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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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wordenen Sculpturen des Parthenon ist, wie tiefgreifend sie die Kunst¬
anschauung überhaupt und die Auffassung der alten Kunstgeschichte reformirt
haben, so regt doch selbst der Anblick der herrlichen Giebelstatuen nur um
so lebhafter das Verlangen auf, von den Götterbildern, in denen die Kunst
des Meisters sich erst vollständig offenbart hatte, wenigstens eine annähernde
Vorstellung zu gewinnen. Von der Statue der jungfräulichen Athene auf der
Burg, in welcher der von der geistigen Bewegung seiner Zeit tief ergriffene
Künstler den Athenern das Bild der Göttin, welche alles was attisch war,
Natur und Klima, Verstand und Witz, Thatkraft'und Gewandtheit des
Körpers wie des Geistes, Kunstfertigkeit und praktische Tüchtigkeit in ihrem
Wesen vereinigte, in überwältigender Hoheit und Schönheit hinstellte, haben
wir verhältnißmäßig genaue Beschreibungen, sowie, lehrreiche Andeutungen
über einzelnes. Was aus diesen mit Sicherheit zu gewinnen ist, kommt aus
folgendes hinaus.

Die colossale 26 Ellen hohe Statue war aus Gold und Elfenbein gear¬
beitet, sodaß im wesentlichen die nackten Körpertheile aus Elfenbein, Gewand
und Waffen aus Gold waren; die Augen bestanden aus eingesetzten farbigen
Steinen. Die Göttin stand aufrecht da, im langen bis auf die Füße reichen¬
den Gewand, über der Brust gerüstet mit der Aegis und dem Medusen¬
haupt. Der Helm, den sie auf dem Kopfe trug, hatte oben eine Sphinx,
auf beiden Seiten Greife zur Verzierung. Mit der Linken hielt sie die lange
Lanze; sie war gesenkt, denn ihre Finger berührten den Rand des Schildes,
der zur Linken neben ihren Füßen stand; auf der Außenseite war eine Ama¬
zonenschlacht, im Innern der Gigantenkampf im Relief gebildet. In
der Nähe des Schildes war die Schlange, das heilige Thier der Burggöttin,
das auch in Wirklichkeit ihren Tempel hütete; auf der ausgestreckten Rechten
trug sie eine Siegesgöttin mit einem Kranz. Die hohen Sohlen waren mit
einem Relief der Centaurenschlacht geschmückt, das Fußgestell schmückte
eine figurenreiche Composition, die Geburt der Pandora darstellend.

Wie wenig diese äußerst dankenswerthen Angaben ausreichen, eine der
künstlerischen Auffassung, des Originals entsprechende Vorstellung zu gewin¬
nen, das lehren frühere Herstellungsversuche. Wiewohl von dem durch Phi-
dias lebendig gewordenen Bilde der Athene auf die meisten späteren Dar¬
stellungen noch irgend etwas übergegangen ist, so ließ man sich doch meist
durch den überall freigebig vertheilten Schmuck, welchen die colossale Größe
vertrug und forderte, verleiten, bei den reich ausgestatteten Athenebildern
die wesentlichen Züge zu suchen, welche zu einer zierlichen und prächtigen
Schönheit leiteten. Daß diese Grundanschauung von dem Kunstcharakter
des Phidias falsch sei, machten die Sculpturen des Parthenon anschaulich.
Sie zeigten, was jedes neu gewonnene bedeutende Werk griechischer Kunst


wordenen Sculpturen des Parthenon ist, wie tiefgreifend sie die Kunst¬
anschauung überhaupt und die Auffassung der alten Kunstgeschichte reformirt
haben, so regt doch selbst der Anblick der herrlichen Giebelstatuen nur um
so lebhafter das Verlangen auf, von den Götterbildern, in denen die Kunst
des Meisters sich erst vollständig offenbart hatte, wenigstens eine annähernde
Vorstellung zu gewinnen. Von der Statue der jungfräulichen Athene auf der
Burg, in welcher der von der geistigen Bewegung seiner Zeit tief ergriffene
Künstler den Athenern das Bild der Göttin, welche alles was attisch war,
Natur und Klima, Verstand und Witz, Thatkraft'und Gewandtheit des
Körpers wie des Geistes, Kunstfertigkeit und praktische Tüchtigkeit in ihrem
Wesen vereinigte, in überwältigender Hoheit und Schönheit hinstellte, haben
wir verhältnißmäßig genaue Beschreibungen, sowie, lehrreiche Andeutungen
über einzelnes. Was aus diesen mit Sicherheit zu gewinnen ist, kommt aus
folgendes hinaus.

