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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Aehnlich verhält es sich mit den Differenzialfrachten. Die Differenzial-
tarife stellen das Naturgesetz der räumlichen Entfernung häusig geradezu auf
den Kops. Die Eisenbahnen haben den Zweck, räumliche Entfernungen in
möglichst kurzer Frist zurückzulegen. Es liegt auf der Hand, daß die ganze
ökonomische Einrichtung eines Landes oder einer Provinz umgestürzt wird,
wenn ein Endpunkt an den andern, nicht aber in gleichem Verhältniß das
Mittelland an beide näher herangerückt wird. Breslau z. B. wird durch
diese neue Eisenbahngeographie in gewisser Beziehung so behandelt, -als läge
es in südlicher Richtung noch hinter Wien und in nördlicher Richtung noch
hinter Stettin oder Hamburg. Auf diese Weise corrigiren und verändern
die Bahnverwaltungen die Landkarte. Das räumliche Naturgesetz ist vor
ihren Tarifen nicht sicher; eine zuverlässige Calculation der Entfernungen,
diese Grundlage aller Handelsberechtigungen gibt es nicht mehr. Die Diffe-
renzialtarife belasten die von ihnen getroffenen Handelsplätze und deren öko¬
nomische Gebiete wie Prohibitivzölle. Jeder Eingriff in die natürliche Ent¬
wicklung der Dinge ist aber von den nachtheiligsten Folgen begleitet, schon
weil sie um so weniger berechenbar sind, je wandelbarer der Wille und die
Ansicht derer ist, welche an Stelle der unwandelbaren Naturgesetze dem Ver¬
kehr neue Bahnen dictiren wollen.

Die Min den er Handelskammer führte unlängst dieselbe Klage. Auch
in dem Jahresberichte der Kölner Handelskammer fanden wir eine leb¬
hafte Beschwerde über die Benachtheiligung des Zwischenhandels des kölner
Platzes durch diese Differenzialtarife, welche für den Verkehr zwischen Ant¬
werpen und den süddeutschen Plätzen bestehen. Während die Fracht von
Antwerpen nach Würzburg direct nur Is Sgr. ö Pfg. per Centner beträgt,
macht sie von Antwerpen nach Cöln und von Cöln nach Würzburg zusam¬
men 22 Sgr. 4 Pfg. pr. Centner.

Von ebenso großer Wichtigkeit für den Handelsstand, als die Reform
des Eisenbahntarifs ist die Verantwortlichkeit der Eisenbahnverwaltungen
in Bezug auf Defecte und in Bezug auf die Lieferungszeit.'

Beraubungen der spedirten Güter werden zuweilen in größerem Ma߬
stabe und ohne daß ein wirksamer Schutz gegen dieselben stattfände, betrieben
so lange die Bahnverwaltungen dieselben mit Hilfe der Reglements gleichsam
unter ihren Schutz nehmen. Dem Handelsstande wird dadurch eine unfrei¬
willige Steuer oder vielmehr Brandschatzung auferlegt, die sehr häufig die zu
zahlenden gesetzlichen Steuern übersteigt.

Es ist bekannt, daß das Personal der Güterexpeditionen angewiesen ist,
die Güter mit declarirtem Werthe, wenn eben möglich, nicht über Nacht in
dem Güterschuppen lagern, sondern unmittelbar beim Ausladen abfahren zu
lassen. Die Güter ohne deelarirten Werth, für welche im günstigsten Falle


Aehnlich verhält es sich mit den Differenzialfrachten. Die Differenzial-
tarife stellen das Naturgesetz der räumlichen Entfernung häusig geradezu auf
den Kops. Die Eisenbahnen haben den Zweck, räumliche Entfernungen in
möglichst kurzer Frist zurückzulegen. Es liegt auf der Hand, daß die ganze
ökonomische Einrichtung eines Landes oder einer Provinz umgestürzt wird,
wenn ein Endpunkt an den andern, nicht aber in gleichem Verhältniß das
Mittelland an beide näher herangerückt wird. Breslau z. B. wird durch
diese neue Eisenbahngeographie in gewisser Beziehung so behandelt, -als läge
es in südlicher Richtung noch hinter Wien und in nördlicher Richtung noch
hinter Stettin oder Hamburg. Auf diese Weise corrigiren und verändern
die Bahnverwaltungen die Landkarte. Das räumliche Naturgesetz ist vor
ihren Tarifen nicht sicher; eine zuverlässige Calculation der Entfernungen,
diese Grundlage aller Handelsberechtigungen gibt es nicht mehr. Die Diffe-
renzialtarife belasten die von ihnen getroffenen Handelsplätze und deren öko¬
nomische Gebiete wie Prohibitivzölle. Jeder Eingriff in die natürliche Ent¬
wicklung der Dinge ist aber von den nachtheiligsten Folgen begleitet, schon
weil sie um so weniger berechenbar sind, je wandelbarer der Wille und die
Ansicht derer ist, welche an Stelle der unwandelbaren Naturgesetze dem Ver¬
kehr neue Bahnen dictiren wollen.

