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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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förmlichen Tarifreformplan aufstellte und begründete, zunächst von einer Um¬
wandlung der Zuckerabgaben als derjenigen Maßregel die Rede, welche zur
Deckung von Zollausfällen zu ergreifen sein würde. Warum ist diese Idee
nicht adoptirt worden?

Der Tabak soll höher, das Petroleum ganz neu besteuert werden: dem
Zucker brauchte man Zoll und Steuer nur etwas anders aufzulegen, um
nach allen Regeln der Erfahrung auf solche Mehrerträge rechnen zu dürfen,
die jenen beiden Quellen kaum etwas nachgeben würden. Sollten dieselben
nicht gleich im ersten Jahre sicher zur Casse kommen, so ließ sich ja der Zoll-
vereins-Gesetzgebung anheimstellen, ob sie lieber mit der Tarifreduction ent¬
sprechend langsam vorgehen oder den vorübergehenden Ausfall eines oder
weniger Jahre auf andere Einnahmequellen (im norddeutschen Bunde die
Matrieularumlagen) abwälzen wollte. Der erste Act der Tarifreform wäre
dann doch ohne das Odium von Zollerhöhungen abgelaufen. Das Zoll¬
parlament hätte nicht, wenn auch neben zahlreichen Erleichterungen, mit einer
bedeutenden Erschwerung der Lasten des steuerzahlenden Volkes eingeweiht
zu werden brauchen.

Dies ist jedoch noch nicht der einzige Gesichtspunkt, aus welchem die
getroffene Wahl unglücklich und verwunderlich erscheint. Sowohl bei den
Zucker- wie bei den Tabaksauflagen kommt eine bisher geschützte inländische
Production ins Spiel. Der Unterschied ist nur, daß die Rübenzuckerindustrie
seit Jahren anerkanntermaßen im Stande ist, der Concurrenz des Colonial-
zuckers auch ohne jeden Zollschutz die Spitze zu bieten, denn sie beherrscht
nicht allein den deutschen Zuckermarkt sogut wie unumschränkt, sondern führt
auch jahraus jahrein immer zunehmende Mengen von Zucker auf fremde
Märkte aus, wo sie keinerlei Zollschutz genießt; -- wogegen der deutsche
Tabaksball" mit dem amerikanischen selbst in Deutschland, durch die ganze
Breite des atlantischen Oceans, d. h. durch die hohen Transportkosten des
letzteren geschützt, nicht ebenbürtig zu rivalisiren vermag. Man schlägt den
Durchschnittspreis des amerikanischen Tabaks, sowie er in den bremer und
Hamburger Lagerhäusern gefunden wird, auf ungefähr das Dreifache des
Durchschnittspreises vom deutschen Kraute an. Wenn und soweit also noch
Rücksicht auf bisher geschützte, vom Zollverein verhätschelte Productionszweige
geübt werden soll, ist gewiß der Tabaksbau eher dazu berechtigt als die
Rübenzuckerindustrie. Auch aus diesem Grunde wäre es richtig gewesen,
den Zucker und nicht den Tabak die ersten Kosten einer freisinnigen Tarif-
Politik übernehmen zu lassen.

Freilich bedarf es zu gründlicher Umgestaltung des Zuckerabgabewesens
einiger nicht ganz einfachen Vorbereitungen. Wie der Handelstags "Aus¬
schuß dieselbe aus Grund der schon citirten Michaelisschen Rede und der be-


förmlichen Tarifreformplan aufstellte und begründete, zunächst von einer Um¬
wandlung der Zuckerabgaben als derjenigen Maßregel die Rede, welche zur
Deckung von Zollausfällen zu ergreifen sein würde. Warum ist diese Idee
nicht adoptirt worden?

Der Tabak soll höher, das Petroleum ganz neu besteuert werden: dem
Zucker brauchte man Zoll und Steuer nur etwas anders aufzulegen, um
nach allen Regeln der Erfahrung auf solche Mehrerträge rechnen zu dürfen,
die jenen beiden Quellen kaum etwas nachgeben würden. Sollten dieselben
nicht gleich im ersten Jahre sicher zur Casse kommen, so ließ sich ja der Zoll-
vereins-Gesetzgebung anheimstellen, ob sie lieber mit der Tarifreduction ent¬
sprechend langsam vorgehen oder den vorübergehenden Ausfall eines oder
weniger Jahre auf andere Einnahmequellen (im norddeutschen Bunde die
Matrieularumlagen) abwälzen wollte. Der erste Act der Tarifreform wäre
dann doch ohne das Odium von Zollerhöhungen abgelaufen. Das Zoll¬
parlament hätte nicht, wenn auch neben zahlreichen Erleichterungen, mit einer
bedeutenden Erschwerung der Lasten des steuerzahlenden Volkes eingeweiht
zu werden brauchen.

