Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.ist, wird man diese neue freie Einung in jeder Art natürlich und gerechtfertigt finden. Auch sonst ist nicht zu fürchten, daß eine etwaige Uebersetzung Dantes Scha¬ Wie Weit nämlich Dante auf das größere Publicum zu wirken vermag, läßt ist, wird man diese neue freie Einung in jeder Art natürlich und gerechtfertigt finden. Auch sonst ist nicht zu fürchten, daß eine etwaige Uebersetzung Dantes Scha¬ Wie Weit nämlich Dante auf das größere Publicum zu wirken vermag, läßt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0201" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117733"/> <p xml:id="ID_621" prev="#ID_620"> ist, wird man diese neue freie Einung in jeder Art natürlich und gerechtfertigt finden.<lb/> Denn es ist nicht unsere Schwäche, sondern unsere Stärke, daß wir neben Shak-<lb/> speare auch Dante zu den unseren zählen. Dante wird, das ist leicht zu sehen, sich<lb/> niemals eine Popularität wie Shakespeare erringen, und es würde eine seltsame<lb/> und bedenkliche Verschrobenheit des deutschen Sinnes und des deutschen Lebens be¬<lb/> deuten, wenn es ihm dennoch gelingen sollte, in dieser Hinsicht mit jenem zu riva-<lb/> lisiren, obwohl es uns noch immer nicht so gefährlich -dünken möchte, als wenn etwa<lb/> Calderon einen erfolgreichen Wettstreit mit dem protestantischen Dramatiker beginnen<lb/> dürfte. Dante kann uns in keinem Falle in dem Fortschritt nach dem nächsten<lb/> -Ziele unserer nationalen Bildung aufhalten oder irre machen: der poetische Reprä¬<lb/> sentant des Geistes Philipps II. und Tridentinums ist in allen und jeden Dingen<lb/> vom größten bis zum kleinsten für uns dasselbe, was Opium den Nerven. Der Geist<lb/> des Mittelalters dagegen in seiner wahren Quintessenz, wie sie Dante gibt, kann<lb/> uns weder animiren noch beschädigen. Es ist eine fremdartige und doch wieder ver¬<lb/> wandte Welt, mit der wir freundlich verkehren können, weil sie gar keinen Anspruch<lb/> darauf erhebt, außerhalb ihres Kreises zu existiren.</p><lb/> <p xml:id="ID_622"> Auch sonst ist nicht zu fürchten, daß eine etwaige Uebersetzung Dantes Scha¬<lb/> den bringen könne. Bei der uns eigenen Tiefgründigkeit und Schwerbcweglichkeit<lb/> mögen wir uns freilich kaum vor einer solchen bewahren. Man weiß ja, wie es<lb/> uns zu gehen pflegt, wenn wir uns auf irgend einen Gegenstand aus dem Bereiche<lb/> der idealen Interessen, möge er einen Namen haben, welchen er wolle, eapriciren.<lb/> Wir sind dann im wahren Wortsinn recht eigentlich darauf versessen und die Be¬<lb/> sessenheit, die aus der Versessenheit nothwendig folgt, kann dann weder nach rechts<lb/> noch nach links etwas anderes sehen, als was ihr sür das ein und alles gilt. Doch<lb/> bei Dante ist schon durch äußere Hindernisse dafür gesorgt, daß sich aus einer solchen<lb/> Befangenheit nicht eine wirkliche Manie erzeugt. Form und Inhalt setzen doch, um<lb/> nur irgend wirken zu können, einen zu exclusiver und zu mühseligen Apparat von<lb/> Kenntnissen und Studien Ävraus, als daß sich die Masse des begeisterungsfähigen<lb/> Publicums jemals in irgend einen Rapport mit ihm setzen könnte. Einzelne exal-<lb/> tirte Schwärmer kann man aber unbedenklich ihrem unschuldigen Gewerbe nachgehen<lb/> lassen. Die deutsche Welt schließt so viel wunderliche Originale in sich, ohne aus«<lb/> einanderzufallen, daß auch solche noch darin Platz haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_623" next="#ID_624"> Wie Weit nämlich Dante auf das größere Publicum zu wirken vermag, läßt<lb/> sich.leicht erproben, wenn man vorurtheilsfrei den Eindruck seiner Uebersetzungen be¬<lb/> obachtet. Gleichviel, welche man für die beste erklären will, es wird keiner gelingen,<lb/> einem gewöhnlichen gebildeten Leser auch nur deutlich zu machen, um was es sich<lb/> eigentlich in dem großen, seltsamen Gedichte handelt. Denn daß es nicht auf die<lb/> gewöhnlichen Vorstellungen von Hölle, Fegefeuer und Himmel abgesehen sei, bemerkt<lb/> freilich jeder leicht, aber damit ist nicht viel gewonnen, wenn man nicht zugleich ver¬<lb/> steht mit welchem Recht und unter welchen Bedingungen diese barocken neuen Ge¬<lb/> stalten ihm an der Stelle der herkömmlichen aufgedrängt werden. Die Commentare,<lb/> Komik sehr viele unserer Uebersetzungen ausgestattet sind, helfen nur wenig, theils<lb/> Keil sie aus äußeren Gründen ein an sich löbliches Bestreben nach Kürze allzusehr<lb/> begünstigen, theils weil sie von Voraussetzungen historischer, philosophischer und theo¬<lb/> logischer Specialkenntnisse ausgehen, welche der Durchschnittsgebildete als zu hoch</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0201]
ist, wird man diese neue freie Einung in jeder Art natürlich und gerechtfertigt finden.
