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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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bleibt, muß bei der Härte der Arbeit hier den gebotenen, meistens rauschen¬
den, betäubenden Vergnügungen gewidmet werden.

Von der Minderzahl dieser kleinen Minderheit haben sich die meisten
keine selbständige Ueberzeugung über politische Angelegenheiten gebildet, sie
solgen der jedesmaligen Strömung, welche von den Zeitungen angegeben
wird, die wieder ihrerseits für die auswärtige Politik lediglich von der jedes¬
maligen Haltung der Regierung abhängig ist.

Hieraus ergibt sich erstens, daß die hiesige -Regierung eine unberechen¬
bare Macht über das Volk besitzt, indem sie die Stimmung nach ihrem
Belieben durch das Medium aller, auch der für innere Fragen oppositio¬
nellen Journale für jede beabsichtigte Unternehmung nach außen nicht nur
leiten, sondern geradezu schaffen kann; zweitens daß die Zahl der Männer,
welche über Politik nachgedacht und also eigene von den Zeitungen unab¬
hängige Anschauungen haben, sehr klein ist.

Nur die Urtheile dieser letzten Classe können für uns in diesem Augen¬
blick Interesse haben, da das Volk jetzt durch kein den Journalen von der
Negierung gegebenes Ordnungswort aufgeregt wird, sich also gar nicht um
das kümmert, was außerhalb vorgeht.

Die wahrhaft gebildeten Leute hier, die gleichfalls mit sehr geringen
Ausnahmen der neuesten Entwickelung Deutschlands feindlich find, sie mögen
einer politischen Richtung angehören, welcher sie wollen, diese betrachten mit
unverhehlter Befriedigung die jüngste Niederlage Preußens und der natio¬
nalen Sache in dem Ausfall der süddeutschen Wahlen. Diese Männer, welche
keineswegs alle für den Krieg enthusiasmirt sind, wissen einmal gut genug,
daß die Regierung den Krieg gegen Preußen führen will und vielleicht muß,
und daß sie nur solange wartet, bis sie sich genügend gerüstet glaubt; zu¬
gleich sind und bleiben sie aber immer Franzosen und denken, daß wenn sie
sich nun einmal dem Beschlusse ihrer Negierung stumm fügen müssen, ihre
Wünsche doch immer dieselben für das Glück und die Größe ihres Vater¬
landes bleiben. Wie oft habe ich die halb schüchterne, halb ängstliche Frage
hören müssen: "wird wohl der Krieg überall in' Deutschland mit demselben
Eifer geführt werden?"

Diese Frage wird mir nun nicht mehr wiederholt; sie ist durch die That¬
sachen beantwortet. Ein großer Theil der Deutschen ist durch Phrasenthmn
so unfähig geworden, die wahre Sachlage ins Auge zu fassen, durch die ge¬
lobte Gemüthlichkeit so stumpf gegen das Wohl und Wehe seiner Nation ge¬
worden, daß sie die Hoffnungen des Auslandes erwecken.

Natürlich hört man jetzt wieder häufiger: "aber zeigen die Süddeutschen
denn nicht in eclatanter Weise, daß sie einen unbezwinglichen Widerwillen
gegen Preußen haben? ist es denn wirklich so ungereimt, was wir früher


bleibt, muß bei der Härte der Arbeit hier den gebotenen, meistens rauschen¬
den, betäubenden Vergnügungen gewidmet werden.

Von der Minderzahl dieser kleinen Minderheit haben sich die meisten
keine selbständige Ueberzeugung über politische Angelegenheiten gebildet, sie
solgen der jedesmaligen Strömung, welche von den Zeitungen angegeben
wird, die wieder ihrerseits für die auswärtige Politik lediglich von der jedes¬
maligen Haltung der Regierung abhängig ist.

Hieraus ergibt sich erstens, daß die hiesige -Regierung eine unberechen¬
bare Macht über das Volk besitzt, indem sie die Stimmung nach ihrem
Belieben durch das Medium aller, auch der für innere Fragen oppositio¬
nellen Journale für jede beabsichtigte Unternehmung nach außen nicht nur
leiten, sondern geradezu schaffen kann; zweitens daß die Zahl der Männer,
welche über Politik nachgedacht und also eigene von den Zeitungen unab¬
hängige Anschauungen haben, sehr klein ist.

Nur die Urtheile dieser letzten Classe können für uns in diesem Augen¬
blick Interesse haben, da das Volk jetzt durch kein den Journalen von der
Negierung gegebenes Ordnungswort aufgeregt wird, sich also gar nicht um
das kümmert, was außerhalb vorgeht.

Die wahrhaft gebildeten Leute hier, die gleichfalls mit sehr geringen
Ausnahmen der neuesten Entwickelung Deutschlands feindlich find, sie mögen
einer politischen Richtung angehören, welcher sie wollen, diese betrachten mit
unverhehlter Befriedigung die jüngste Niederlage Preußens und der natio¬
nalen Sache in dem Ausfall der süddeutschen Wahlen. Diese Männer, welche
keineswegs alle für den Krieg enthusiasmirt sind, wissen einmal gut genug,
daß die Regierung den Krieg gegen Preußen führen will und vielleicht muß,
und daß sie nur solange wartet, bis sie sich genügend gerüstet glaubt; zu¬
gleich sind und bleiben sie aber immer Franzosen und denken, daß wenn sie
sich nun einmal dem Beschlusse ihrer Negierung stumm fügen müssen, ihre
Wünsche doch immer dieselben für das Glück und die Größe ihres Vater¬
landes bleiben. Wie oft habe ich die halb schüchterne, halb ängstliche Frage
hören müssen: „wird wohl der Krieg überall in' Deutschland mit demselben
Eifer geführt werden?"

Diese Frage wird mir nun nicht mehr wiederholt; sie ist durch die That¬
sachen beantwortet. Ein großer Theil der Deutschen ist durch Phrasenthmn
so unfähig geworden, die wahre Sachlage ins Auge zu fassen, durch die ge¬
lobte Gemüthlichkeit so stumpf gegen das Wohl und Wehe seiner Nation ge¬
worden, daß sie die Hoffnungen des Auslandes erwecken.

Natürlich hört man jetzt wieder häufiger: „aber zeigen die Süddeutschen
denn nicht in eclatanter Weise, daß sie einen unbezwinglichen Widerwillen
gegen Preußen haben? ist es denn wirklich so ungereimt, was wir früher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/152>, abgerufen am 15.01.2025.