Die colossale 26 Ellen hohe Statue war aus Gold und Elfenbein gear¬
beitet, sodaß im wesentlichen die nackten Körpertheile aus Elfenbein, Gewand
und Waffen aus Gold waren; die Augen bestanden aus eingesetzten farbigen
Steinen. Die Göttin stand aufrecht da, im langen bis auf die Füße reichen¬
den Gewand, über der Brust gerüstet mit der Aegis und dem Medusen¬
haupt. Der Helm, den sie auf dem Kopfe trug, hatte oben eine Sphinx,
auf beiden Seiten Greife zur Verzierung. Mit der Linken hielt sie die lange
Lanze; sie war gesenkt, denn ihre Finger berührten den Rand des Schildes,
der zur Linken neben ihren Füßen stand; auf der Außenseite war eine Ama¬
zonenschlacht, im Innern der Gigantenkampf im Relief gebildet. In
der Nähe des Schildes war die Schlange, das heilige Thier der Burggöttin,
das auch in Wirklichkeit ihren Tempel hütete; auf der ausgestreckten Rechten
trug sie eine Siegesgöttin mit einem Kranz. Die hohen Sohlen waren mit
einem Relief der Centaurenschlacht geschmückt, das Fußgestell schmückte
eine figurenreiche Composition, die Geburt der Pandora darstellend.

Wie wenig diese äußerst dankenswerthen Angaben ausreichen, eine der
künstlerischen Auffassung, des Originals entsprechende Vorstellung zu gewin¬
nen, das lehren frühere Herstellungsversuche. Wiewohl von dem durch Phi-
dias lebendig gewordenen Bilde der Athene auf die meisten späteren Dar¬
stellungen noch irgend etwas übergegangen ist, so ließ man sich doch meist
durch den überall freigebig vertheilten Schmuck, welchen die colossale Größe
vertrug und forderte, verleiten, bei den reich ausgestatteten Athenebildern
die wesentlichen Züge zu suchen, welche zu einer zierlichen und prächtigen
Schönheit leiteten. Daß diese Grundanschauung von dem Kunstcharakter
des Phidias falsch sei, machten die Sculpturen des Parthenon anschaulich.
Sie zeigten, was jedes neu gewonnene bedeutende Werk griechischer Kunst


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[0107] wordenen Sculpturen des Parthenon ist, wie tiefgreifend sie die Kunst¬ anschauung überhaupt und die Auffassung der alten Kunstgeschichte reformirt haben, so regt doch selbst der Anblick der herrlichen Giebelstatuen nur um so lebhafter das Verlangen auf, von den Götterbildern, in denen die Kunst des Meisters sich erst vollständig offenbart hatte, wenigstens eine annähernde Vorstellung zu gewinnen. Von der Statue der jungfräulichen Athene auf der Burg, in welcher der von der geistigen Bewegung seiner Zeit tief ergriffene Künstler den Athenern das Bild der Göttin, welche alles was attisch war, Natur und Klima, Verstand und Witz, Thatkraft'und Gewandtheit des Körpers wie des Geistes, Kunstfertigkeit und praktische Tüchtigkeit in ihrem Wesen vereinigte, in überwältigender Hoheit und Schönheit hinstellte, haben wir verhältnißmäßig genaue Beschreibungen, sowie, lehrreiche Andeutungen über einzelnes. Was aus diesen mit Sicherheit zu gewinnen ist, kommt aus folgendes hinaus. Die colossale 26 Ellen hohe Statue war aus Gold und Elfenbein gear¬ beitet, sodaß im wesentlichen die nackten Körpertheile aus Elfenbein, Gewand und Waffen aus Gold waren; die Augen bestanden aus eingesetzten farbigen Steinen. Die Göttin stand aufrecht da, im langen bis auf die Füße reichen¬ den Gewand, über der Brust gerüstet mit der Aegis und dem Medusen¬ haupt. Der Helm, den sie auf dem Kopfe trug, hatte oben eine Sphinx, auf beiden Seiten Greife zur Verzierung. Mit der Linken hielt sie die lange Lanze; sie war gesenkt, denn ihre Finger berührten den Rand des Schildes, der zur Linken neben ihren Füßen stand; auf der Außenseite war eine Ama¬ zonenschlacht, im Innern der Gigantenkampf im Relief gebildet. In der Nähe des Schildes war die Schlange, das heilige Thier der Burggöttin, das auch in Wirklichkeit ihren Tempel hütete; auf der ausgestreckten Rechten trug sie eine Siegesgöttin mit einem Kranz. Die hohen Sohlen waren mit einem Relief der Centaurenschlacht geschmückt, das Fußgestell schmückte eine figurenreiche Composition, die Geburt der Pandora darstellend. Wie wenig diese äußerst dankenswerthen Angaben ausreichen, eine der künstlerischen Auffassung, des Originals entsprechende Vorstellung zu gewin¬ nen, das lehren frühere Herstellungsversuche. Wiewohl von dem durch Phi- dias lebendig gewordenen Bilde der Athene auf die meisten späteren Dar¬ stellungen noch irgend etwas übergegangen ist, so ließ man sich doch meist durch den überall freigebig vertheilten Schmuck, welchen die colossale Größe vertrug und forderte, verleiten, bei den reich ausgestatteten Athenebildern die wesentlichen Züge zu suchen, welche zu einer zierlichen und prächtigen Schönheit leiteten. Daß diese Grundanschauung von dem Kunstcharakter des Phidias falsch sei, machten die Sculpturen des Parthenon anschaulich. Sie zeigten, was jedes neu gewonnene bedeutende Werk griechischer Kunst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/107>, abgerufen am 15.01.2025.