Denn es ist nicht unsere Schwäche, sondern unsere Stärke, daß wir neben Shak-
speare auch Dante zu den unseren zählen. Dante wird, das ist leicht zu sehen, sich
niemals eine Popularität wie Shakespeare erringen, und es würde eine seltsame
und bedenkliche Verschrobenheit des deutschen Sinnes und des deutschen Lebens be¬
deuten, wenn es ihm dennoch gelingen sollte, in dieser Hinsicht mit jenem zu riva-
lisiren, obwohl es uns noch immer nicht so gefährlich -dünken möchte, als wenn etwa
Calderon einen erfolgreichen Wettstreit mit dem protestantischen Dramatiker beginnen
dürfte. Dante kann uns in keinem Falle in dem Fortschritt nach dem nächsten
-Ziele unserer nationalen Bildung aufhalten oder irre machen: der poetische Reprä¬
sentant des Geistes Philipps II. und Tridentinums ist in allen und jeden Dingen
vom größten bis zum kleinsten für uns dasselbe, was Opium den Nerven. Der Geist
des Mittelalters dagegen in seiner wahren Quintessenz, wie sie Dante gibt, kann
uns weder animiren noch beschädigen. Es ist eine fremdartige und doch wieder ver¬
wandte Welt, mit der wir freundlich verkehren können, weil sie gar keinen Anspruch
darauf erhebt, außerhalb ihres Kreises zu existiren.
Auch sonst ist nicht zu fürchten, daß eine etwaige Uebersetzung Dantes Scha¬
den bringen könne. Bei der uns eigenen Tiefgründigkeit und Schwerbcweglichkeit
mögen wir uns freilich kaum vor einer solchen bewahren. Man weiß ja, wie es
uns zu gehen pflegt, wenn wir uns auf irgend einen Gegenstand aus dem Bereiche
der idealen Interessen, möge er einen Namen haben, welchen er wolle, eapriciren.
Wir sind dann im wahren Wortsinn recht eigentlich darauf versessen und die Be¬
sessenheit, die aus der Versessenheit nothwendig folgt, kann dann weder nach rechts
noch nach links etwas anderes sehen, als was ihr sür das ein und alles gilt. Doch
bei Dante ist schon durch äußere Hindernisse dafür gesorgt, daß sich aus einer solchen
Befangenheit nicht eine wirkliche Manie erzeugt. Form und Inhalt setzen doch, um
nur irgend wirken zu können, einen zu exclusiver und zu mühseligen Apparat von
Kenntnissen und Studien Ävraus, als daß sich die Masse des begeisterungsfähigen
Publicums jemals in irgend einen Rapport mit ihm setzen könnte. Einzelne exal-
tirte Schwärmer kann man aber unbedenklich ihrem unschuldigen Gewerbe nachgehen
lassen. Die deutsche Welt schließt so viel wunderliche Originale in sich, ohne aus«
einanderzufallen, daß auch solche noch darin Platz haben.
Wie Weit nämlich Dante auf das größere Publicum zu wirken vermag, läßt
sich.leicht erproben, wenn man vorurtheilsfrei den Eindruck seiner Uebersetzungen be¬
obachtet. Gleichviel, welche man für die beste erklären will, es wird keiner gelingen,
einem gewöhnlichen gebildeten Leser auch nur deutlich zu machen, um was es sich
eigentlich in dem großen, seltsamen Gedichte handelt. Denn daß es nicht auf die
gewöhnlichen Vorstellungen von Hölle, Fegefeuer und Himmel abgesehen sei, bemerkt
freilich jeder leicht, aber damit ist nicht viel gewonnen, wenn man nicht zugleich ver¬
steht mit welchem Recht und unter welchen Bedingungen diese barocken neuen Ge¬
stalten ihm an der Stelle der herkömmlichen aufgedrängt werden. Die Commentare,
Komik sehr viele unserer Uebersetzungen ausgestattet sind, helfen nur wenig, theils
Keil sie aus äußeren Gründen ein an sich löbliches Bestreben nach Kürze allzusehr
begünstigen, theils weil sie von Voraussetzungen historischer, philosophischer und theo¬
logischer Specialkenntnisse ausgehen, welche der Durchschnittsgebildete als zu hoch
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