Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

schoben. Wir wissen zwar, daß die Festung in Wahrheit nicht geschleift wird,
wie doch der Vertrag bestimmte, und daß von Frankreich her unaufhörlich
die Katzenpfoten danach ausgestreckt werden, aber die Bundesregierung will
das nicht sehen und hat darüber keinerlei Bemerkungen gemacht. Alle andern
Fragen, welche von deutschen Verräthern und fremden Intriganten gern als
Handhabe zu einem Kriege aufgerührt würden, haben im Augenblick kaum
eine andere Bedeutung, als die Spalten der Zeitungen zu füllen. Es hat
gute Wege mit der Mainlinie, Nordschleswig ärgert nur aus alter Gewohn¬
heit die dänischen Zeitungen, die Mainzer Besatzungsfrage ist wohl nur ein
bundesfreundlicher Einfall der Herren v. Dalwigk und Frank in Hessen-Darm¬
stadt, im Orient soll nach allgemeinem Beschluß der Großmächte in diesem
Jahre Friede gehalten werden, und sorgfältig werden dort alle glimmenden
Kohlen verdeckt; kurz der officielle Verkehr der Staaten wandelt so gemäch¬
lich, daß es eine Freude sein könnte.

Und doch wissen wir in Deutschland, daß der Kaiser in einer Weise rü¬
stet, welche auf Krieg und nicht auf Frieden deutet, ja welche völlig unbe¬
greiflich ist, wenn er nicht den Krieg als nahe bevorstehend betrachtet. Daß
die Reorganisation der französischen Armee mit größter Energie betrieben
wurde, hatte nichts auffallendes; daß diese Reorganisation den ausgesproche¬
nen Zweck hatte, eine schnell disponible Kriegsmacht aufzustellen, welche der
Heereskraft des deutschen Bundes überlegen sei, hat uns bei dem Stolz und
kriegerischen Sinn der Franzosen nicht gewundert. So lange diese Aus¬
rüstung der französischen Nation geräuschvoll und mit offenbar demonstrativer
Tendenz vor sich ging, war kein Grund zur Besorgniß und die Absicht klar.
Aber was seitdem geschehen ist und noch geschieht, läßt sich beim besten Wil¬
len nicht mehr als eine Rüstung zur Erhaltung des Friedens deuten. Die
sämmtlichen Festungen der französischen Ostseite sind völlig kriegsmäßig armirt,
mit Geschützen, Munition und Kriegsbesatzung versehen. Die Vorberge der
Vogesen bedecken sich mit einer Linie von Verschanzungen, dem verschwun¬
denen Dannewerk an Stärke und Großartigkeit der Anlage weit überlegen,
die ganze Ostgrenze gegen Deutschland starrt von Kanonenreihen. Trotz
der Mißernte sind die letzten Hafervorräthe in Frankreich aufgekauft wor¬
den und in ungeheuren Magazinen gesammelt. So hastig und rücksichts¬
los wurde gekauft, daß der Landwirthschaft Frankreichs das Saatgut fehlt
und die Landleute bitter klagen, und es wurde gekauft in der Theuerung zu
enormen Preisen, was man in diesem Herbst nach der neuen Ernte um viele
Millionen billiger haben konnte. Ebenso hastig und ohne Rücksicht auf den
Preis war der massenhafte Ankauf der Pferde, die Zahl derselben ist auf
mehr als hunderttausend gebracht, nur etwa der siebente Theil mußte wieder
an kleine Landwirthe ausgeliehen werden, weil der französischen Landwirth-


schoben. Wir wissen zwar, daß die Festung in Wahrheit nicht geschleift wird,
wie doch der Vertrag bestimmte, und daß von Frankreich her unaufhörlich
die Katzenpfoten danach ausgestreckt werden, aber die Bundesregierung will
das nicht sehen und hat darüber keinerlei Bemerkungen gemacht. Alle andern
Fragen, welche von deutschen Verräthern und fremden Intriganten gern als
Handhabe zu einem Kriege aufgerührt würden, haben im Augenblick kaum
eine andere Bedeutung, als die Spalten der Zeitungen zu füllen. Es hat
gute Wege mit der Mainlinie, Nordschleswig ärgert nur aus alter Gewohn¬
heit die dänischen Zeitungen, die Mainzer Besatzungsfrage ist wohl nur ein
bundesfreundlicher Einfall der Herren v. Dalwigk und Frank in Hessen-Darm¬
stadt, im Orient soll nach allgemeinem Beschluß der Großmächte in diesem
Jahre Friede gehalten werden, und sorgfältig werden dort alle glimmenden
Kohlen verdeckt; kurz der officielle Verkehr der Staaten wandelt so gemäch¬
lich, daß es eine Freude sein könnte.

