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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Gerechtigkeit seinen gewichtigen Einfluß auf die Tarifbestimmungen wie auf
die Vorschriften über Schadenersatz zur Geltung bringe, Ein befriedigender
Zustand läßt sich nur unter der Aegide des Staates und des Gesetzes
herstellen.

Sollen die Eisenbahnen den Beruf erfüllen, der ihnen in der Gesellschaft
angewiesen ist, so müssen die Verwaltungen zunächst und vor allen Dingen
von der Ueberzeugung der Gemeinschaftlichkeit ihrer Interessen mit denjenigen
des Handels und der Gewerbe vollständig durchdrungen sein. Es ist ebenso
zu verwundern als zu beklagen, daß manche deutsche Eisenbahnverwaltungen
trotz der Erfahrungen, die sie während der geraumen Dauer ihres Bestandes
zu sammeln in den Stand gesetzt waren, die große Wichtigkeit der national-
ökonomischen Seite ihrer Aufgabe noch verkennen und vielfach in einer guten
und getreuen Rechnungsführung und in den Rücksichten auf die thunlichste
Sparsamkeit in den Ausgaben das ganze Maß ihrer Pflichterfüllung er¬
blicken, namentlich aber dem Irrwahne sich hingeben, daß eine möglichst hoch¬
geschraubte Normirung der Frachtsätze ihnen die größten Julräder gewähre.

Die ausgedehnteste Vermehrung der Julräder der Eisenbahnen kann
nur in dem aufrichtigen Wunsche des Handelsstandes liegen, denn eine solche
ist nur auf derselben rationellen Grundlage möglich, welche den Flor des
Handels und der Gewerbe bedingt. Sind diese Fähigkeiten nicht vorhan¬
den, so geräth mit ihrer Stockung auch der Verkehr auf den Eisenbahnen
sowohl in Bezug auf Personen wie auf Güter in Verfall. So einfach diese
Wahrheiten auch sind, so vollständig die Erfahrungen die Nichtigkeit und
das Gewicht derselben bestätigt haben, sie sind doch von manchen deutschen
Eisenbahnverwaltungen kaum gewürdigt worden. Selbst wo sie diese Wür¬
digung fanden, geschah das nicht in demselben Maße, als es von fremden
Eisenbahnverwaltungen namentlich in England und Frankreich geschehen ist.
Wenn in jenen Ländern irgend ein wichtiger Factor des Handels oder der
Industrie nicht in dem im Voraus berechneten Verhältnisse zu den Julräder
der Eisenbahnen beisteuert, so sucht in den genannten Ländern die betreffende
Bahnverwaltung in jedem einzelnen Falle die Ursache zu erforschen und, soweit
an ihr ist, hinwegzuräumen. Werfen wir einen Blick auf die bezüglichen
Transportverhältnisse Englands.

Vor Erbauung der Eisenbahnen kam in England keine Tonne Kohlen
aus dem Innern des Landes oder von Wales nach London. Newcastle und
die in der Nähe liegenden Seehäfen versahen diese Hauptstadt für ihren gan¬
zen Verbrauch. Jetzt bringen die Eisenbahnen jährlich von den Kohlenberg¬
werken über eine Million Tonnen oder zwanzig Millionen Centner nach
London. Die Fracht von Newcastle auf dem Seewege von 380 englischen
Meilen nach London beträgt in der Regel 7 Schilling 3 Pence per Tonne


Grenzbokn II. 1868. ^

Gerechtigkeit seinen gewichtigen Einfluß auf die Tarifbestimmungen wie auf
die Vorschriften über Schadenersatz zur Geltung bringe, Ein befriedigender
Zustand läßt sich nur unter der Aegide des Staates und des Gesetzes
herstellen.

Sollen die Eisenbahnen den Beruf erfüllen, der ihnen in der Gesellschaft
angewiesen ist, so müssen die Verwaltungen zunächst und vor allen Dingen
von der Ueberzeugung der Gemeinschaftlichkeit ihrer Interessen mit denjenigen
des Handels und der Gewerbe vollständig durchdrungen sein. Es ist ebenso
zu verwundern als zu beklagen, daß manche deutsche Eisenbahnverwaltungen
trotz der Erfahrungen, die sie während der geraumen Dauer ihres Bestandes
zu sammeln in den Stand gesetzt waren, die große Wichtigkeit der national-
ökonomischen Seite ihrer Aufgabe noch verkennen und vielfach in einer guten
und getreuen Rechnungsführung und in den Rücksichten auf die thunlichste
Sparsamkeit in den Ausgaben das ganze Maß ihrer Pflichterfüllung er¬
blicken, namentlich aber dem Irrwahne sich hingeben, daß eine möglichst hoch¬
geschraubte Normirung der Frachtsätze ihnen die größten Julräder gewähre.

Die ausgedehnteste Vermehrung der Julräder der Eisenbahnen kann
nur in dem aufrichtigen Wunsche des Handelsstandes liegen, denn eine solche
ist nur auf derselben rationellen Grundlage möglich, welche den Flor des
Handels und der Gewerbe bedingt. Sind diese Fähigkeiten nicht vorhan¬
den, so geräth mit ihrer Stockung auch der Verkehr auf den Eisenbahnen
sowohl in Bezug auf Personen wie auf Güter in Verfall. So einfach diese
Wahrheiten auch sind, so vollständig die Erfahrungen die Nichtigkeit und
das Gewicht derselben bestätigt haben, sie sind doch von manchen deutschen
Eisenbahnverwaltungen kaum gewürdigt worden. Selbst wo sie diese Wür¬
digung fanden, geschah das nicht in demselben Maße, als es von fremden
Eisenbahnverwaltungen namentlich in England und Frankreich geschehen ist.
Wenn in jenen Ländern irgend ein wichtiger Factor des Handels oder der
Industrie nicht in dem im Voraus berechneten Verhältnisse zu den Julräder
der Eisenbahnen beisteuert, so sucht in den genannten Ländern die betreffende
Bahnverwaltung in jedem einzelnen Falle die Ursache zu erforschen und, soweit
an ihr ist, hinwegzuräumen. Werfen wir einen Blick auf die bezüglichen
Transportverhältnisse Englands.

Vor Erbauung der Eisenbahnen kam in England keine Tonne Kohlen
aus dem Innern des Landes oder von Wales nach London. Newcastle und
die in der Nähe liegenden Seehäfen versahen diese Hauptstadt für ihren gan¬
zen Verbrauch. Jetzt bringen die Eisenbahnen jährlich von den Kohlenberg¬
werken über eine Million Tonnen oder zwanzig Millionen Centner nach
London. Die Fracht von Newcastle auf dem Seewege von 380 englischen
Meilen nach London beträgt in der Regel 7 Schilling 3 Pence per Tonne


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/21>, abgerufen am 15.01.2025.