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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Gutes und Tüchtiges aus ihm werde, und es nicht mehr den Nachbarn und
sich selbst zu Schande und Spott dastehe!"

So schrieb ein deutscher Offizier im Jahr 1818.




Ein Leben Jesu vom Standpunkt moderner NeligioMt.

Indem unter diesem Titel eine literarische Novität eingeführt wird,
könnte man denken, ein solches Leben Jesu sei schon mehr dagewesen. Aber
Schleiermacher, Hase. Schenkel u, s. w. repräsentiren doch nicht eigentlich das,
was unter der obigen Aufschrift zu verstehen wäre. Schleiermacher hat mit
seinem Christusbilde zu sehr eine specifische Form der Frömmigkeit, die Herrn-
hutische vertreten; Hase ist zu sehr Aesthetiker, um den vollen Brustton der
Phrase zu besitzen; Schenkel hat mit seinem Charakterbild Jesu den praktisch
agitatorischen Zweck einer Hinaufhebung der Gemeindekirche zu dem eigenen
geläuterten Standpunkt verbunden. Im vorliegenden Falle dagegen handelt
es sich um ein Unternehmen, dessen Motiv die Religiosität mit all ihren
Bedürfnissen in der jetzigen gebildeten Welt ist. die Religiosität, frei von
Satzung und Kirche wie von jeder Parteistellung und jeder Absicht auf eine
Praktische, das Kirchenwesen berührende Wirksamkeit, einzig durch ihre eigenen
Lebensgesetze gebunden. Diese markirte Richtung ist ausgeprägt in dem im
vorigen Jahre erschienenen ersten Bande der:

Geschichte Jesu von Nazara in ihrer Verkettung mit dem Gesammtleben
seines Volks frei untersucht und erzählt v. Dr. Theodor Keim. Zürich 1867.

Die Frage, um deren Beantwortung es sich zunächst handeln wird, ist
die, wie sich bei Keims Standpunkt, den wir zum voraus als den der moder¬
nen Religiosität charakterisirt haben, die Lösung seiner Aufgabe"gestalten werde?

Gewiß im Sinne der großen Mehrzahl der Gebildeten hat Karl Zittek
in der badischen Generalsynode das Bekenntniß ausgesprochen: er halte Strauß
für den größten Kritiker, stehe ihm aber im Punkte des Glaubens diametral
gegenüber. Es wird nichts ins Gewissen geschoben sein, wenn wir dem Ver¬
fasser aus seinem Buche ungefähr das gleiche Glaubensbekenntniß nachweisen.
(6s dient wesentlich zur Charakteristik des dem Dogma und der Philosophie
gleich abholden, gegen alle großen und kleinen Thatsachen des Glaubens kri¬
tischen, aber gegen die eine Urthatsache seines Cultus gläubigen modernen
Christenthums, das Verhalten und die Stellung unseres Verfassers gegen den
Vertreter der wissenschaftlichen Kritik zu verfolgen. Wie es nicht anders sein
kann, muß in dem negativen Theile der kritischen Arbeit bei aller selbstän¬
digen Durchforschung des Stoffs die Uebereinstimmung mit dem Vorgänger


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Gutes und Tüchtiges aus ihm werde, und es nicht mehr den Nachbarn und
sich selbst zu Schande und Spott dastehe!"

So schrieb ein deutscher Offizier im Jahr 1818.




Ein Leben Jesu vom Standpunkt moderner NeligioMt.

Indem unter diesem Titel eine literarische Novität eingeführt wird,
könnte man denken, ein solches Leben Jesu sei schon mehr dagewesen. Aber
Schleiermacher, Hase. Schenkel u, s. w. repräsentiren doch nicht eigentlich das,
was unter der obigen Aufschrift zu verstehen wäre. Schleiermacher hat mit
seinem Christusbilde zu sehr eine specifische Form der Frömmigkeit, die Herrn-
hutische vertreten; Hase ist zu sehr Aesthetiker, um den vollen Brustton der
Phrase zu besitzen; Schenkel hat mit seinem Charakterbild Jesu den praktisch
agitatorischen Zweck einer Hinaufhebung der Gemeindekirche zu dem eigenen
geläuterten Standpunkt verbunden. Im vorliegenden Falle dagegen handelt
es sich um ein Unternehmen, dessen Motiv die Religiosität mit all ihren
Bedürfnissen in der jetzigen gebildeten Welt ist. die Religiosität, frei von
Satzung und Kirche wie von jeder Parteistellung und jeder Absicht auf eine
Praktische, das Kirchenwesen berührende Wirksamkeit, einzig durch ihre eigenen
Lebensgesetze gebunden. Diese markirte Richtung ist ausgeprägt in dem im
vorigen Jahre erschienenen ersten Bande der:

Geschichte Jesu von Nazara in ihrer Verkettung mit dem Gesammtleben
seines Volks frei untersucht und erzählt v. Dr. Theodor Keim. Zürich 1867.

Die Frage, um deren Beantwortung es sich zunächst handeln wird, ist
die, wie sich bei Keims Standpunkt, den wir zum voraus als den der moder¬
nen Religiosität charakterisirt haben, die Lösung seiner Aufgabe»gestalten werde?

Gewiß im Sinne der großen Mehrzahl der Gebildeten hat Karl Zittek
in der badischen Generalsynode das Bekenntniß ausgesprochen: er halte Strauß
für den größten Kritiker, stehe ihm aber im Punkte des Glaubens diametral
gegenüber. Es wird nichts ins Gewissen geschoben sein, wenn wir dem Ver¬
fasser aus seinem Buche ungefähr das gleiche Glaubensbekenntniß nachweisen.
(6s dient wesentlich zur Charakteristik des dem Dogma und der Philosophie
gleich abholden, gegen alle großen und kleinen Thatsachen des Glaubens kri¬
tischen, aber gegen die eine Urthatsache seines Cultus gläubigen modernen
Christenthums, das Verhalten und die Stellung unseres Verfassers gegen den
Vertreter der wissenschaftlichen Kritik zu verfolgen. Wie es nicht anders sein
kann, muß in dem negativen Theile der kritischen Arbeit bei aller selbstän¬
digen Durchforschung des Stoffs die Uebereinstimmung mit dem Vorgänger


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/215>, abgerufen am 15.01.2025.