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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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aus hartem Kampf für den deutschen Staat, in gehobener Stimmung und
mit offenen Armen, und sie finden unter den Parteigenossen kühle,
oder gar zweifelnde Kritiker, die durch persönlichen Streit wohl all zu sehr ge¬
reizt und verbittert sind. Möge die frische Empfindung des Südens mit
der dauerhaften Beharrlichkeit des Nordens sich zuerst in der nationalen
Partei gut zusammenfügen. Auch von Berlin wünschen wir, daß die Stadt
im ersten Frühlingsschmuck einigermaßen den Übeln Leumund, den sie im
Süden hat, unwahr mache.

In einem sind wir den Süddeutschen zuvor: wir kennen sie besser, als
sie mit unserer Art bekannt sind, denn seit vielen Jahren sind wir mehr zu
ihnen gereist, als sie zu uns, und haben uns mehr um sie gekümmert, als
sie um uns. Jetzt werden auch sie Charakter und Zustände des preußischen
Staates in Vielem anders finden, als sie daheim meinten. Die Durchbil¬
dung unserer Nation zu politischer "Freiheit ist in keinem unserer Staaten
zur Zeit sehr weit gediehen, aber gerade nach dieser Richtung ist das viel
verklagte Preußen hinter dem übrigen Deutschland nur hie und da zurück¬
geblieben; auf weiten Gebieten: in der Kirche, sogar in der Selbstverwaltung
localer Interessen hat es schon längst die Ansätze zu einer höheren Freiheit,
als in irgend einem der übrigen Staaten zu finden ist.

Die Süddeutschen sind -in dem Reichstage bereits nach dem Grade ihrer
Freiheit abgeschätzt worden; die Linke wurde damals durch eine Behauptung
des Grasen Bismark zur Heiterkeit angeregt, daß die größere Freiheitsent-
wicklung. in Preußen den Süden fernhalte, und der leitende Staatsmann
erklärte wieder mit Uebergewicht, die Linke könne nicht wissen, wie sehr ihre
Heiterkeit ihn seinerseits belustige. Beide Parteien hätten wahre Gründe für
ihre Auffassung anführen können. Doch der Bundeskanzler diesmal die bes¬
seren. Sämmtliche Süddeutsche haben mit gutem Grunde das Bewußtsein,
daß sie freier leben, als die Preußen, und sie sind doch in Wirklichkeit despo¬
tischer regiert. Zwar das ist falsche Freiheit und soll hier gar nicht in
Rechnung gebracht werden, was sie selber so oft als einen Borzug empfinden,
daß sie weniger für ihren Staat zu leisten und auszugeben haben, und daß
-sie alle irdische Majestät im Allgemeinen mit einem Mangel von Hochachtung
anzusehen geneigt sind. Wohl aber ist ein wirklicher Vortheil auf ihrer
Seite, daß das Regiment, durch welches sie kurz gehalten werden, ihnen viel
behaglicher ist, als den preußischen Staatsbürgern das ihrige. Ihre Staaten
sind Beamtenmaschinen nach französischem Muster, und die Beamten leiten,
machen, tyrannisiren in Wirklichkeit dort Alles, zumal in der Verwaltung.
Aber diese Despoten des Landes sind zwar in ihrem Amte zuweilen grob
und herrschsüchtig, noch häufiger indolent, schlaff, lässig, im Uebrigen sehr
bequeme Leute, die Söhne und Brüder der wortführenden Sprecher, sie sitzen


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aus hartem Kampf für den deutschen Staat, in gehobener Stimmung und
mit offenen Armen, und sie finden unter den Parteigenossen kühle,
oder gar zweifelnde Kritiker, die durch persönlichen Streit wohl all zu sehr ge¬
reizt und verbittert sind. Möge die frische Empfindung des Südens mit
der dauerhaften Beharrlichkeit des Nordens sich zuerst in der nationalen
Partei gut zusammenfügen. Auch von Berlin wünschen wir, daß die Stadt
im ersten Frühlingsschmuck einigermaßen den Übeln Leumund, den sie im
Süden hat, unwahr mache.

In einem sind wir den Süddeutschen zuvor: wir kennen sie besser, als
sie mit unserer Art bekannt sind, denn seit vielen Jahren sind wir mehr zu
ihnen gereist, als sie zu uns, und haben uns mehr um sie gekümmert, als
sie um uns. Jetzt werden auch sie Charakter und Zustände des preußischen
Staates in Vielem anders finden, als sie daheim meinten. Die Durchbil¬
dung unserer Nation zu politischer "Freiheit ist in keinem unserer Staaten
zur Zeit sehr weit gediehen, aber gerade nach dieser Richtung ist das viel
verklagte Preußen hinter dem übrigen Deutschland nur hie und da zurück¬
geblieben; auf weiten Gebieten: in der Kirche, sogar in der Selbstverwaltung
localer Interessen hat es schon längst die Ansätze zu einer höheren Freiheit,
als in irgend einem der übrigen Staaten zu finden ist.

Die Süddeutschen sind -in dem Reichstage bereits nach dem Grade ihrer
Freiheit abgeschätzt worden; die Linke wurde damals durch eine Behauptung
des Grasen Bismark zur Heiterkeit angeregt, daß die größere Freiheitsent-
wicklung. in Preußen den Süden fernhalte, und der leitende Staatsmann
erklärte wieder mit Uebergewicht, die Linke könne nicht wissen, wie sehr ihre
Heiterkeit ihn seinerseits belustige. Beide Parteien hätten wahre Gründe für
ihre Auffassung anführen können. Doch der Bundeskanzler diesmal die bes¬
seren. Sämmtliche Süddeutsche haben mit gutem Grunde das Bewußtsein,
daß sie freier leben, als die Preußen, und sie sind doch in Wirklichkeit despo¬
tischer regiert. Zwar das ist falsche Freiheit und soll hier gar nicht in
Rechnung gebracht werden, was sie selber so oft als einen Borzug empfinden,
daß sie weniger für ihren Staat zu leisten und auszugeben haben, und daß
-sie alle irdische Majestät im Allgemeinen mit einem Mangel von Hochachtung
anzusehen geneigt sind. Wohl aber ist ein wirklicher Vortheil auf ihrer
Seite, daß das Regiment, durch welches sie kurz gehalten werden, ihnen viel
behaglicher ist, als den preußischen Staatsbürgern das ihrige. Ihre Staaten
sind Beamtenmaschinen nach französischem Muster, und die Beamten leiten,
machen, tyrannisiren in Wirklichkeit dort Alles, zumal in der Verwaltung.
Aber diese Despoten des Landes sind zwar in ihrem Amte zuweilen grob
und herrschsüchtig, noch häufiger indolent, schlaff, lässig, im Uebrigen sehr
bequeme Leute, die Söhne und Brüder der wortführenden Sprecher, sie sitzen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/167>, abgerufen am 15.01.2025.