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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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wohl gar nie in ihm aufgegangen war, dann sollen wir auch nicht länger
mehr kindisch und weinerlich an der alten, todten Form hängen, sondern
lieber, den ursprünglichen Geist wieder auffassend und ihn mit einem jugendlich
kräftigen Körper vermählend, etwas Gutes, Tüchtiges, Neues zu Tage fördern."

Der Verfasser wirft dann einen Rückblick auf die deutsche Kaisergeschichte,
den er mit folgenden Bemerkungen schließt: "Die Kaiser, die durch ein Zu¬
sammentreffen von Umständen Deutschland bald nur noch aus dem Hause
Habsburg erhielt, strebten nur nach Vermehrung ihrer Hausmacht; da sie im
Reiche und durch das Reich nicht mehr mächtig waren, so wurden ihre Ver¬
hältnisse gegen das Ausland immer verwickelter, gegen innen aber immer
loser und unhaltbarer; dabei nahmen aber die Mißbräuche und die Aus¬
artung des Pfaffenthums mehr und mehr überHand; die Kaiser hingen ihm
fortdauernd streng an, weil sie, nur im Süden noch einheimisch, und durch
das dort herrschende Priesterthum befangen, den nach etwas anderem und
zeitgemäßerem strebenden Norden nicht zu verstehen vermochten. So entstand
die Reformation und mit ihr Deutschlands unverkennbare Trennung und
entschiedene Entfernung von aller Einheit. Der westphälische Friede trennte
auffallend den evangelisch gewordenen Norden vom katholisch gebliebenen
Süden. Im Norden von Deutschland entstand überdies später ein neuer
Staat -- Preußen, der sich der Herrschaft eines Kaisers aus dem Hause
Oestreich nicht mehr untergeben konnte und wollte. So hatten zwar die
Deutschen dem Namen nach noch ein Haupt und ein Reich, der That nach
aber schon lange nicht mehr. Wie sich das in der Folge zu unserer Schmach
auswies, das haben wir in der jüngsten Zeit alle erlebt."

"Darum nun müssen wir die alten Fehler vermeiden und nicht von
Neuem herbeiwünschen^ das aber würden wir, wenn wir die alte Reichs-
verfassung*), den Gedanken als möglich angenommen, in diesem Augenblick
wieder einzuführen trachteten.



- *) lU"d doch hatte damals die Sehnsucht nach der "alten" Reichsverfassung, die doch
Jahrhunderte lang eine Realität gehabt hatte, noch eher einen Sinn, als die heutige halb
greisenhafte, halb jugendlich semmelblonde Schwärmerei nach der "neuen" Reichsverfassung
und ihren, auf zukünftige Einführnngsgesejze vertröstenden, ooctrinär'professolhaftcn Grundrechten,
von welchen der unwissenden Masse die fabelhaftesten Dinge vorgegaukelt werden. Die 1849er
Reichsverfassung hat nie irgend eine Realität gehabt. Sie ist nie mehr gewesen, als ein Stück
Papier. Um sie einzuführen, müßten wir Schleswig-Holstein dem Dänen'Könige wiedergeben,
die Throne des Kurfürsten, des Georg Rex und des Adolphus Dux wieder aufrichten, und
das deutsche Heer auflösen. Alles das kann jemand , der seine fünf Sinne beisammen hat
und kein Vaterlandsverräther ist, nicht wollen. Freilich wird manches erläutert durch die Ent¬
schuldigung, die uns kürzlich ein "Entschiedenster" machte: Mit der 184Ser Reichsverfassung und
den Depossedirten sei es ja überhaupt gar nicht ernst gemeint; das sei ja all-s nur Ngitations-
mittel. in Wirklichkeit wolle man die Föderativrcpublik. Ob sich wohl die Depossedirten selbst
auch für bloße Herolde der Föderativrcpublik halten und in dieser Ueberzeugung der Agitation
Geld geben?

wohl gar nie in ihm aufgegangen war, dann sollen wir auch nicht länger
mehr kindisch und weinerlich an der alten, todten Form hängen, sondern
lieber, den ursprünglichen Geist wieder auffassend und ihn mit einem jugendlich
kräftigen Körper vermählend, etwas Gutes, Tüchtiges, Neues zu Tage fördern."

