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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Zwei Hauptmächte stehen noch wie sonst da in Deutschland, mit dem
Unterschiede, daß die eine, der man die deutsche Kaiserkrone gern wie ehemals
geben möchte, Oestreich/ innerlich durch den Geist ihrer Regierung, der
nicht fortschritt, sondern stehen blieb und erschlaffte, schwächer, die andere
aber, Preußen, die man jener unterordnen will, innerlich und äußerlich
stärker als je geworden ist. Der Wunsch ist gut und löblich, daß beide
Mächte zum Heil Deutschlands innig vereint bleiben und gegen außen und
innen nur immer nach einem Ziele hinstreben möchten; aber wer mag
glauben, daß dieser Wunsch zur Wirklichkeit werden könne? Wie kann man
wat/nen, daß zwei unabhängige Staaten -- und ein schwacher Reichsver¬
band wird sie nicht abhängig von einander machen -- je ein und denselben
Weg neben einander hingehen würden? Sie werden ihn gehen, so lange es
ihr beiderseitiger Vortheil will, sie werden ihn verlassen, sobald sich ihre
Ansichten und ihre Interessen theilen; und wie viel liegt zwischen Oest¬
reich und Preußen, das eine solche Theilung vielleicht sehr bald herbei¬
führen müßte? Es ist an sich unmöglich, daß sich die Staaten anziehen,
die Natur will, daß sie sich abstoßen; ein Unglück ist es, daß wir zwei
solcher Staaten in Deutschland haben, aber da sie da sind, wird die Natur,
unseres Friedens und Heils wegen, keine Ausnahme machen von ihrer
ewigen Regel.

Das wären die zwei Hauptmächte in Deutschland, aber was ist aus
den reichsunmittelbaren Kurfürsten, Herzögen und Fürsten geworden, die
zur Zeit des Reichs schon mächtiger waren, als sie sein sollten? Das sind
zum Theil hochfahrende Könige geworden, die sich schämen, deutschen Staaten
vorzustehen, und gern unabhängige europäische Mächte zu sein wünschten; oder
es sind mit souverainer Macht begabte Großherzoge, Herzöge und Fürsten
geworden, die von Unabhängigkeit und eigener Macht geträumt haben, und
den süßen, verführenden Traum nicht aufgeben wollen. Wie nun kann man
Wohl glauben, daß alle diese gut thun würden in einem Reiche, da die einige
Kraft fehlt, die sie von obenher zügeln könnte? -- Wahrhaftig, ein solches
Reich würde schlimmer sein, als keins, da wir immer mehr mit dem heiligen,
würdigen Namen ""Kaiser und Reich"" würden spielen, und über ihn spöt¬
teln lernen, und unwürdiger und unfähiger werden würden als je, künftig
einem solchen wieder anzugehören.

Von dem, was auf dem wiener Congreß für Deutschland festgestellt
werden wird, wenn wir es für mehr als eine Vorbereitung für die Zukunft
ansehen wollen, dürfen wir freilich nicht viel Heil für unser Baterland er¬
warten, denn dort war es schon nicht mehr Zeit, ihm eine feste, tüchtige
Verfassung zu geben; was früher vielleicht hätte geschehen können; -- aber
Was künftig geschehen kann, und geschehen wird, wenn wir nicht muthlos


Zwei Hauptmächte stehen noch wie sonst da in Deutschland, mit dem
Unterschiede, daß die eine, der man die deutsche Kaiserkrone gern wie ehemals
geben möchte, Oestreich/ innerlich durch den Geist ihrer Regierung, der
nicht fortschritt, sondern stehen blieb und erschlaffte, schwächer, die andere
aber, Preußen, die man jener unterordnen will, innerlich und äußerlich
stärker als je geworden ist. Der Wunsch ist gut und löblich, daß beide
Mächte zum Heil Deutschlands innig vereint bleiben und gegen außen und
innen nur immer nach einem Ziele hinstreben möchten; aber wer mag
glauben, daß dieser Wunsch zur Wirklichkeit werden könne? Wie kann man
wat/nen, daß zwei unabhängige Staaten — und ein schwacher Reichsver¬
band wird sie nicht abhängig von einander machen — je ein und denselben
Weg neben einander hingehen würden? Sie werden ihn gehen, so lange es
ihr beiderseitiger Vortheil will, sie werden ihn verlassen, sobald sich ihre
Ansichten und ihre Interessen theilen; und wie viel liegt zwischen Oest¬
reich und Preußen, das eine solche Theilung vielleicht sehr bald herbei¬
führen müßte? Es ist an sich unmöglich, daß sich die Staaten anziehen,
die Natur will, daß sie sich abstoßen; ein Unglück ist es, daß wir zwei
solcher Staaten in Deutschland haben, aber da sie da sind, wird die Natur,
unseres Friedens und Heils wegen, keine Ausnahme machen von ihrer
ewigen Regel.