Dies ist jedoch noch nicht der einzige Gesichtspunkt, aus welchem die
getroffene Wahl unglücklich und verwunderlich erscheint. Sowohl bei den
Zucker- wie bei den Tabaksauflagen kommt eine bisher geschützte inländische
Production ins Spiel. Der Unterschied ist nur, daß die Rübenzuckerindustrie
seit Jahren anerkanntermaßen im Stande ist, der Concurrenz des Colonial-
zuckers auch ohne jeden Zollschutz die Spitze zu bieten, denn sie beherrscht
nicht allein den deutschen Zuckermarkt sogut wie unumschränkt, sondern führt
auch jahraus jahrein immer zunehmende Mengen von Zucker auf fremde
Märkte aus, wo sie keinerlei Zollschutz genießt; — wogegen der deutsche
Tabaksball" mit dem amerikanischen selbst in Deutschland, durch die ganze
Breite des atlantischen Oceans, d. h. durch die hohen Transportkosten des
letzteren geschützt, nicht ebenbürtig zu rivalisiren vermag. Man schlägt den
Durchschnittspreis des amerikanischen Tabaks, sowie er in den bremer und
Hamburger Lagerhäusern gefunden wird, auf ungefähr das Dreifache des
Durchschnittspreises vom deutschen Kraute an. Wenn und soweit also noch
Rücksicht auf bisher geschützte, vom Zollverein verhätschelte Productionszweige
geübt werden soll, ist gewiß der Tabaksbau eher dazu berechtigt als die
Rübenzuckerindustrie. Auch aus diesem Grunde wäre es richtig gewesen,
den Zucker und nicht den Tabak die ersten Kosten einer freisinnigen Tarif-
Politik übernehmen zu lassen.

Freilich bedarf es zu gründlicher Umgestaltung des Zuckerabgabewesens
einiger nicht ganz einfachen Vorbereitungen. Wie der Handelstags »Aus¬
schuß dieselbe aus Grund der schon citirten Michaelisschen Rede und der be-


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[0161] förmlichen Tarifreformplan aufstellte und begründete, zunächst von einer Um¬ wandlung der Zuckerabgaben als derjenigen Maßregel die Rede, welche zur Deckung von Zollausfällen zu ergreifen sein würde. Warum ist diese Idee nicht adoptirt worden? Der Tabak soll höher, das Petroleum ganz neu besteuert werden: dem Zucker brauchte man Zoll und Steuer nur etwas anders aufzulegen, um nach allen Regeln der Erfahrung auf solche Mehrerträge rechnen zu dürfen, die jenen beiden Quellen kaum etwas nachgeben würden. Sollten dieselben nicht gleich im ersten Jahre sicher zur Casse kommen, so ließ sich ja der Zoll- vereins-Gesetzgebung anheimstellen, ob sie lieber mit der Tarifreduction ent¬ sprechend langsam vorgehen oder den vorübergehenden Ausfall eines oder weniger Jahre auf andere Einnahmequellen (im norddeutschen Bunde die Matrieularumlagen) abwälzen wollte. Der erste Act der Tarifreform wäre dann doch ohne das Odium von Zollerhöhungen abgelaufen. Das Zoll¬ parlament hätte nicht, wenn auch neben zahlreichen Erleichterungen, mit einer bedeutenden Erschwerung der Lasten des steuerzahlenden Volkes eingeweiht zu werden brauchen. Dies ist jedoch noch nicht der einzige Gesichtspunkt, aus welchem die getroffene Wahl unglücklich und verwunderlich erscheint. Sowohl bei den Zucker- wie bei den Tabaksauflagen kommt eine bisher geschützte inländische Production ins Spiel. Der Unterschied ist nur, daß die Rübenzuckerindustrie seit Jahren anerkanntermaßen im Stande ist, der Concurrenz des Colonial- zuckers auch ohne jeden Zollschutz die Spitze zu bieten, denn sie beherrscht nicht allein den deutschen Zuckermarkt sogut wie unumschränkt, sondern führt auch jahraus jahrein immer zunehmende Mengen von Zucker auf fremde Märkte aus, wo sie keinerlei Zollschutz genießt; — wogegen der deutsche Tabaksball" mit dem amerikanischen selbst in Deutschland, durch die ganze Breite des atlantischen Oceans, d. h. durch die hohen Transportkosten des letzteren geschützt, nicht ebenbürtig zu rivalisiren vermag. Man schlägt den Durchschnittspreis des amerikanischen Tabaks, sowie er in den bremer und Hamburger Lagerhäusern gefunden wird, auf ungefähr das Dreifache des Durchschnittspreises vom deutschen Kraute an. Wenn und soweit also noch Rücksicht auf bisher geschützte, vom Zollverein verhätschelte Productionszweige geübt werden soll, ist gewiß der Tabaksbau eher dazu berechtigt als die Rübenzuckerindustrie. Auch aus diesem Grunde wäre es richtig gewesen, den Zucker und nicht den Tabak die ersten Kosten einer freisinnigen Tarif- Politik übernehmen zu lassen. Freilich bedarf es zu gründlicher Umgestaltung des Zuckerabgabewesens einiger nicht ganz einfachen Vorbereitungen. Wie der Handelstags »Aus¬ schuß dieselbe aus Grund der schon citirten Michaelisschen Rede und der be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/161>, abgerufen am 15.01.2025.