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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Hat der Papst das Recht, einen Cardinal seines Stimmrechtes zu be-
rauben? Herr Cartwright antwortet: nein. Dieses Stimmrecht, sagt er, ist
bisher als so heilig angesehen worden, daß es durch Ausnahmsgesetze geschützt
ist und nach canonischem Rechte die einzige Schranke päpstlicher Allgewalt
'bildet. Keine Censur, kein Interdict, keine Excommunication kann einem
Cardinal sein Stimmrecht im Conelave nehmen. (S. 131.) An einem an¬
deren Orte führt unser Autor aus, daß ein Cardinal zu allen gesetzlichen
Strafen und zum Tode von der Hand des Henkers verurtheilt werden kann,
aber so lange er lebt das Recht behält, bei vorkommender Papstwahl anzu¬
stimmen. Diele Bestimmung, heißt es weiter, scheint so wenig mit dem Be¬
griffe unbeschränkter geistlicher Macht in Uebereinstimmung zu stehen, daß
selbst wohlunterrichtete Katholiken auf den ersten Anblick an ihr zu zweifeln
geneigt sein dürften. Und doch ist sie kein antiquirtes Curiosum, das man
in alten halb verwetterten Gesetzbüchern zu suchen hat, sondern römische Ca-
nonisten legen ihr noch heute volle Giltigkeit bei.

Die Gründe, auf die Herr Cartwright sich stützt, sind die folgenden.
Papst Bonifacius VIII. degradirte im Jahre 1297 die Cardinäle Jacob und
Peter Colonna und erklärte sie ihres Stimmrechtes verlustig. Von der näch¬
sten Papstwahl wurden sie in der That ausgeschlossen. Der Fall erregte
aber so tiefen Unwillen, und die Folgen einer Möglichkeit, mißliebige Cardi¬
näle von der Wahl auszuschließen, erschienen so bedenklich, daß Papst Cle¬
mens V. dreizehn Jahre später beide Cardinäle wieder in alle ihre Gerecht¬
same einsetzte und bei der Gelegenheit feierlich erklärte, daß künftighin kein
Cardinal, aus welchem Grunde es auch sei. seines Stimmrech'tes im Conelave
beraubt werden könne. Pius IV. und Gregor XV. (im 16. und 17. Jahr¬
hundert) wiederholten und erneuerten diese Bestimmung, die bis zum Erlasse
des Breve von Pius IX. gegen Cardinal Andrea unverbrüchlich gehalten ist,
trotz mehrerer Versuche, sie zu brechen. Im Jahre 1617 nämlich wurden die
Cardinäle Petrucei, Saoli und Soderini eines Mordversuches gegen Papst
Leo X. angeklagt. Petrucci wurde im Castel Se. Angelo strangulirt, Saoli
und Soderini dagegen wurden degradirt und ihres Stimmrechtes beraubt.
Als Leo X. indessen den Fall ruhiger erwog, setzte er die beiden letzteren
Cardinäle wieder in ihre Würden ein, und sie haben bei den folgenden Papst¬
wahlen gestimmt. Soderini wurde unter Adrian VI. neuer Staatsverbrechen
beschuldigt und in der Engelsburg in Haft gehalten. Ueberdies erließ
Adrian noch auf seinem Todbette eine Bulle, in der er strenge anbefahl, daß
Soderini unter keinen Umständen das Gefängniß verlassen und somit an der
Papstwahl keinen Antheil nehmen sollte. Die Bulle wurde aber von den


leader 1867 aller seiner Rechte als Cardinal und namentlich seines Stimm¬
rechtes bei künftigen Papstwahlen verlustig erklärt.

Hat der Papst das Recht, einen Cardinal seines Stimmrechtes zu be-
rauben? Herr Cartwright antwortet: nein. Dieses Stimmrecht, sagt er, ist
bisher als so heilig angesehen worden, daß es durch Ausnahmsgesetze geschützt
ist und nach canonischem Rechte die einzige Schranke päpstlicher Allgewalt
'bildet. Keine Censur, kein Interdict, keine Excommunication kann einem
Cardinal sein Stimmrecht im Conelave nehmen. (S. 131.) An einem an¬
deren Orte führt unser Autor aus, daß ein Cardinal zu allen gesetzlichen
Strafen und zum Tode von der Hand des Henkers verurtheilt werden kann,
aber so lange er lebt das Recht behält, bei vorkommender Papstwahl anzu¬
stimmen. Diele Bestimmung, heißt es weiter, scheint so wenig mit dem Be¬
griffe unbeschränkter geistlicher Macht in Uebereinstimmung zu stehen, daß
selbst wohlunterrichtete Katholiken auf den ersten Anblick an ihr zu zweifeln
geneigt sein dürften. Und doch ist sie kein antiquirtes Curiosum, das man
in alten halb verwetterten Gesetzbüchern zu suchen hat, sondern römische Ca-
nonisten legen ihr noch heute volle Giltigkeit bei.