Das wären die zwei Hauptmächte in Deutschland, aber was ist aus
den reichsunmittelbaren Kurfürsten, Herzögen und Fürsten geworden, die
zur Zeit des Reichs schon mächtiger waren, als sie sein sollten? Das sind
zum Theil hochfahrende Könige geworden, die sich schämen, deutschen Staaten
vorzustehen, und gern unabhängige europäische Mächte zu sein wünschten; oder
es sind mit souverainer Macht begabte Großherzoge, Herzöge und Fürsten
geworden, die von Unabhängigkeit und eigener Macht geträumt haben, und
den süßen, verführenden Traum nicht aufgeben wollen. Wie nun kann man
Wohl glauben, daß alle diese gut thun würden in einem Reiche, da die einige
Kraft fehlt, die sie von obenher zügeln könnte? — Wahrhaftig, ein solches
Reich würde schlimmer sein, als keins, da wir immer mehr mit dem heiligen,
würdigen Namen „„Kaiser und Reich"" würden spielen, und über ihn spöt¬
teln lernen, und unwürdiger und unfähiger werden würden als je, künftig
einem solchen wieder anzugehören.

Von dem, was auf dem wiener Congreß für Deutschland festgestellt
werden wird, wenn wir es für mehr als eine Vorbereitung für die Zukunft
ansehen wollen, dürfen wir freilich nicht viel Heil für unser Baterland er¬
warten, denn dort war es schon nicht mehr Zeit, ihm eine feste, tüchtige
Verfassung zu geben; was früher vielleicht hätte geschehen können; — aber
Was künftig geschehen kann, und geschehen wird, wenn wir nicht muthlos


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[0209] Zwei Hauptmächte stehen noch wie sonst da in Deutschland, mit dem Unterschiede, daß die eine, der man die deutsche Kaiserkrone gern wie ehemals geben möchte, Oestreich/ innerlich durch den Geist ihrer Regierung, der nicht fortschritt, sondern stehen blieb und erschlaffte, schwächer, die andere aber, Preußen, die man jener unterordnen will, innerlich und äußerlich stärker als je geworden ist. Der Wunsch ist gut und löblich, daß beide Mächte zum Heil Deutschlands innig vereint bleiben und gegen außen und innen nur immer nach einem Ziele hinstreben möchten; aber wer mag glauben, daß dieser Wunsch zur Wirklichkeit werden könne? Wie kann man wat/nen, daß zwei unabhängige Staaten — und ein schwacher Reichsver¬ band wird sie nicht abhängig von einander machen — je ein und denselben Weg neben einander hingehen würden? Sie werden ihn gehen, so lange es ihr beiderseitiger Vortheil will, sie werden ihn verlassen, sobald sich ihre Ansichten und ihre Interessen theilen; und wie viel liegt zwischen Oest¬ reich und Preußen, das eine solche Theilung vielleicht sehr bald herbei¬ führen müßte? Es ist an sich unmöglich, daß sich die Staaten anziehen, die Natur will, daß sie sich abstoßen; ein Unglück ist es, daß wir zwei solcher Staaten in Deutschland haben, aber da sie da sind, wird die Natur, unseres Friedens und Heils wegen, keine Ausnahme machen von ihrer ewigen Regel. Das wären die zwei Hauptmächte in Deutschland, aber was ist aus den reichsunmittelbaren Kurfürsten, Herzögen und Fürsten geworden, die zur Zeit des Reichs schon mächtiger waren, als sie sein sollten? Das sind zum Theil hochfahrende Könige geworden, die sich schämen, deutschen Staaten vorzustehen, und gern unabhängige europäische Mächte zu sein wünschten; oder es sind mit souverainer Macht begabte Großherzoge, Herzöge und Fürsten geworden, die von Unabhängigkeit und eigener Macht geträumt haben, und den süßen, verführenden Traum nicht aufgeben wollen. Wie nun kann man Wohl glauben, daß alle diese gut thun würden in einem Reiche, da die einige Kraft fehlt, die sie von obenher zügeln könnte? — Wahrhaftig, ein solches Reich würde schlimmer sein, als keins, da wir immer mehr mit dem heiligen, würdigen Namen „„Kaiser und Reich"" würden spielen, und über ihn spöt¬ teln lernen, und unwürdiger und unfähiger werden würden als je, künftig einem solchen wieder anzugehören. Von dem, was auf dem wiener Congreß für Deutschland festgestellt werden wird, wenn wir es für mehr als eine Vorbereitung für die Zukunft ansehen wollen, dürfen wir freilich nicht viel Heil für unser Baterland er¬ warten, denn dort war es schon nicht mehr Zeit, ihm eine feste, tüchtige Verfassung zu geben; was früher vielleicht hätte geschehen können; — aber Was künftig geschehen kann, und geschehen wird, wenn wir nicht muthlos

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/209>, abgerufen am 15.01.2025.