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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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verdrängen und dem vaterländischen Volkswohlstande die gefährlichsten Wun¬
den schlagen.

Es ist an und für sich ein falscher Grundsatz, hohe Frachtsätze zu for¬
dern, weil eine Bahn hohe Betriebskosten hat. Nicht das Baucapital, nicht
die Betriebskosten, nicht die Schwierigkeit der Unterhaltung, sondern haupt¬
sächlich die Frequenz, die Gütermasse sind das entscheidende Moment
bei der Wirthschaftspolitik der Eisenbahnen. Wie gar weit die deutschen
Eisenbahnen in diesem Punkte noch zurückstehen, beweisen die englischen Bah¬
nen. Während die ersteren im Jahr 1858 nur 477,000,000 Centner Güter
beförderten, betrug der Güterversand in demselben Jahre auf den großbritan¬
nischen Bahnen 1,483,955,000 Centner, mithin das dreifache, trotzdem daß
Deutschland 70 Millionen Einwohner und Großbritannien nur 27 Millionen
zählt. Ein solcher Verkehr kann nur da entstehen, wo man es begreift, daß
der Handel mit den Transportanstalten so innig zusammenhängt, daß eine
gegenseitige Entfremdung beiden Theilen die schwersten Wunden schlagen
muß. Es liegt darum auf der Hand, daß bei den Eisenbahnen nicht sowohl die
Höhe der Frachtsätze als die Masse der Güter in Betracht komme, welche
durch genügend e Frachtermäßigungen dem Bahntransport gewonnen werden.

Daß-selbst unbedeutend erscheinende Erhöhungen der Transportkosten
den Handelswegen andere Richtungen geben oder dieselben vollständig- ver¬
stopfen, lehrt die Erfahrung zur Genüge. Wie nachtheilig die' geringste
Transportvcrtheuerung aber auf die Transporteure selbst wirken kann, geht
aus nachstehendem Beispiel hervor. Von Paris nach Rouen und von Paris
nach Mons befördert die Eisenbahn in 7 resp. 15 Stunden, die Schifffahrt
in 3 resp. 7 Tagen; trotzdem hat die Eisenbahn zwischen Paris und Rouen
nur 451,683, die Schifffahrt 4,500,000, sowie zwischen Paris und Mons
erstere nur 1,176,592, letztere dagegen über 6,500,000 Tonnen befördert, und
zwar weil die Preisdifferenz einen Centimen per Tonne und Kilometer beträgt.

Auch die Eisenproduction aus Rheinland und Westphalen ist für den
Versand nach Berlin und dem Norden durch den hohen Bahnfrachtsatz zur
Aufsuchung von Wegen genöthigt worden, deren Benutzung am deutlichsten
zeigt, wie ungerechtfertigt dieser Satz ist und wie wenig derselbe den indu¬
striellen wie den eignen Interessen der Bahnen Rechnung trägt. Wer sollte
glauben, daß der Weg aus Rheinland-Westphalen nach Berlin über Rotter¬
dam, Amsterdam und Stettin und von dort nach Berlin führen und dabei
sich ungleich billiger stellen könnte als der directe? Daß zu soweitschichtigen
Auskunftsmitteln gegriffen wird, beweist, daß die gegebenen Verhältnisse der
Vervollkommnung bedürftig sind, zumal diese Auskunftsmittel doch nur von
bedingtem Werth sind, denn der Wassertransport kann im Laufe des Win¬
ters nur ausnahmsweise angewendet werden.


verdrängen und dem vaterländischen Volkswohlstande die gefährlichsten Wun¬
den schlagen.

Es ist an und für sich ein falscher Grundsatz, hohe Frachtsätze zu for¬
dern, weil eine Bahn hohe Betriebskosten hat. Nicht das Baucapital, nicht
die Betriebskosten, nicht die Schwierigkeit der Unterhaltung, sondern haupt¬
sächlich die Frequenz, die Gütermasse sind das entscheidende Moment
bei der Wirthschaftspolitik der Eisenbahnen. Wie gar weit die deutschen
Eisenbahnen in diesem Punkte noch zurückstehen, beweisen die englischen Bah¬
nen. Während die ersteren im Jahr 1858 nur 477,000,000 Centner Güter
beförderten, betrug der Güterversand in demselben Jahre auf den großbritan¬
nischen Bahnen 1,483,955,000 Centner, mithin das dreifache, trotzdem daß
Deutschland 70 Millionen Einwohner und Großbritannien nur 27 Millionen
zählt. Ein solcher Verkehr kann nur da entstehen, wo man es begreift, daß
der Handel mit den Transportanstalten so innig zusammenhängt, daß eine
gegenseitige Entfremdung beiden Theilen die schwersten Wunden schlagen
muß. Es liegt darum auf der Hand, daß bei den Eisenbahnen nicht sowohl die
Höhe der Frachtsätze als die Masse der Güter in Betracht komme, welche
durch genügend e Frachtermäßigungen dem Bahntransport gewonnen werden.

Daß-selbst unbedeutend erscheinende Erhöhungen der Transportkosten
den Handelswegen andere Richtungen geben oder dieselben vollständig- ver¬
stopfen, lehrt die Erfahrung zur Genüge. Wie nachtheilig die' geringste
Transportvcrtheuerung aber auf die Transporteure selbst wirken kann, geht
aus nachstehendem Beispiel hervor. Von Paris nach Rouen und von Paris
nach Mons befördert die Eisenbahn in 7 resp. 15 Stunden, die Schifffahrt
in 3 resp. 7 Tagen; trotzdem hat die Eisenbahn zwischen Paris und Rouen
nur 451,683, die Schifffahrt 4,500,000, sowie zwischen Paris und Mons
erstere nur 1,176,592, letztere dagegen über 6,500,000 Tonnen befördert, und
zwar weil die Preisdifferenz einen Centimen per Tonne und Kilometer beträgt.

Auch die Eisenproduction aus Rheinland und Westphalen ist für den
Versand nach Berlin und dem Norden durch den hohen Bahnfrachtsatz zur
Aufsuchung von Wegen genöthigt worden, deren Benutzung am deutlichsten
zeigt, wie ungerechtfertigt dieser Satz ist und wie wenig derselbe den indu¬
striellen wie den eignen Interessen der Bahnen Rechnung trägt. Wer sollte
glauben, daß der Weg aus Rheinland-Westphalen nach Berlin über Rotter¬
dam, Amsterdam und Stettin und von dort nach Berlin führen und dabei
sich ungleich billiger stellen könnte als der directe? Daß zu soweitschichtigen
Auskunftsmitteln gegriffen wird, beweist, daß die gegebenen Verhältnisse der
Vervollkommnung bedürftig sind, zumal diese Auskunftsmittel doch nur von
bedingtem Werth sind, denn der Wassertransport kann im Laufe des Win¬
ters nur ausnahmsweise angewendet werden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/18>, abgerufen am 15.01.2025.