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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Stande sein konnte, den Ueberschuß zu ernähren. Der Grund des früher
ungeheueren Elends, welches mit der Hungersnoth von 1848 seinen Gipfel
erreichte, ist wesentlich in der Übervölkerung zu suchen, für welche es kein
Heilmittel gab, als die massenhafte Auswanderung, die von da ab be¬
gann. Seitdem hat sich die materielle Lage Irlands, wenn sie auch noch
längst nicht befriedigend ist, stetig verbessert; dies wird zwar von einzelnen
Jrländern und Radicalen geleugnet, aber ist durch statistische Thatsachen un-
widerleglich festgestellt. So gab kürzlich der Staatssecretär für Irland, Lord
Mayo an, daß in der letzten Generation die Summe des angebauten Landes
von 13 Mill. auf 15Mill. Acres gestiegen sei und der Werth des Vieh¬
standes von 21 Mill. Pfd. Sterl, auf 50^ Mill. Pfd. Sterl.; ebenso haben
sich Pachter, Löhne, Einlagen in den Sparcassen, Einnahmen aus Post, Eisen¬
bahnen und Telegraphen und Tonnenzahl der Handelsmarine gehoben. Hier¬
aus erklärt sich auch, daß der Charakter der fenischen Verschwörung ein ganz
anderer ist, als der der früheren Aufstände und Agitationen von 1690, 1798
und selbst von 1848. Keine Leute von Bedeutung wie Grattan, Wolf, Tone,
O'Connell oder auch nur wie Smith, O'Brien und Meagher stehen an ihrer
Spitze, sie rekrutirt sich vielmehr ausschließlich aus den untersten Classen der
ländlichen Arbeiter und der Handwerker; der katholische Elerus bekämpft
sie wegen ihres socialistischen Charakters und sie zieht ihre wesentlichste Unter¬
stützung aus der großen irischen Colonie in den vereinigten Staaten. Die
Beendigung des amerikanischen Bürgerkrieges hat einer Anzahl von irländi¬
schen Abenteurern ihre Beschäftigung genommen, welche jetzt ihre gewonnene
militärische Erfahrung brauchen möchten, um ihrem Haß gegen England Ge¬
nüge zu thun. Sie kommen mit Geld versehen herüber und reizen die ärmeren
Classen durch Vorspiegelungen^ der wildesten Art auf, ihnen liegt nicht daran,
praktische Mittel gegen die berechtigten Beschwerden des Landes zu finden,
sie wollen Lostrennung von England, Verjagung aller nicht irischen Eigen¬
thümer und Confiscation ihres Besitzes. Für diese Zwecke ist jedes Mittel
gut, sür die Befreiung eines Rädelsführers dürfen hundert Unschuldige in
die Luft gesprengt werden, und dennoch haben sie es nicht einmal zu einem
Aufstand bringen können.

Trotzdem aber bleibt der Fenianismus eine sehr bedrohliche Erscheinung.
Einmal birgt er die Gefahr eines möglichen Conflicts mit den vereinigten
Staaten, welche durch das bloße Gewährenlassen einer fenischen Invasion in
Canada England die größten Verlegenheiten bereiten können, andererseits läßt
sich nicht leugnen, daß, wenn die active Theilnahme an der Verschwörung
sich auf die unteren Classen beschränkt, die passive Sympathie weit höher
hinauf reicht, und außerdem hat England in allen seinen großen Städten
serische Colonien in der zahlreichen irischen Arbeiterbevölkerung. Es sind


Stande sein konnte, den Ueberschuß zu ernähren. Der Grund des früher
ungeheueren Elends, welches mit der Hungersnoth von 1848 seinen Gipfel
erreichte, ist wesentlich in der Übervölkerung zu suchen, für welche es kein
Heilmittel gab, als die massenhafte Auswanderung, die von da ab be¬
gann. Seitdem hat sich die materielle Lage Irlands, wenn sie auch noch
längst nicht befriedigend ist, stetig verbessert; dies wird zwar von einzelnen
Jrländern und Radicalen geleugnet, aber ist durch statistische Thatsachen un-
widerleglich festgestellt. So gab kürzlich der Staatssecretär für Irland, Lord
Mayo an, daß in der letzten Generation die Summe des angebauten Landes
von 13 Mill. auf 15Mill. Acres gestiegen sei und der Werth des Vieh¬
standes von 21 Mill. Pfd. Sterl, auf 50^ Mill. Pfd. Sterl.; ebenso haben
sich Pachter, Löhne, Einlagen in den Sparcassen, Einnahmen aus Post, Eisen¬
bahnen und Telegraphen und Tonnenzahl der Handelsmarine gehoben. Hier¬
aus erklärt sich auch, daß der Charakter der fenischen Verschwörung ein ganz
anderer ist, als der der früheren Aufstände und Agitationen von 1690, 1798
und selbst von 1848. Keine Leute von Bedeutung wie Grattan, Wolf, Tone,
O'Connell oder auch nur wie Smith, O'Brien und Meagher stehen an ihrer
Spitze, sie rekrutirt sich vielmehr ausschließlich aus den untersten Classen der
ländlichen Arbeiter und der Handwerker; der katholische Elerus bekämpft
sie wegen ihres socialistischen Charakters und sie zieht ihre wesentlichste Unter¬
stützung aus der großen irischen Colonie in den vereinigten Staaten. Die
Beendigung des amerikanischen Bürgerkrieges hat einer Anzahl von irländi¬
schen Abenteurern ihre Beschäftigung genommen, welche jetzt ihre gewonnene
militärische Erfahrung brauchen möchten, um ihrem Haß gegen England Ge¬
nüge zu thun. Sie kommen mit Geld versehen herüber und reizen die ärmeren
Classen durch Vorspiegelungen^ der wildesten Art auf, ihnen liegt nicht daran,
praktische Mittel gegen die berechtigten Beschwerden des Landes zu finden,
sie wollen Lostrennung von England, Verjagung aller nicht irischen Eigen¬
thümer und Confiscation ihres Besitzes. Für diese Zwecke ist jedes Mittel
gut, sür die Befreiung eines Rädelsführers dürfen hundert Unschuldige in
die Luft gesprengt werden, und dennoch haben sie es nicht einmal zu einem
Aufstand bringen können.