Die Gründe, auf die Herr Cartwright sich stützt, sind die folgenden.
Papst Bonifacius VIII. degradirte im Jahre 1297 die Cardinäle Jacob und
Peter Colonna und erklärte sie ihres Stimmrechtes verlustig. Von der näch¬
sten Papstwahl wurden sie in der That ausgeschlossen. Der Fall erregte
aber so tiefen Unwillen, und die Folgen einer Möglichkeit, mißliebige Cardi¬
näle von der Wahl auszuschließen, erschienen so bedenklich, daß Papst Cle¬
mens V. dreizehn Jahre später beide Cardinäle wieder in alle ihre Gerecht¬
same einsetzte und bei der Gelegenheit feierlich erklärte, daß künftighin kein
Cardinal, aus welchem Grunde es auch sei. seines Stimmrech'tes im Conelave
beraubt werden könne. Pius IV. und Gregor XV. (im 16. und 17. Jahr¬
hundert) wiederholten und erneuerten diese Bestimmung, die bis zum Erlasse
des Breve von Pius IX. gegen Cardinal Andrea unverbrüchlich gehalten ist,
trotz mehrerer Versuche, sie zu brechen. Im Jahre 1617 nämlich wurden die
Cardinäle Petrucei, Saoli und Soderini eines Mordversuches gegen Papst
Leo X. angeklagt. Petrucci wurde im Castel Se. Angelo strangulirt, Saoli
und Soderini dagegen wurden degradirt und ihres Stimmrechtes beraubt.
Als Leo X. indessen den Fall ruhiger erwog, setzte er die beiden letzteren
Cardinäle wieder in ihre Würden ein, und sie haben bei den folgenden Papst¬
wahlen gestimmt. Soderini wurde unter Adrian VI. neuer Staatsverbrechen
beschuldigt und in der Engelsburg in Haft gehalten. Ueberdies erließ
Adrian noch auf seinem Todbette eine Bulle, in der er strenge anbefahl, daß
Soderini unter keinen Umständen das Gefängniß verlassen und somit an der
Papstwahl keinen Antheil nehmen sollte. Die Bulle wurde aber von den


leader 1867 aller seiner Rechte als Cardinal und namentlich seines Stimm¬
rechtes bei künftigen Papstwahlen verlustig erklärt.
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[0143] Hat der Papst das Recht, einen Cardinal seines Stimmrechtes zu be- rauben? Herr Cartwright antwortet: nein. Dieses Stimmrecht, sagt er, ist bisher als so heilig angesehen worden, daß es durch Ausnahmsgesetze geschützt ist und nach canonischem Rechte die einzige Schranke päpstlicher Allgewalt 'bildet. Keine Censur, kein Interdict, keine Excommunication kann einem Cardinal sein Stimmrecht im Conelave nehmen. (S. 131.) An einem an¬ deren Orte führt unser Autor aus, daß ein Cardinal zu allen gesetzlichen Strafen und zum Tode von der Hand des Henkers verurtheilt werden kann, aber so lange er lebt das Recht behält, bei vorkommender Papstwahl anzu¬ stimmen. Diele Bestimmung, heißt es weiter, scheint so wenig mit dem Be¬ griffe unbeschränkter geistlicher Macht in Uebereinstimmung zu stehen, daß selbst wohlunterrichtete Katholiken auf den ersten Anblick an ihr zu zweifeln geneigt sein dürften. Und doch ist sie kein antiquirtes Curiosum, das man in alten halb verwetterten Gesetzbüchern zu suchen hat, sondern römische Ca- nonisten legen ihr noch heute volle Giltigkeit bei. Die Gründe, auf die Herr Cartwright sich stützt, sind die folgenden. Papst Bonifacius VIII. degradirte im Jahre 1297 die Cardinäle Jacob und Peter Colonna und erklärte sie ihres Stimmrechtes verlustig. Von der näch¬ sten Papstwahl wurden sie in der That ausgeschlossen. Der Fall erregte aber so tiefen Unwillen, und die Folgen einer Möglichkeit, mißliebige Cardi¬ näle von der Wahl auszuschließen, erschienen so bedenklich, daß Papst Cle¬ mens V. dreizehn Jahre später beide Cardinäle wieder in alle ihre Gerecht¬ same einsetzte und bei der Gelegenheit feierlich erklärte, daß künftighin kein Cardinal, aus welchem Grunde es auch sei. seines Stimmrech'tes im Conelave beraubt werden könne. Pius IV. und Gregor XV. (im 16. und 17. Jahr¬ hundert) wiederholten und erneuerten diese Bestimmung, die bis zum Erlasse des Breve von Pius IX. gegen Cardinal Andrea unverbrüchlich gehalten ist, trotz mehrerer Versuche, sie zu brechen. Im Jahre 1617 nämlich wurden die Cardinäle Petrucei, Saoli und Soderini eines Mordversuches gegen Papst Leo X. angeklagt. Petrucci wurde im Castel Se. Angelo strangulirt, Saoli und Soderini dagegen wurden degradirt und ihres Stimmrechtes beraubt. Als Leo X. indessen den Fall ruhiger erwog, setzte er die beiden letzteren Cardinäle wieder in ihre Würden ein, und sie haben bei den folgenden Papst¬ wahlen gestimmt. Soderini wurde unter Adrian VI. neuer Staatsverbrechen beschuldigt und in der Engelsburg in Haft gehalten. Ueberdies erließ Adrian noch auf seinem Todbette eine Bulle, in der er strenge anbefahl, daß Soderini unter keinen Umständen das Gefängniß verlassen und somit an der Papstwahl keinen Antheil nehmen sollte. Die Bulle wurde aber von den leader 1867 aller seiner Rechte als Cardinal und namentlich seines Stimm¬ rechtes bei künftigen Papstwahlen verlustig erklärt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/143>, abgerufen am 15.01.2025.