Die Min den er Handelskammer führte unlängst dieselbe Klage. Auch
in dem Jahresberichte der Kölner Handelskammer fanden wir eine leb¬
hafte Beschwerde über die Benachtheiligung des Zwischenhandels des kölner
Platzes durch diese Differenzialtarife, welche für den Verkehr zwischen Ant¬
werpen und den süddeutschen Plätzen bestehen. Während die Fracht von
Antwerpen nach Würzburg direct nur Is Sgr. ö Pfg. per Centner beträgt,
macht sie von Antwerpen nach Cöln und von Cöln nach Würzburg zusam¬
men 22 Sgr. 4 Pfg. pr. Centner.

Von ebenso großer Wichtigkeit für den Handelsstand, als die Reform
des Eisenbahntarifs ist die Verantwortlichkeit der Eisenbahnverwaltungen
in Bezug auf Defecte und in Bezug auf die Lieferungszeit.'

Beraubungen der spedirten Güter werden zuweilen in größerem Ma߬
stabe und ohne daß ein wirksamer Schutz gegen dieselben stattfände, betrieben
so lange die Bahnverwaltungen dieselben mit Hilfe der Reglements gleichsam
unter ihren Schutz nehmen. Dem Handelsstande wird dadurch eine unfrei¬
willige Steuer oder vielmehr Brandschatzung auferlegt, die sehr häufig die zu
zahlenden gesetzlichen Steuern übersteigt.

Es ist bekannt, daß das Personal der Güterexpeditionen angewiesen ist,
die Güter mit declarirtem Werthe, wenn eben möglich, nicht über Nacht in
dem Güterschuppen lagern, sondern unmittelbar beim Ausladen abfahren zu
lassen. Die Güter ohne deelarirten Werth, für welche im günstigsten Falle


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[0019] Aehnlich verhält es sich mit den Differenzialfrachten. Die Differenzial- tarife stellen das Naturgesetz der räumlichen Entfernung häusig geradezu auf den Kops. Die Eisenbahnen haben den Zweck, räumliche Entfernungen in möglichst kurzer Frist zurückzulegen. Es liegt auf der Hand, daß die ganze ökonomische Einrichtung eines Landes oder einer Provinz umgestürzt wird, wenn ein Endpunkt an den andern, nicht aber in gleichem Verhältniß das Mittelland an beide näher herangerückt wird. Breslau z. B. wird durch diese neue Eisenbahngeographie in gewisser Beziehung so behandelt, -als läge es in südlicher Richtung noch hinter Wien und in nördlicher Richtung noch hinter Stettin oder Hamburg. Auf diese Weise corrigiren und verändern die Bahnverwaltungen die Landkarte. Das räumliche Naturgesetz ist vor ihren Tarifen nicht sicher; eine zuverlässige Calculation der Entfernungen, diese Grundlage aller Handelsberechtigungen gibt es nicht mehr. Die Diffe- renzialtarife belasten die von ihnen getroffenen Handelsplätze und deren öko¬ nomische Gebiete wie Prohibitivzölle. Jeder Eingriff in die natürliche Ent¬ wicklung der Dinge ist aber von den nachtheiligsten Folgen begleitet, schon weil sie um so weniger berechenbar sind, je wandelbarer der Wille und die Ansicht derer ist, welche an Stelle der unwandelbaren Naturgesetze dem Ver¬ kehr neue Bahnen dictiren wollen. Die Min den er Handelskammer führte unlängst dieselbe Klage. Auch in dem Jahresberichte der Kölner Handelskammer fanden wir eine leb¬ hafte Beschwerde über die Benachtheiligung des Zwischenhandels des kölner Platzes durch diese Differenzialtarife, welche für den Verkehr zwischen Ant¬ werpen und den süddeutschen Plätzen bestehen. Während die Fracht von Antwerpen nach Würzburg direct nur Is Sgr. ö Pfg. per Centner beträgt, macht sie von Antwerpen nach Cöln und von Cöln nach Würzburg zusam¬ men 22 Sgr. 4 Pfg. pr. Centner. Von ebenso großer Wichtigkeit für den Handelsstand, als die Reform des Eisenbahntarifs ist die Verantwortlichkeit der Eisenbahnverwaltungen in Bezug auf Defecte und in Bezug auf die Lieferungszeit.' Beraubungen der spedirten Güter werden zuweilen in größerem Ma߬ stabe und ohne daß ein wirksamer Schutz gegen dieselben stattfände, betrieben so lange die Bahnverwaltungen dieselben mit Hilfe der Reglements gleichsam unter ihren Schutz nehmen. Dem Handelsstande wird dadurch eine unfrei¬ willige Steuer oder vielmehr Brandschatzung auferlegt, die sehr häufig die zu zahlenden gesetzlichen Steuern übersteigt. Es ist bekannt, daß das Personal der Güterexpeditionen angewiesen ist, die Güter mit declarirtem Werthe, wenn eben möglich, nicht über Nacht in dem Güterschuppen lagern, sondern unmittelbar beim Ausladen abfahren zu lassen. Die Güter ohne deelarirten Werth, für welche im günstigsten Falle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/19>, abgerufen am 15.01.2025.