Und doch wissen wir in Deutschland, daß der Kaiser in einer Weise rü¬
stet, welche auf Krieg und nicht auf Frieden deutet, ja welche völlig unbe¬
greiflich ist, wenn er nicht den Krieg als nahe bevorstehend betrachtet. Daß
die Reorganisation der französischen Armee mit größter Energie betrieben
wurde, hatte nichts auffallendes; daß diese Reorganisation den ausgesproche¬
nen Zweck hatte, eine schnell disponible Kriegsmacht aufzustellen, welche der
Heereskraft des deutschen Bundes überlegen sei, hat uns bei dem Stolz und
kriegerischen Sinn der Franzosen nicht gewundert. So lange diese Aus¬
rüstung der französischen Nation geräuschvoll und mit offenbar demonstrativer
Tendenz vor sich ging, war kein Grund zur Besorgniß und die Absicht klar.
Aber was seitdem geschehen ist und noch geschieht, läßt sich beim besten Wil¬
len nicht mehr als eine Rüstung zur Erhaltung des Friedens deuten. Die
sämmtlichen Festungen der französischen Ostseite sind völlig kriegsmäßig armirt,
mit Geschützen, Munition und Kriegsbesatzung versehen. Die Vorberge der
Vogesen bedecken sich mit einer Linie von Verschanzungen, dem verschwun¬
denen Dannewerk an Stärke und Großartigkeit der Anlage weit überlegen,
die ganze Ostgrenze gegen Deutschland starrt von Kanonenreihen. Trotz
der Mißernte sind die letzten Hafervorräthe in Frankreich aufgekauft wor¬
den und in ungeheuren Magazinen gesammelt. So hastig und rücksichts¬
los wurde gekauft, daß der Landwirthschaft Frankreichs das Saatgut fehlt
und die Landleute bitter klagen, und es wurde gekauft in der Theuerung zu
enormen Preisen, was man in diesem Herbst nach der neuen Ernte um viele
Millionen billiger haben konnte. Ebenso hastig und ohne Rücksicht auf den
Preis war der massenhafte Ankauf der Pferde, die Zahl derselben ist auf
mehr als hunderttausend gebracht, nur etwa der siebente Theil mußte wieder
an kleine Landwirthe ausgeliehen werden, weil der französischen Landwirth-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0246" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117778"/>
          <p xml:id="ID_787" prev="#ID_786"> schoben. Wir wissen zwar, daß die Festung in Wahrheit nicht geschleift wird,<lb/>
wie doch der Vertrag bestimmte, und daß von Frankreich her unaufhörlich<lb/>
die Katzenpfoten danach ausgestreckt werden, aber die Bundesregierung will<lb/>
das nicht sehen und hat darüber keinerlei Bemerkungen gemacht. Alle andern<lb/>
Fragen, welche von deutschen Verräthern und fremden Intriganten gern als<lb/>
Handhabe zu einem Kriege aufgerührt würden, haben im Augenblick kaum<lb/>
eine andere Bedeutung, als die Spalten der Zeitungen zu füllen. Es hat<lb/>
gute Wege mit der Mainlinie, Nordschleswig ärgert nur aus alter Gewohn¬<lb/>
heit die dänischen Zeitungen, die Mainzer Besatzungsfrage ist wohl nur ein<lb/>
bundesfreundlicher Einfall der Herren v. Dalwigk und Frank in Hessen-Darm¬<lb/>
stadt, im Orient soll nach allgemeinem Beschluß der Großmächte in diesem<lb/>
Jahre Friede gehalten werden, und sorgfältig werden dort alle glimmenden<lb/>
Kohlen verdeckt; kurz der officielle Verkehr der Staaten wandelt so gemäch¬<lb/>
lich, daß es eine Freude sein könnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_788" next="#ID_789"> Und doch wissen wir in Deutschland, daß der Kaiser in einer Weise rü¬<lb/>
stet, welche auf Krieg und nicht auf Frieden deutet, ja welche völlig unbe¬<lb/>
greiflich ist, wenn er nicht den Krieg als nahe bevorstehend betrachtet. Daß<lb/>
die Reorganisation der französischen Armee mit größter Energie betrieben<lb/>
wurde, hatte nichts auffallendes; daß diese Reorganisation den ausgesproche¬<lb/>
nen Zweck hatte, eine schnell disponible Kriegsmacht aufzustellen, welche der<lb/>
Heereskraft des deutschen Bundes überlegen sei, hat uns bei dem Stolz und<lb/>
kriegerischen Sinn der Franzosen nicht gewundert. So lange diese Aus¬<lb/>
rüstung der französischen Nation geräuschvoll und mit offenbar demonstrativer<lb/>
Tendenz vor sich ging, war kein Grund zur Besorgniß und die Absicht klar.<lb/>
Aber was seitdem geschehen ist und noch geschieht, läßt sich beim besten Wil¬<lb/>
len nicht mehr als eine Rüstung zur Erhaltung des Friedens deuten. Die<lb/>
