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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Ein politischer Prophet vom März 1815.

Unmittelbar nach der Juli-Revolution in den Jahren 1830 und 1831
wurde der erste Theil des "Briefwechsels zweier Deutschen" von dem Schwa¬
ben Paul Pfizer geschrieben und herausgegeben. Zum erstenmal wurde
hier die preußische Hegemonie, die Wiedergeburt und Einigung Deutschlands
in und durch Preußen, öffentlich als nationales Programm verkündigt.
Kurz darauf erschien, in gleichem Sinne gehalten, der bekannte Aufsatz von
W. Schulz in Rotteck's Annalen; und selbst Edgar Quinet, der damals
Deutschland bereiste, verkündigte nach seiner Rückkehr den Franzosen, er habe
den Eindruck gewonnen, binnen Kurzem würden sich die kleinen schwachen
Staaten um das starke discivlinirte Preußen, als den Kern und Führer der
Nation, schaaren. In der Zeit freilich irrte Quinet. In Deutschland eilte
man sich etwas langsam. Preußen hat 1831 sowohl wie 1849 den günstigen
Moment versäumt, um erst Jahrzehnte später in seinen nationalen Beruf ein¬
zutreten.

Jenen öffentlichen Kundgebungen ging jedoch der stille Gedanke einzelner
Patrioten lange voraus. So schrieb schon 1823 der General Fritz v. Ga¬
gern eine Denkschrift zu Gunsten des preußisch-deutschen Bundesstaates, die
damals nicht veröffentlicht wurde. Das merkwürdigste und älteste Actenstück
dieser Art aber ist ein Aufsatz vom März 181S mit der Ueberschrift: "Was
wird uns die Zukunft bringen?" und dem von Herder entlehnten Motto:
"Immer und überall sehen wir, daß die Natur zerstören muß, indem sie
wieder aufbauet, daß sie trennen muß, indem sie neu vereint."

Auf dem wiener Congresse, von welchem der geistreiche Fürst.von Ligne
sagte, daß er tanze, aber nicht vom Flecke komme eongrös "Zanss et us
mareks xas"), suchte sich damals das legitime Europa von 22jährigem
Kreuz und Leiden durch Divertissements zu erholen. Mitten in diesem
Meer von Vergnügungen dachte ein junger" Offizier über die Zukunft
Deutschlands. Der damals 23jährige Dr. Thon, aus einer alt-thüringisch¬
hessischen Familie stammend. die sich vielfach im Staatsdienste ausgezeichnet
hat, hatte als Lützower den Krieg von 1813 mitgemacht, war dann in den Dienst


Mnzboten II. 1868. 26
Ein politischer Prophet vom März 1815.

Unmittelbar nach der Juli-Revolution in den Jahren 1830 und 1831
wurde der erste Theil des „Briefwechsels zweier Deutschen" von dem Schwa¬
ben Paul Pfizer geschrieben und herausgegeben. Zum erstenmal wurde
hier die preußische Hegemonie, die Wiedergeburt und Einigung Deutschlands
in und durch Preußen, öffentlich als nationales Programm verkündigt.
Kurz darauf erschien, in gleichem Sinne gehalten, der bekannte Aufsatz von
W. Schulz in Rotteck's Annalen; und selbst Edgar Quinet, der damals
Deutschland bereiste, verkündigte nach seiner Rückkehr den Franzosen, er habe
den Eindruck gewonnen, binnen Kurzem würden sich die kleinen schwachen
Staaten um das starke discivlinirte Preußen, als den Kern und Führer der
Nation, schaaren. In der Zeit freilich irrte Quinet. In Deutschland eilte
man sich etwas langsam. Preußen hat 1831 sowohl wie 1849 den günstigen
Moment versäumt, um erst Jahrzehnte später in seinen nationalen Beruf ein¬
zutreten.

