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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Voraussetzungen zu dringen, unter welchen den geistlichen Gymnasien das
Oeffentlichkeitsrecht bewilligt worden war, die Nichterfüllung nicht etwa
nur stillschweigend gestattete, sondern zu derselben gewissermaßen ausdrück¬
lich dadurch aufforderte, daß er jenen sich eximirenden Prälaten auch für
neue Anstalten das Oeffentlichkeitsrecht ertheilte, und hierin selbst einem
Orden gegenüber keine Ausnahme machte, welcher die Bedingungen nicht
etwa blos nicht erfüllte, sondern offen erklärte, daß er sich an die vom
Staate vorgeschriebenen Bedingungen nicht halte, nicht halten werde und
könne.

Diese Haltung nahmen die Jesuiten. Ihr Orden besaß seit seiner
Wiedereinführung unter Kaiser Franz Joseph I. in den Jahren, in welchen
die Reorganisation des Gymnasialwesens durchgeführt werden sollte, abge¬
sehen von Ungarn u. s. w. die Lehr- und Erziehungsanstalten zu Kalks¬
burg bei Wien, zu Mariaschein in Böhmen, zu Feldkirch in Tirol, zu
Ragusa in Dalmatien, wozu später jene zu Freinberg bei Linz kam.
welche sämmtlich mit der ersten Classe begonnen hatten, allmählich aber bis
zur achten Classe ergänzt wurden, und deren Schüler zuerst pro maturitate an
öffentlichen Anstalten geprüft worden waren, da die Gymnasien der Jesuiten
kein Oeffentlichkeitsrecht besaßen und folglich keine Maturitätsprüfung abhalten
konnten. Bald aber fingen die Gymnasien in Freinberg, Ragusa und Feld¬
kirch an, Maturitätsprüfungen abzuhalten und Zeugnisse darüber auszustellen,
welche bald darauf auch von den Staatsbehörden anerkannt wurden. Und
so hatten sie sich das Oeffentlichkeitsrecht nicht nur angemaßt, sondern auch
ertrotzt, ungeachtet sie keine der Bedingungen erfüllt hatten, an welche der
Staat die Bewilligung dieses Rechtes knüpfte.

Die Repetitio, Coneertatio. sowie die Decuriones, deren Wesen wir
kennen gelernt haben, sind auch jetzt noch in den Jesuitengymnasien, und
zwar "aus den tiefsten psychologischen und pädagogischen Gründen" beibe¬
halten worden. "Die Repetitio unterhält den Wetteifer, die Coneertatio
spannt alle Geisteskräfte des Knaben und Jünglings, der Decurio über¬
wacht und constatirt Fleiß und Unfleiß."

Auch die Academien wurden "aus den triftigsten pädagogischen Gründen"
beibehalten. "Das Hauptaugenmerk des Lehrers muß im Bemessen der Trag¬
kräfte der Lernenden auf der Mittelcasse der Schüler gerichtet sein, damit
die schwächeren noch ein erreichbares Ziel vor sich sehen, und die befähig-
teren wenigstens mit der Hauptsache hinlänglich beschäftigt werden. Damit
aber die ausgezeichneten Talente nach ihrer ganzen Kraft im betreffenden
Studium Beschäftigung und die ihnen angemessene Ausbildung erhalten, dazu
dienen die Academien, in welchen die Schulgegenstände in weiterer Ausdeh¬
nung und tieferer Begründung behandelt, über die Schulaufgaben hinaus-


Voraussetzungen zu dringen, unter welchen den geistlichen Gymnasien das
Oeffentlichkeitsrecht bewilligt worden war, die Nichterfüllung nicht etwa
nur stillschweigend gestattete, sondern zu derselben gewissermaßen ausdrück¬
lich dadurch aufforderte, daß er jenen sich eximirenden Prälaten auch für
neue Anstalten das Oeffentlichkeitsrecht ertheilte, und hierin selbst einem
Orden gegenüber keine Ausnahme machte, welcher die Bedingungen nicht
etwa blos nicht erfüllte, sondern offen erklärte, daß er sich an die vom
Staate vorgeschriebenen Bedingungen nicht halte, nicht halten werde und
könne.

Diese Haltung nahmen die Jesuiten. Ihr Orden besaß seit seiner
Wiedereinführung unter Kaiser Franz Joseph I. in den Jahren, in welchen
die Reorganisation des Gymnasialwesens durchgeführt werden sollte, abge¬
sehen von Ungarn u. s. w. die Lehr- und Erziehungsanstalten zu Kalks¬
burg bei Wien, zu Mariaschein in Böhmen, zu Feldkirch in Tirol, zu
Ragusa in Dalmatien, wozu später jene zu Freinberg bei Linz kam.
welche sämmtlich mit der ersten Classe begonnen hatten, allmählich aber bis
zur achten Classe ergänzt wurden, und deren Schüler zuerst pro maturitate an
öffentlichen Anstalten geprüft worden waren, da die Gymnasien der Jesuiten
kein Oeffentlichkeitsrecht besaßen und folglich keine Maturitätsprüfung abhalten
konnten. Bald aber fingen die Gymnasien in Freinberg, Ragusa und Feld¬
kirch an, Maturitätsprüfungen abzuhalten und Zeugnisse darüber auszustellen,
welche bald darauf auch von den Staatsbehörden anerkannt wurden. Und
so hatten sie sich das Oeffentlichkeitsrecht nicht nur angemaßt, sondern auch
ertrotzt, ungeachtet sie keine der Bedingungen erfüllt hatten, an welche der
Staat die Bewilligung dieses Rechtes knüpfte.

