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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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in einem Athem mitgetheilt. Anders bei Prokesch, der alle bezüglichen Me¬
moriale, Depeschen, Denkschriften, Jnstructionen u. s. w. nach den Originalen
so vollständig mittheilt, daß diese Beilagen drei von den fünf Bänden des
vorliegenden Werkes füllen und der Text des Autors auf die kleinere Hälfte
desselben (zwei starke Bände) beschränkt blieb. Damit sei zugleich gesagt, daß
die Darstellung, bei aller Parteinahme für die von Metternich und Gentz
befolgte Handlungsweise, den Charakter einer Objektivität und sachlichen Kälte
trägt, welche sich wohl rühmen darf, die Dinge "aus diplomatischem Stand¬
punkte" anzusehen, und gegen Gervinus gehalten schon den Vorzug hat,
nicht bedrängend und eigenem Urtheil vorgreifend auf den Leser einzudringen.
Das Bewußtsein, durch die mitgetheilten Quellennachweise controllirt zu
sein, hat die Darstellung des k. k. Jnternuntius zu einer Sauberkeit und
Behutsamkeit gezwungen, welche den Eindruck gewinnender Sachlichkeit schon
aus diesem äußerlichen Grunde macht. Der Strom der Erzählung fließt.
ebenmäßig und klar fort; ungehemmt durch moralische und geschichtsphilo-
sophische Erwägungen hält der Verfasser den Faden der Begebenheiten fest
in den Händen, um ihn erst am Ausgang des Weges, den zu durchwandern
er sich vorgenommen, aus den Händen zu legen. Der Stoff ist nach den Jahren,
in welche die einzelnen Begebenheiten fallen, gegliedert und jedes dieser
Iahrescapitel enthält zugleich die militärische und die diplomatische Geschichte
der zwölf Monate, welche es umfaßt. Getreu den Traditionen, in welchen
er aufgewachsen, hält Herr v. Prokesch an den Anschauungen wie an der
Phraseologie des Restaurationszeitalters fest; aber das Bekenntniß zu den
Stabilitätsgrundsätzen der Metternich und Gentz verhindert den erfahrenen
Diplomaten keineswegs an einer unbefangenen Auffassung der Menschen und
Verhältnisse, welche er uns vorführt und die wiederholten Anathemen, welche
gegen die "Umsturzpartei" und die "Feinde der europäischen Ordnung" ge>
sällt werden, machen ebenso den Eindruck stylistischer Gewohnheiten, wie die
einzelnen veralteten, mindestens nicht mehr allgemein gebräuchlichen syntak¬
tischen Wendungen, an denen der Autor festgehalten hat.

Was den eigentlichen Inhalt und das Verhältniß dieses Buches zu Ger¬
vinus und den Autoren anlangt, welche aus diesem geschöpft haben, so muß
allem zuvor constatirt werden, daß bezüglich der Hauptpunkte und des
wesentlichen Ganges der Dinge Uebereinstimmung stattfindet, so weit diese
durch das Material bedingt war. Damit ist aber nicht ausgeschlossen, daß
bezüglich der einzelnen Vorgänge und Phasen beinahe durchgängig Unter¬
scheidungen und Abweichungen vorkommen, deren Generalsumme nicht unbe¬
trächtlich, übrigens wesentlich auf die Verschiedenheit der Absichten zurückzu¬
führen ist, mit denen beide Schrifsteller ans Werk gingen. Geschieht es doch
häufig genug, daß von verschiedenen Leuten aus denselben Aktenstücken dia-


in einem Athem mitgetheilt. Anders bei Prokesch, der alle bezüglichen Me¬
moriale, Depeschen, Denkschriften, Jnstructionen u. s. w. nach den Originalen
so vollständig mittheilt, daß diese Beilagen drei von den fünf Bänden des
vorliegenden Werkes füllen und der Text des Autors auf die kleinere Hälfte
desselben (zwei starke Bände) beschränkt blieb. Damit sei zugleich gesagt, daß
die Darstellung, bei aller Parteinahme für die von Metternich und Gentz
befolgte Handlungsweise, den Charakter einer Objektivität und sachlichen Kälte
trägt, welche sich wohl rühmen darf, die Dinge „aus diplomatischem Stand¬
punkte" anzusehen, und gegen Gervinus gehalten schon den Vorzug hat,
nicht bedrängend und eigenem Urtheil vorgreifend auf den Leser einzudringen.
Das Bewußtsein, durch die mitgetheilten Quellennachweise controllirt zu
sein, hat die Darstellung des k. k. Jnternuntius zu einer Sauberkeit und
Behutsamkeit gezwungen, welche den Eindruck gewinnender Sachlichkeit schon
aus diesem äußerlichen Grunde macht. Der Strom der Erzählung fließt.
ebenmäßig und klar fort; ungehemmt durch moralische und geschichtsphilo-
sophische Erwägungen hält der Verfasser den Faden der Begebenheiten fest
in den Händen, um ihn erst am Ausgang des Weges, den zu durchwandern
er sich vorgenommen, aus den Händen zu legen. Der Stoff ist nach den Jahren,
in welche die einzelnen Begebenheiten fallen, gegliedert und jedes dieser
Iahrescapitel enthält zugleich die militärische und die diplomatische Geschichte
der zwölf Monate, welche es umfaßt. Getreu den Traditionen, in welchen
er aufgewachsen, hält Herr v. Prokesch an den Anschauungen wie an der
Phraseologie des Restaurationszeitalters fest; aber das Bekenntniß zu den
Stabilitätsgrundsätzen der Metternich und Gentz verhindert den erfahrenen
Diplomaten keineswegs an einer unbefangenen Auffassung der Menschen und
Verhältnisse, welche er uns vorführt und die wiederholten Anathemen, welche
gegen die „Umsturzpartei" und die „Feinde der europäischen Ordnung" ge>
sällt werden, machen ebenso den Eindruck stylistischer Gewohnheiten, wie die
einzelnen veralteten, mindestens nicht mehr allgemein gebräuchlichen syntak¬
tischen Wendungen, an denen der Autor festgehalten hat.

Was den eigentlichen Inhalt und das Verhältniß dieses Buches zu Ger¬
vinus und den Autoren anlangt, welche aus diesem geschöpft haben, so muß
allem zuvor constatirt werden, daß bezüglich der Hauptpunkte und des
wesentlichen Ganges der Dinge Uebereinstimmung stattfindet, so weit diese
durch das Material bedingt war. Damit ist aber nicht ausgeschlossen, daß
bezüglich der einzelnen Vorgänge und Phasen beinahe durchgängig Unter¬
scheidungen und Abweichungen vorkommen, deren Generalsumme nicht unbe¬
trächtlich, übrigens wesentlich auf die Verschiedenheit der Absichten zurückzu¬
führen ist, mit denen beide Schrifsteller ans Werk gingen. Geschieht es doch
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/235>, abgerufen am 15.01.2025.