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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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-durch die Geschicke, welche es vor seiner Veröffentlichung erlitt, mindestens
ebenso wichtig und interessant, wie durch seinen Inhalt.

Die erste Bresche, welche in die heilige Alliance gelegt wurde, war be¬
kanntlich der in seinem weiteren Verlauf von Rußland unterstützte Abfall
der Griechen von der hohen Pforte. Oestreichs orientalische Politik und
des Fürsten Metternich Stellung zur griechischen Frage haben lange Zeit
hindurch für die starken Seiten jener unglücklichen Staatskunst gegolten,
welche noch heute den Namen ihres Urhebers trägt und von allen Parteien
gleich rücksichtslos verurtheilt wird, vielleicht am entschiedensten von denen,
die berufen sind, des langjährigen Staatskanzlers Erbe zu übernehmen und
Soll und Haben desselben -- leider ohne bomzüeium inventarii -- abzu¬
wickeln. Selbst. erbitterte Gegner des von Metternich vertretenen Systems
waren vor zwanzig und dreißig Jahren -- namentlich zur Zeit der Befürch¬
tungen vor einer allgemeinen panslavistischen Überschwemmung Europas --
nicht abgeneigt, zuzugestehen, der Altmeister der Reactions- und Legitimitäts¬
politik habe wenigstens bezüglich der orientalischen Dinge und der Gefahren,
welche dem Gleichgewicht Europas aus dem wachsenden Einfluß Rußlands
am Bosporus erwuchsen, klarer gesehen, als die Mehrzahl seiner durch phi¬
lanthropische Phrasen bestochenen und verwirrten Zeitgenossen, klarer vor allem
als die preußischen Staatsmänner seiner Zeit, und er habe im Gegensatz
zu der Abhängigkeit und Gefügigkeit dieser das Talent bewährt, die.Russen
zu schieben, statt von ihnen geschoben zu werden. Man wird sich erinnern,
daß die Haltung, welche Oestreich zur Zeit des Krimkrieges einnahm, vielfach
mit metternich'schen Traditionen und Erfahrungen der zwanziger Jahre in
Beziehung gesetzt wurde und daß es auch in liberalen Kreisen nicht an Stim¬
men fehlte, welche dem Todfeinde der modernen Ideen damals die nachträg¬
liche Anerkennung nicht schuldig blieben, er habe wenigstens auf einem Gebiet
das Richtige erkannt und gewollt.

Lang genug hat die wiener Regierung die Möglichkeit in Händen ge¬
habt, diese günstige Meinung über ihre orientalische Politik, welche sich aus
Grund zeitweise weit verbreiteter Antipathien gegen Rußland gebildet hatte,
zu erhalten. Was man von der diplomatischen Geschichte des griechischen
Aufstandes und der zwanziger Jahre wußte, beschränkte sich vor noch nicht
all' zu langer Zeit auf einzelne fragmentarische Aktenstücke, welche durch
Jndiscretionen des Portfolio und anderer gelegentlicher Publicationen an
die Oeffentlichkeit gedrungen waren. Bei diesen Fragmenten ist es denn
längere Zeit hindurch geblieben. In richtiger Erkenntniß der Vortheile,
welche sich erringen ließen, wenn eine auf diplomatische Akten gestützte oft>
reichische Darstellung des wichtigsten Abschnitts der neueren orientalischen
Geschichte zuerst die Irrthümer zerstörte, welche sich in der Zeit der phil-


-durch die Geschicke, welche es vor seiner Veröffentlichung erlitt, mindestens
ebenso wichtig und interessant, wie durch seinen Inhalt.

Die erste Bresche, welche in die heilige Alliance gelegt wurde, war be¬
kanntlich der in seinem weiteren Verlauf von Rußland unterstützte Abfall
der Griechen von der hohen Pforte. Oestreichs orientalische Politik und
des Fürsten Metternich Stellung zur griechischen Frage haben lange Zeit
hindurch für die starken Seiten jener unglücklichen Staatskunst gegolten,
welche noch heute den Namen ihres Urhebers trägt und von allen Parteien
gleich rücksichtslos verurtheilt wird, vielleicht am entschiedensten von denen,
die berufen sind, des langjährigen Staatskanzlers Erbe zu übernehmen und
Soll und Haben desselben — leider ohne bomzüeium inventarii — abzu¬
wickeln. Selbst. erbitterte Gegner des von Metternich vertretenen Systems
waren vor zwanzig und dreißig Jahren — namentlich zur Zeit der Befürch¬
tungen vor einer allgemeinen panslavistischen Überschwemmung Europas —
nicht abgeneigt, zuzugestehen, der Altmeister der Reactions- und Legitimitäts¬
politik habe wenigstens bezüglich der orientalischen Dinge und der Gefahren,
welche dem Gleichgewicht Europas aus dem wachsenden Einfluß Rußlands
am Bosporus erwuchsen, klarer gesehen, als die Mehrzahl seiner durch phi¬
lanthropische Phrasen bestochenen und verwirrten Zeitgenossen, klarer vor allem
als die preußischen Staatsmänner seiner Zeit, und er habe im Gegensatz
zu der Abhängigkeit und Gefügigkeit dieser das Talent bewährt, die.Russen
zu schieben, statt von ihnen geschoben zu werden. Man wird sich erinnern,
daß die Haltung, welche Oestreich zur Zeit des Krimkrieges einnahm, vielfach
mit metternich'schen Traditionen und Erfahrungen der zwanziger Jahre in
Beziehung gesetzt wurde und daß es auch in liberalen Kreisen nicht an Stim¬
men fehlte, welche dem Todfeinde der modernen Ideen damals die nachträg¬
liche Anerkennung nicht schuldig blieben, er habe wenigstens auf einem Gebiet
das Richtige erkannt und gewollt.

Lang genug hat die wiener Regierung die Möglichkeit in Händen ge¬
habt, diese günstige Meinung über ihre orientalische Politik, welche sich aus
Grund zeitweise weit verbreiteter Antipathien gegen Rußland gebildet hatte,
zu erhalten. Was man von der diplomatischen Geschichte des griechischen
Aufstandes und der zwanziger Jahre wußte, beschränkte sich vor noch nicht
all' zu langer Zeit auf einzelne fragmentarische Aktenstücke, welche durch
Jndiscretionen des Portfolio und anderer gelegentlicher Publicationen an
die Oeffentlichkeit gedrungen waren. Bei diesen Fragmenten ist es denn
längere Zeit hindurch geblieben. In richtiger Erkenntniß der Vortheile,
welche sich erringen ließen, wenn eine auf diplomatische Akten gestützte oft>
reichische Darstellung des wichtigsten Abschnitts der neueren orientalischen
Geschichte zuerst die Irrthümer zerstörte, welche sich in der Zeit der phil-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/232>, abgerufen am 15.01.2025.