Die Repetitio, Coneertatio. sowie die Decuriones, deren Wesen wir
kennen gelernt haben, sind auch jetzt noch in den Jesuitengymnasien, und
zwar „aus den tiefsten psychologischen und pädagogischen Gründen" beibe¬
halten worden. „Die Repetitio unterhält den Wetteifer, die Coneertatio
spannt alle Geisteskräfte des Knaben und Jünglings, der Decurio über¬
wacht und constatirt Fleiß und Unfleiß."

Auch die Academien wurden „aus den triftigsten pädagogischen Gründen"
beibehalten. „Das Hauptaugenmerk des Lehrers muß im Bemessen der Trag¬
kräfte der Lernenden auf der Mittelcasse der Schüler gerichtet sein, damit
die schwächeren noch ein erreichbares Ziel vor sich sehen, und die befähig-
teren wenigstens mit der Hauptsache hinlänglich beschäftigt werden. Damit
aber die ausgezeichneten Talente nach ihrer ganzen Kraft im betreffenden
Studium Beschäftigung und die ihnen angemessene Ausbildung erhalten, dazu
dienen die Academien, in welchen die Schulgegenstände in weiterer Ausdeh¬
nung und tieferer Begründung behandelt, über die Schulaufgaben hinaus-


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[0137] Voraussetzungen zu dringen, unter welchen den geistlichen Gymnasien das Oeffentlichkeitsrecht bewilligt worden war, die Nichterfüllung nicht etwa nur stillschweigend gestattete, sondern zu derselben gewissermaßen ausdrück¬ lich dadurch aufforderte, daß er jenen sich eximirenden Prälaten auch für neue Anstalten das Oeffentlichkeitsrecht ertheilte, und hierin selbst einem Orden gegenüber keine Ausnahme machte, welcher die Bedingungen nicht etwa blos nicht erfüllte, sondern offen erklärte, daß er sich an die vom Staate vorgeschriebenen Bedingungen nicht halte, nicht halten werde und könne. Diese Haltung nahmen die Jesuiten. Ihr Orden besaß seit seiner Wiedereinführung unter Kaiser Franz Joseph I. in den Jahren, in welchen die Reorganisation des Gymnasialwesens durchgeführt werden sollte, abge¬ sehen von Ungarn u. s. w. die Lehr- und Erziehungsanstalten zu Kalks¬ burg bei Wien, zu Mariaschein in Böhmen, zu Feldkirch in Tirol, zu Ragusa in Dalmatien, wozu später jene zu Freinberg bei Linz kam. welche sämmtlich mit der ersten Classe begonnen hatten, allmählich aber bis zur achten Classe ergänzt wurden, und deren Schüler zuerst pro maturitate an öffentlichen Anstalten geprüft worden waren, da die Gymnasien der Jesuiten kein Oeffentlichkeitsrecht besaßen und folglich keine Maturitätsprüfung abhalten konnten. Bald aber fingen die Gymnasien in Freinberg, Ragusa und Feld¬ kirch an, Maturitätsprüfungen abzuhalten und Zeugnisse darüber auszustellen, welche bald darauf auch von den Staatsbehörden anerkannt wurden. Und so hatten sie sich das Oeffentlichkeitsrecht nicht nur angemaßt, sondern auch ertrotzt, ungeachtet sie keine der Bedingungen erfüllt hatten, an welche der Staat die Bewilligung dieses Rechtes knüpfte. Die Repetitio, Coneertatio. sowie die Decuriones, deren Wesen wir kennen gelernt haben, sind auch jetzt noch in den Jesuitengymnasien, und zwar „aus den tiefsten psychologischen und pädagogischen Gründen" beibe¬ halten worden. „Die Repetitio unterhält den Wetteifer, die Coneertatio spannt alle Geisteskräfte des Knaben und Jünglings, der Decurio über¬ wacht und constatirt Fleiß und Unfleiß." Auch die Academien wurden „aus den triftigsten pädagogischen Gründen" beibehalten. „Das Hauptaugenmerk des Lehrers muß im Bemessen der Trag¬ kräfte der Lernenden auf der Mittelcasse der Schüler gerichtet sein, damit die schwächeren noch ein erreichbares Ziel vor sich sehen, und die befähig- teren wenigstens mit der Hauptsache hinlänglich beschäftigt werden. Damit aber die ausgezeichneten Talente nach ihrer ganzen Kraft im betreffenden Studium Beschäftigung und die ihnen angemessene Ausbildung erhalten, dazu dienen die Academien, in welchen die Schulgegenstände in weiterer Ausdeh¬ nung und tieferer Begründung behandelt, über die Schulaufgaben hinaus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/137>, abgerufen am 15.01.2025.