sämmtlichen Festungen der französischen Ostseite sind völlig kriegsmäßig armirt,<lb/>
mit Geschützen, Munition und Kriegsbesatzung versehen. Die Vorberge der<lb/>
Vogesen bedecken sich mit einer Linie von Verschanzungen, dem verschwun¬<lb/>
denen Dannewerk an Stärke und Großartigkeit der Anlage weit überlegen,<lb/>
die ganze Ostgrenze gegen Deutschland starrt von Kanonenreihen. Trotz<lb/>
der Mißernte sind die letzten Hafervorräthe in Frankreich aufgekauft wor¬<lb/>
den und in ungeheuren Magazinen gesammelt. So hastig und rücksichts¬<lb/>
los wurde gekauft, daß der Landwirthschaft Frankreichs das Saatgut fehlt<lb/>
und die Landleute bitter klagen, und es wurde gekauft in der Theuerung zu<lb/>
enormen Preisen, was man in diesem Herbst nach der neuen Ernte um viele<lb/>
Millionen billiger haben konnte. Ebenso hastig und ohne Rücksicht auf den<lb/>
Preis war der massenhafte Ankauf der Pferde, die Zahl derselben ist auf<lb/>
mehr als hunderttausend gebracht, nur etwa der siebente Theil mußte wieder<lb/>
an kleine Landwirthe ausgeliehen werden, weil der französischen Landwirth-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0246] schoben. Wir wissen zwar, daß die Festung in Wahrheit nicht geschleift wird, wie doch der Vertrag bestimmte, und daß von Frankreich her unaufhörlich die Katzenpfoten danach ausgestreckt werden, aber die Bundesregierung will das nicht sehen und hat darüber keinerlei Bemerkungen gemacht. Alle andern Fragen, welche von deutschen Verräthern und fremden Intriganten gern als Handhabe zu einem Kriege aufgerührt würden, haben im Augenblick kaum eine andere Bedeutung, als die Spalten der Zeitungen zu füllen. Es hat gute Wege mit der Mainlinie, Nordschleswig ärgert nur aus alter Gewohn¬ heit die dänischen Zeitungen, die Mainzer Besatzungsfrage ist wohl nur ein bundesfreundlicher Einfall der Herren v. Dalwigk und Frank in Hessen-Darm¬ stadt, im Orient soll nach allgemeinem Beschluß der Großmächte in diesem Jahre Friede gehalten werden, und sorgfältig werden dort alle glimmenden Kohlen verdeckt; kurz der officielle Verkehr der Staaten wandelt so gemäch¬ lich, daß es eine Freude sein könnte. Und doch wissen wir in Deutschland, daß der Kaiser in einer Weise rü¬ stet, welche auf Krieg und nicht auf Frieden deutet, ja welche völlig unbe¬ greiflich ist, wenn er nicht den Krieg als nahe bevorstehend betrachtet. Daß die Reorganisation der französischen Armee mit größter Energie betrieben wurde, hatte nichts auffallendes; daß diese Reorganisation den ausgesproche¬ nen Zweck hatte, eine schnell disponible Kriegsmacht aufzustellen, welche der Heereskraft des deutschen Bundes überlegen sei, hat uns bei dem Stolz und kriegerischen Sinn der Franzosen nicht gewundert. So lange diese Aus¬ rüstung der französischen Nation geräuschvoll und mit offenbar demonstrativer Tendenz vor sich ging, war kein Grund zur Besorgniß und die Absicht klar. Aber was seitdem geschehen ist und noch geschieht, läßt sich beim besten Wil¬ len nicht mehr als eine Rüstung zur Erhaltung des Friedens deuten. Die sämmtlichen Festungen der französischen Ostseite sind völlig kriegsmäßig armirt, mit Geschützen, Munition und Kriegsbesatzung versehen. Die Vorberge der Vogesen bedecken sich mit einer Linie von Verschanzungen, dem verschwun¬ denen Dannewerk an Stärke und Großartigkeit der Anlage weit überlegen, die ganze Ostgrenze gegen Deutschland starrt von Kanonenreihen. Trotz der Mißernte sind die letzten Hafervorräthe in Frankreich aufgekauft wor¬ den und in ungeheuren Magazinen gesammelt. So hastig und rücksichts¬ los wurde gekauft, daß der Landwirthschaft Frankreichs das Saatgut fehlt und die Landleute bitter klagen, und es wurde gekauft in der Theuerung zu enormen Preisen, was man in diesem Herbst nach der neuen Ernte um viele Millionen billiger haben konnte. Ebenso hastig und ohne Rücksicht auf den Preis war der massenhafte Ankauf der Pferde, die Zahl derselben ist auf mehr als hunderttausend gebracht, nur etwa der siebente Theil mußte wieder an kleine Landwirthe ausgeliehen werden, weil der französischen Landwirth-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/246
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/246>, abgerufen am 15.01.2025.