche einen Franzosen, der<lb/>
ihm so offen dies Bevorstehende mittheilt, fragt, ob denn Paris aus bloßer<lb/>
Abneigung, ohne genügende Veranlassung, einen Krieg mit Deutschland<lb/>
wolle, so erhält er den echt französischen Bescheid: Zuletzt muß man doch<lb/>
wissen, wer der Stärkere in Europa ist. Und auf die Frage: Und was wird<lb/>
aus dem Kaiser, wenn das Kriegsglück gegen ihn entscheiden sollte? kommt<lb/>
die überraschende Antwort: Dann werden sich sofort die Socialisten rühren<lb/>
und alle anständigen Leute zwingen, sich für die Nothwendigkeit des Kaiser¬<lb/>
tums zu interessiren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_790" next="#ID_791"> Während dieser drohenden Vorbereitungen schweigt der Kaiser. Aus<lb/>
wiederholte und zahlreiche Anfragen der preußischen Regierung wegen der<lb/>
*</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 31</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0247] schaft die Pferde zur Frühjahrbestellung fehlten, aber auch diese können in kürzester Frist zum Dienst eingezogen werden. Das ganze östliche Frankreich sieht aus wie ein unermeßliches Heerlager; die kaiserliche Garde, die Armee von Paris und die Armee von Lyon (1. und 4. Corps) sind so marschbereit, daß sie jeden Tag aufbrechen können. Ferner stehen S0,000 Mann zwischen Lille und Straßburg und eine zweite Armee wird in Chalons aus den Süd¬ uno Westprovinzen zusammengezogen, dazu die Truppen schleunigst auf der Eisenbahn befördert; die Lager sind zu der ungewöhnlichsten, und für die Landescultur nachtheiligsten Zeit angeordnet, sie sollen bis Anfang Mai, respective bis Anfang Juli ihre completen Armeen umfassen. Für diese Rüstungen ist nicht nur die italienische Garnison reducirt worden, sondern es sind auch in aller Stille und mit beabsichtigter Geheimhaltung mehrere Regimenter aus Algier nach Frankreich gezogen worden. In der ganzen Armee erwartet man mit größter Sicherheit den Krieg, im französischen Kriegsministerium wird davon wie von einer zweifellosen Sache gesprochen, der Ausbruch als im Juli bevorstehend verkündet. Es scheint, daß der Kai¬ ser den Gedanken hat, im Kriegsfall nach dem Beispiel von König Wilhelm selbst den Oberbefehl zu führen, um keinen seiner Marschälle mächtig werden zu lassen, denn der Befehl über die gesammte Armee ist seinem Generaladju¬ tanten übertragen. Den Zeitungen Frankreichs ist der Befehl zugegangen, über alle diese Rüstungen zu schweigen, aber diese Mobilisirung eines ganzen Landes läßt sich nicht verdecken, und aus Privalbriesen Reisender, welche mi¬ litärische Sachkenntniß besitzen, werden der ungeheure Umfang und die enormen Kosten dieser Rüstung hervorgehoben. In Paris discutirt man in allen imperia¬ listischen Kreisen offen die Pläne des Kaisers, man nimmt an, daß er, sobald sein letzter Entschluß gefaßt ist, vor allem danach streben wird, den norddeutschen Bund in seiner Friedensorganisation zu überraschen, und daß er sich mir vier Armeen, und mit unwiderstehlicher localer Ueberlegenheit, auf ein deutsches Grenzland werfen, und dies befestigte Land in militärisch günstiger Position bis aufs äußerste behaupten wird.—Und wenn der Deutsche einen Franzosen, der ihm so offen dies Bevorstehende mittheilt, fragt, ob denn Paris aus bloßer Abneigung, ohne genügende Veranlassung, einen Krieg mit Deutschland wolle, so erhält er den echt französischen Bescheid: Zuletzt muß man doch wissen, wer der Stärkere in Europa ist. Und auf die Frage: Und was wird aus dem Kaiser, wenn das Kriegsglück gegen ihn entscheiden sollte? kommt die überraschende Antwort: Dann werden sich sofort die Socialisten rühren und alle anständigen Leute zwingen, sich für die Nothwendigkeit des Kaiser¬ tums zu interessiren. Während dieser drohenden Vorbereitungen schweigt der Kaiser. Aus wiederholte und zahlreiche Anfragen der preußischen Regierung wegen der * 31

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/247
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/247>, abgerufen am 15.01.2025.