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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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in diesem Fall ein Centrum und ein starker Rückhalt geboten. Schon aus der
Rücksicht auf den wachsenden Einfluß des Panslavismus erscheint es darum
höchst begreiflich und gerechtfertigt, daß das transleithanische Cabinet von
keiner Schwächung der Regierungsgewalt etwas wissen und die Unterordnung
der Comitate unter die Centralregierung zur Cabinetsfrage machen will.

Aus der östlichen Hälfte Europas sind im übriger? keine Ereignisse von
Bedeutung für den abgelaufenen Monat zu registriren. Die Einverleibung
Polens in die russische Monarchie ist ebenso zur widerspruchslos vollendeten
Thatsache geworden, wie die Einführung der russischen Geschäfts- und Unter¬
richtssprache. In dem ehemaligen Litthauen scheint sich dagegen ein Um¬
schwung vorzubereiten; der Zwangsverkauf der confiscirten Güter ist durch
den neuen Generalgouvemeur Potapow sistirt. das Verbot des Gebrauchs
der polnischen Sprache gemildert, ein großer Theil der zur polenfeindlichen
Nationaldemocratie gehörigen Beamten entlassen worden. In dem Centren
des russischen Staatslebens ist es still. Die Befürchtungen mit denen man
sich noch vor einigen Wochen bezüglich eines gewaltsamen Einschreitens Ruß.
lands gegen die Pforte trug, die Hungersnoth und die Finanzschwierigkeiten
(der Voranschlag des Budgets pro 1868 weist ein Deficit von 12'/- Mill.
Rubel S. auf, das aus dem Rest der letzten englisch-holländischen Anleihe
gedeckt werden muß), haben die Aufmerksamkeit der Petersburger Regierung
fast ausschließlich auf innere Fragen gelenkt und selbst die vorgeschrittensten
Organe der russischen Presse räumen ein, daß die Zeitverhältnisse jede Ein¬
mischung in die Zustände der türkisch-slavischen Länder unmöglich machen.
Selbst von den Judenverfolgungen in der Moldau behauptet der "Imo.", daß
sie eine rein innere Frage seien. Inzwischen ist von den diplomatischen Agen¬
ten in Rumänien übereinstimmend constatirt worden, daß die Nachrichten
über die gegen Juden von Jassy geübten Bedrückungen vollständig gegrün¬
det seien. Die Regierung des Fürsten Carl befindet sich in einer außerordent¬
lich schwierigen Lage, denn das Vorurtheil und der Haß gegen die jüdischen
Bewohner Rumäniens scheint in allen Schichten der Bevölkerung der gleiche
zu sein, und die von der reactionären Bojarenpartei beantragte Ausschließung
der Juden von dem Recht zur Erwerbung von Grundbesitz findet in Kreisen,
die sich sonst als Vertreter der vorgeschrittensten liberalen Anschauungen ge¬
ritten, ein bereitwilliges Gehör. Während der Liberalismus im westlichen
Europa, auch wo er auf politische Abwege gerieth, ein entschiedener Anwalt
der Toleranz und Humanitätsbestrebungen der Zeit blieb, geht er im Osten
beinahe allenthalben mit einem Racenfanatismus Hand in Hand, zu dessen
Signatur es gehört, nicht nur die ausgedehnten Rechte, die er für sich selbst
in Anspruch nimmt, den Gegnern zu verweigern, sondern die natürlichen
Forderungen der Billigkeit diesen zu abzuschlagen. Aus Serbien z. B. wird


in diesem Fall ein Centrum und ein starker Rückhalt geboten. Schon aus der
Rücksicht auf den wachsenden Einfluß des Panslavismus erscheint es darum
höchst begreiflich und gerechtfertigt, daß das transleithanische Cabinet von
keiner Schwächung der Regierungsgewalt etwas wissen und die Unterordnung
der Comitate unter die Centralregierung zur Cabinetsfrage machen will.

Aus der östlichen Hälfte Europas sind im übriger? keine Ereignisse von
Bedeutung für den abgelaufenen Monat zu registriren. Die Einverleibung
Polens in die russische Monarchie ist ebenso zur widerspruchslos vollendeten
Thatsache geworden, wie die Einführung der russischen Geschäfts- und Unter¬
richtssprache. In dem ehemaligen Litthauen scheint sich dagegen ein Um¬
schwung vorzubereiten; der Zwangsverkauf der confiscirten Güter ist durch
den neuen Generalgouvemeur Potapow sistirt. das Verbot des Gebrauchs
der polnischen Sprache gemildert, ein großer Theil der zur polenfeindlichen
Nationaldemocratie gehörigen Beamten entlassen worden. In dem Centren
des russischen Staatslebens ist es still. Die Befürchtungen mit denen man
sich noch vor einigen Wochen bezüglich eines gewaltsamen Einschreitens Ruß.
lands gegen die Pforte trug, die Hungersnoth und die Finanzschwierigkeiten
(der Voranschlag des Budgets pro 1868 weist ein Deficit von 12'/- Mill.
Rubel S. auf, das aus dem Rest der letzten englisch-holländischen Anleihe
gedeckt werden muß), haben die Aufmerksamkeit der Petersburger Regierung
fast ausschließlich auf innere Fragen gelenkt und selbst die vorgeschrittensten
Organe der russischen Presse räumen ein, daß die Zeitverhältnisse jede Ein¬
mischung in die Zustände der türkisch-slavischen Länder unmöglich machen.
Selbst von den Judenverfolgungen in der Moldau behauptet der „Imo.", daß
sie eine rein innere Frage seien. Inzwischen ist von den diplomatischen Agen¬
ten in Rumänien übereinstimmend constatirt worden, daß die Nachrichten
über die gegen Juden von Jassy geübten Bedrückungen vollständig gegrün¬
det seien. Die Regierung des Fürsten Carl befindet sich in einer außerordent¬
lich schwierigen Lage, denn das Vorurtheil und der Haß gegen die jüdischen
Bewohner Rumäniens scheint in allen Schichten der Bevölkerung der gleiche
zu sein, und die von der reactionären Bojarenpartei beantragte Ausschließung
der Juden von dem Recht zur Erwerbung von Grundbesitz findet in Kreisen,
die sich sonst als Vertreter der vorgeschrittensten liberalen Anschauungen ge¬
ritten, ein bereitwilliges Gehör. Während der Liberalismus im westlichen
Europa, auch wo er auf politische Abwege gerieth, ein entschiedener Anwalt
der Toleranz und Humanitätsbestrebungen der Zeit blieb, geht er im Osten
beinahe allenthalben mit einem Racenfanatismus Hand in Hand, zu dessen
Signatur es gehört, nicht nur die ausgedehnten Rechte, die er für sich selbst
in Anspruch nimmt, den Gegnern zu verweigern, sondern die natürlichen
Forderungen der Billigkeit diesen zu abzuschlagen. Aus Serbien z. B. wird


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/179>, abgerufen am 15.01.2025.