Trotzdem aber bleibt der Fenianismus eine sehr bedrohliche Erscheinung.
Einmal birgt er die Gefahr eines möglichen Conflicts mit den vereinigten
Staaten, welche durch das bloße Gewährenlassen einer fenischen Invasion in
Canada England die größten Verlegenheiten bereiten können, andererseits läßt
sich nicht leugnen, daß, wenn die active Theilnahme an der Verschwörung
sich auf die unteren Classen beschränkt, die passive Sympathie weit höher
hinauf reicht, und außerdem hat England in allen seinen großen Städten
serische Colonien in der zahlreichen irischen Arbeiterbevölkerung. Es sind


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[0126] Stande sein konnte, den Ueberschuß zu ernähren. Der Grund des früher ungeheueren Elends, welches mit der Hungersnoth von 1848 seinen Gipfel erreichte, ist wesentlich in der Übervölkerung zu suchen, für welche es kein Heilmittel gab, als die massenhafte Auswanderung, die von da ab be¬ gann. Seitdem hat sich die materielle Lage Irlands, wenn sie auch noch längst nicht befriedigend ist, stetig verbessert; dies wird zwar von einzelnen Jrländern und Radicalen geleugnet, aber ist durch statistische Thatsachen un- widerleglich festgestellt. So gab kürzlich der Staatssecretär für Irland, Lord Mayo an, daß in der letzten Generation die Summe des angebauten Landes von 13 Mill. auf 15Mill. Acres gestiegen sei und der Werth des Vieh¬ standes von 21 Mill. Pfd. Sterl, auf 50^ Mill. Pfd. Sterl.; ebenso haben sich Pachter, Löhne, Einlagen in den Sparcassen, Einnahmen aus Post, Eisen¬ bahnen und Telegraphen und Tonnenzahl der Handelsmarine gehoben. Hier¬ aus erklärt sich auch, daß der Charakter der fenischen Verschwörung ein ganz anderer ist, als der der früheren Aufstände und Agitationen von 1690, 1798 und selbst von 1848. Keine Leute von Bedeutung wie Grattan, Wolf, Tone, O'Connell oder auch nur wie Smith, O'Brien und Meagher stehen an ihrer Spitze, sie rekrutirt sich vielmehr ausschließlich aus den untersten Classen der ländlichen Arbeiter und der Handwerker; der katholische Elerus bekämpft sie wegen ihres socialistischen Charakters und sie zieht ihre wesentlichste Unter¬ stützung aus der großen irischen Colonie in den vereinigten Staaten. Die Beendigung des amerikanischen Bürgerkrieges hat einer Anzahl von irländi¬ schen Abenteurern ihre Beschäftigung genommen, welche jetzt ihre gewonnene militärische Erfahrung brauchen möchten, um ihrem Haß gegen England Ge¬ nüge zu thun. Sie kommen mit Geld versehen herüber und reizen die ärmeren Classen durch Vorspiegelungen^ der wildesten Art auf, ihnen liegt nicht daran, praktische Mittel gegen die berechtigten Beschwerden des Landes zu finden, sie wollen Lostrennung von England, Verjagung aller nicht irischen Eigen¬ thümer und Confiscation ihres Besitzes. Für diese Zwecke ist jedes Mittel gut, sür die Befreiung eines Rädelsführers dürfen hundert Unschuldige in die Luft gesprengt werden, und dennoch haben sie es nicht einmal zu einem Aufstand bringen können. Trotzdem aber bleibt der Fenianismus eine sehr bedrohliche Erscheinung. Einmal birgt er die Gefahr eines möglichen Conflicts mit den vereinigten Staaten, welche durch das bloße Gewährenlassen einer fenischen Invasion in Canada England die größten Verlegenheiten bereiten können, andererseits läßt sich nicht leugnen, daß, wenn die active Theilnahme an der Verschwörung sich auf die unteren Classen beschränkt, die passive Sympathie weit höher hinauf reicht, und außerdem hat England in allen seinen großen Städten serische Colonien in der zahlreichen irischen Arbeiterbevölkerung. Es sind

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/126>, abgerufen am 15.01.2025.