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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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immer behauptet haben, daß sie ihrer Denkweise und ihren Anschauungen nach
uns näher als.den Norddeutschen stehen?

Hier zu Lande gilt es als ausgemacht, daß man von einer deutschen
Nation, die alle Deutsch sprechenden Stämme umsaßt, nicht reden könne.
Was soll man aber auch von einer Nation denken, die im brennendsten
Momente ihrer Entwickelung so wenig Verständniß für ihre Bestimmung
zeigt? Wie wollen wir für uns von den Franzosen dieselbe Sympathie ver¬
langen, welche sie für die Italiener gezeigt haben? Ist etwa bei uns dieselbe
Einheit des Willens zu finden? ja kann man wenigstens eine über alle
Widersprüche siegverheißende Strömung entdecken? Wenn sich Deutsche solche
Betrachtungen selbst aufwerfen müssen, was will man von einer fremden
Nation fordern? namentlich von derjenigen, welche von jeher ihre Achtung
für feste einheitliche Kundgebungen aufbehalten hat?

Im Auslande, namentlich in Frankreich, wird unserer Ueberzeugung,
daß wir uns fester und fester an Preußen anschließen müssen, noch viel mehr
Nahrung zugeführt als daheim. Ich selbst gehörte im Frühling 1866 zu
denen, welche den Krieg Oestreichs und der kleinen Staaten gegen Preußen
billigten; Jeder, und in gewissem Sinne auch die Süddeutschen dürfen es
sich zur Ehre anrechnen, für ihre Ueberzeugung und für eine Sache, die
ihnen gerecht schien, die Waffen ergriffen haben, statt ihre Meinung zu
verleugnen und den schleichenden Haß gegen Preußen nur tiefer fressen
zu lassen. Damals war ein Schimmer von Hoffnung auf die Durch¬
führung ihrer Ideale vorhanden; was glauben sie aber jetzt mit ihrer
Haltung zu gewinnen? Den Gedanken, sie hofften mit Hilfe .fremder
Einmischung ihre erbärmliche kleinstaatliche Existenz zu erhalten, will ich
nicht aufkommen lassen. Die Schwaben haben neben der Angst, aus
ihrer himmlischen Gemüthlichkeit gerissen zu werden, schwerlich ein anderes
Motiv, als daß sie den verhaßten Preußen zeigen wollen, wie starrköpfig sie
zu sein vermögen. Fast alle hiesigen Zeitungen haben mit unverhehltem
Behagen einen Satz aus dem Stuttgarter Beobachter abgedruckt, in welchem
dieses ritterliche Democratenblatt den Ausfall der letzten Wahlen als eine
schwäbische Nationalthat bezeichnet. Dieses schale Treiben mag bei diesen
Leuten das Bewußtsein von dem Ernst der Zeit eine Weile lang unter¬
drücken; uns dient es aufs Neue zum Beweis, daß das Leben in einem
Scheinstaate ohne Ehre und Macht unvermeidlich demoralisirend wirken
muß. Sehen wir mehr auf diese hohen Güter, welche Preußen uns bietet,
einem achtunggebietenden und auf seine Würde eifersüchtigen^Staate anzu¬
gehören, als auf die Mängel seiner Regierungen, damit wir nicht immer
wieder der Welt das Schauspiel einer Nation bieten, die nicht weiß, was
sie will.




immer behauptet haben, daß sie ihrer Denkweise und ihren Anschauungen nach
uns näher als.den Norddeutschen stehen?

Hier zu Lande gilt es als ausgemacht, daß man von einer deutschen
Nation, die alle Deutsch sprechenden Stämme umsaßt, nicht reden könne.
Was soll man aber auch von einer Nation denken, die im brennendsten
Momente ihrer Entwickelung so wenig Verständniß für ihre Bestimmung
zeigt? Wie wollen wir für uns von den Franzosen dieselbe Sympathie ver¬
langen, welche sie für die Italiener gezeigt haben? Ist etwa bei uns dieselbe
Einheit des Willens zu finden? ja kann man wenigstens eine über alle
Widersprüche siegverheißende Strömung entdecken? Wenn sich Deutsche solche
Betrachtungen selbst aufwerfen müssen, was will man von einer fremden
Nation fordern? namentlich von derjenigen, welche von jeher ihre Achtung
für feste einheitliche Kundgebungen aufbehalten hat?

Im Auslande, namentlich in Frankreich, wird unserer Ueberzeugung,
daß wir uns fester und fester an Preußen anschließen müssen, noch viel mehr
Nahrung zugeführt als daheim. Ich selbst gehörte im Frühling 1866 zu
denen, welche den Krieg Oestreichs und der kleinen Staaten gegen Preußen
billigten; Jeder, und in gewissem Sinne auch die Süddeutschen dürfen es
sich zur Ehre anrechnen, für ihre Ueberzeugung und für eine Sache, die
ihnen gerecht schien, die Waffen ergriffen haben, statt ihre Meinung zu
verleugnen und den schleichenden Haß gegen Preußen nur tiefer fressen
zu lassen. Damals war ein Schimmer von Hoffnung auf die Durch¬
führung ihrer Ideale vorhanden; was glauben sie aber jetzt mit ihrer
Haltung zu gewinnen? Den Gedanken, sie hofften mit Hilfe .fremder
Einmischung ihre erbärmliche kleinstaatliche Existenz zu erhalten, will ich
nicht aufkommen lassen. Die Schwaben haben neben der Angst, aus
ihrer himmlischen Gemüthlichkeit gerissen zu werden, schwerlich ein anderes
Motiv, als daß sie den verhaßten Preußen zeigen wollen, wie starrköpfig sie
zu sein vermögen. Fast alle hiesigen Zeitungen haben mit unverhehltem
Behagen einen Satz aus dem Stuttgarter Beobachter abgedruckt, in welchem
dieses ritterliche Democratenblatt den Ausfall der letzten Wahlen als eine
schwäbische Nationalthat bezeichnet. Dieses schale Treiben mag bei diesen
Leuten das Bewußtsein von dem Ernst der Zeit eine Weile lang unter¬
drücken; uns dient es aufs Neue zum Beweis, daß das Leben in einem
Scheinstaate ohne Ehre und Macht unvermeidlich demoralisirend wirken
muß. Sehen wir mehr auf diese hohen Güter, welche Preußen uns bietet,
einem achtunggebietenden und auf seine Würde eifersüchtigen^Staate anzu¬
gehören, als auf die Mängel seiner Regierungen, damit wir nicht immer
wieder der Welt das Schauspiel einer Nation bieten, die nicht weiß, was
sie will.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/153>, abgerufen am 15.01.2025.