Jenen öffentlichen Kundgebungen ging jedoch der stille Gedanke einzelner
Patrioten lange voraus. So schrieb schon 1823 der General Fritz v. Ga¬
gern eine Denkschrift zu Gunsten des preußisch-deutschen Bundesstaates, die
damals nicht veröffentlicht wurde. Das merkwürdigste und älteste Actenstück
dieser Art aber ist ein Aufsatz vom März 181S mit der Ueberschrift: „Was
wird uns die Zukunft bringen?" und dem von Herder entlehnten Motto:
„Immer und überall sehen wir, daß die Natur zerstören muß, indem sie
wieder aufbauet, daß sie trennen muß, indem sie neu vereint."

Auf dem wiener Congresse, von welchem der geistreiche Fürst.von Ligne
sagte, daß er tanze, aber nicht vom Flecke komme eongrös «Zanss et us
mareks xas"), suchte sich damals das legitime Europa von 22jährigem
Kreuz und Leiden durch Divertissements zu erholen. Mitten in diesem
Meer von Vergnügungen dachte ein junger" Offizier über die Zukunft
Deutschlands. Der damals 23jährige Dr. Thon, aus einer alt-thüringisch¬
hessischen Familie stammend. die sich vielfach im Staatsdienste ausgezeichnet
hat, hatte als Lützower den Krieg von 1813 mitgemacht, war dann in den Dienst


Mnzboten II. 1868. 26
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[0205] Ein politischer Prophet vom März 1815. Unmittelbar nach der Juli-Revolution in den Jahren 1830 und 1831 wurde der erste Theil des „Briefwechsels zweier Deutschen" von dem Schwa¬ ben Paul Pfizer geschrieben und herausgegeben. Zum erstenmal wurde hier die preußische Hegemonie, die Wiedergeburt und Einigung Deutschlands in und durch Preußen, öffentlich als nationales Programm verkündigt. Kurz darauf erschien, in gleichem Sinne gehalten, der bekannte Aufsatz von W. Schulz in Rotteck's Annalen; und selbst Edgar Quinet, der damals Deutschland bereiste, verkündigte nach seiner Rückkehr den Franzosen, er habe den Eindruck gewonnen, binnen Kurzem würden sich die kleinen schwachen Staaten um das starke discivlinirte Preußen, als den Kern und Führer der Nation, schaaren. In der Zeit freilich irrte Quinet. In Deutschland eilte man sich etwas langsam. Preußen hat 1831 sowohl wie 1849 den günstigen Moment versäumt, um erst Jahrzehnte später in seinen nationalen Beruf ein¬ zutreten. Jenen öffentlichen Kundgebungen ging jedoch der stille Gedanke einzelner Patrioten lange voraus. So schrieb schon 1823 der General Fritz v. Ga¬ gern eine Denkschrift zu Gunsten des preußisch-deutschen Bundesstaates, die damals nicht veröffentlicht wurde. Das merkwürdigste und älteste Actenstück dieser Art aber ist ein Aufsatz vom März 181S mit der Ueberschrift: „Was wird uns die Zukunft bringen?" und dem von Herder entlehnten Motto: „Immer und überall sehen wir, daß die Natur zerstören muß, indem sie wieder aufbauet, daß sie trennen muß, indem sie neu vereint." Auf dem wiener Congresse, von welchem der geistreiche Fürst.von Ligne sagte, daß er tanze, aber nicht vom Flecke komme eongrös «Zanss et us mareks xas"), suchte sich damals das legitime Europa von 22jährigem Kreuz und Leiden durch Divertissements zu erholen. Mitten in diesem Meer von Vergnügungen dachte ein junger" Offizier über die Zukunft Deutschlands. Der damals 23jährige Dr. Thon, aus einer alt-thüringisch¬ hessischen Familie stammend. die sich vielfach im Staatsdienste ausgezeichnet hat, hatte als Lützower den Krieg von 1813 mitgemacht, war dann in den Dienst Mnzboten II. 1868. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/205>, abgerufen am 15.01.2025.