Der Verfasser wirft dann einen Rückblick auf die deutsche Kaisergeschichte,
den er mit folgenden Bemerkungen schließt: „Die Kaiser, die durch ein Zu¬
sammentreffen von Umständen Deutschland bald nur noch aus dem Hause
Habsburg erhielt, strebten nur nach Vermehrung ihrer Hausmacht; da sie im
Reiche und durch das Reich nicht mehr mächtig waren, so wurden ihre Ver¬
hältnisse gegen das Ausland immer verwickelter, gegen innen aber immer
loser und unhaltbarer; dabei nahmen aber die Mißbräuche und die Aus¬
artung des Pfaffenthums mehr und mehr überHand; die Kaiser hingen ihm
fortdauernd streng an, weil sie, nur im Süden noch einheimisch, und durch
das dort herrschende Priesterthum befangen, den nach etwas anderem und
zeitgemäßerem strebenden Norden nicht zu verstehen vermochten. So entstand
die Reformation und mit ihr Deutschlands unverkennbare Trennung und
entschiedene Entfernung von aller Einheit. Der westphälische Friede trennte
auffallend den evangelisch gewordenen Norden vom katholisch gebliebenen
Süden. Im Norden von Deutschland entstand überdies später ein neuer
Staat — Preußen, der sich der Herrschaft eines Kaisers aus dem Hause
Oestreich nicht mehr untergeben konnte und wollte. So hatten zwar die
Deutschen dem Namen nach noch ein Haupt und ein Reich, der That nach
aber schon lange nicht mehr. Wie sich das in der Folge zu unserer Schmach
auswies, das haben wir in der jüngsten Zeit alle erlebt."

„Darum nun müssen wir die alten Fehler vermeiden und nicht von
Neuem herbeiwünschen^ das aber würden wir, wenn wir die alte Reichs-
verfassung*), den Gedanken als möglich angenommen, in diesem Augenblick
wieder einzuführen trachteten.



- *) lU»d doch hatte damals die Sehnsucht nach der „alten" Reichsverfassung, die doch
Jahrhunderte lang eine Realität gehabt hatte, noch eher einen Sinn, als die heutige halb
greisenhafte, halb jugendlich semmelblonde Schwärmerei nach der „neuen" Reichsverfassung
und ihren, auf zukünftige Einführnngsgesejze vertröstenden, ooctrinär'professolhaftcn Grundrechten,
von welchen der unwissenden Masse die fabelhaftesten Dinge vorgegaukelt werden. Die 1849er
Reichsverfassung hat nie irgend eine Realität gehabt. Sie ist nie mehr gewesen, als ein Stück
Papier. Um sie einzuführen, müßten wir Schleswig-Holstein dem Dänen'Könige wiedergeben,
die Throne des Kurfürsten, des Georg Rex und des Adolphus Dux wieder aufrichten, und
das deutsche Heer auflösen. Alles das kann jemand , der seine fünf Sinne beisammen hat
und kein Vaterlandsverräther ist, nicht wollen. Freilich wird manches erläutert durch die Ent¬
schuldigung, die uns kürzlich ein „Entschiedenster" machte: Mit der 184Ser Reichsverfassung und
den Depossedirten sei es ja überhaupt gar nicht ernst gemeint; das sei ja all-s nur Ngitations-
mittel. in Wirklichkeit wolle man die Föderativrcpublik. Ob sich wohl die Depossedirten selbst
auch für bloße Herolde der Föderativrcpublik halten und in dieser Ueberzeugung der Agitation
Geld geben?
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/208>, abgerufen am 15.01.2025.