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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Pfeil einer an dem Stamm heraufkriechenden Eidechse aufpaßt, von einem
Original des Praxiteles copiert sei, das Plinius wie nach einer der erhal¬
tenen Statuen beschreibt: "Praxiteles bildete auch Apollo als herangewachse¬
nen Knaben, wie er einer herankriechenden Eidechse mit einem Pfeil aus der
Nähe (nicht mit dem Bogen) auflauert, den man den Eidechsentödter (s-m-
roetonos) nennt." Ebenso beschreibt Martial eine beliebte Statue, von der
man Copien verschenkte, ohne den Künstler zu nennen. Da die Statue voll¬
kommen dem entspricht, was uns über den Kunstcharakter des Praxiteles be¬
kannt ist. so darf man unbedenklich diesem Werk seinen bestimmten Platz in
der Kunstgeschichte anweisen.

Aber so prägnante Situationen und Motive und so genaue Angaben
sind selten, in der Regel muß man schon mit kürzeren Andeutungen sehr zu¬
frieden sein. Dazu kommen in vielen Fällen als erwünschtes Hilfsmittel die
Münzen. Die griechischen Städte waren stolz auf den Besitz berühmter
Kunstwerke; Cicero kommt in der Anklage gegen Verres immer wieder darauf
zurück, wie die Entführung berühmter Kunstwerke als eine Landescalamität
betrauert worden sei. "Glaubt ihr," sagt er, "daß die Rheginer um irgend
welchen Preis ihre marmorne Ver us weggäben? die Tarentin er die Europ a
auf dem Stier von Pythagoras oder den Satyr im Tempel der Vesta?
die Thespienser den Amor des Praxiteles, den zu sehen man nach
Thespiä reist? dieKnidier die Venus des Praxiteles? die Koer die des
Apelles? die Cyzicener den Aiax oder dieMedea des Timonachus? die
Rhodier den Jalysus des Protogenes? die Ephesier ihren Alex¬
ander des Apelles? die Athener den marmornen Iacchus von Praxi¬
teles, oder den Paralus von Protogenes, oder die eherne Kuh des
Mhron?" In der That erbot sich König Nikomedes vergebens, die ganze
Staatsschuld der Knidier zu übernehmen, wenn sie ihm ihre Venusstatue
abtreten wollten. Es ist daher begreiflich, daß die Städte auf ihre Münzen
gern Bilder berühmter Kunstwerke in ihrem Besitz prägen ließen, in späteren
Zeiten auch solcher, die sie besessen und eingebüßt hatten. Allerdings sind
diese Abbilder in kleinen Dimensionen ausgeführt und im Detail oft umso-
weniger zuverlässig, als auch die Stempelschneider es mit den Einzelheiten
nicht genau nahmen, zufrieden, wenn man nur das bekannte Kunstwerk
wieder erkannte. Und mit dem Anhaltspunkt, den sie so bieten, müssen auch
wir zufrieden sein. Trifft nun die Notiz, daß ein Kunstwerk sich an einem be¬
stimmten Ort befunden habe, mit den Münztypen desselben zusammen, so ge¬
winnen wir nicht allein eine Bestätigung jener Angabe; sondern wenn jener
Typus uns sicher erkennbar in mehrfachen statuarischen Wiederholungen be¬
gegnet, dürfen wir schließen, daß das Original eben jenes Werk sei, welches
die Münzen darstellen. Wie ein Münztypus eine bestimmte Entscheidung


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Pfeil einer an dem Stamm heraufkriechenden Eidechse aufpaßt, von einem
Original des Praxiteles copiert sei, das Plinius wie nach einer der erhal¬
tenen Statuen beschreibt: „Praxiteles bildete auch Apollo als herangewachse¬
nen Knaben, wie er einer herankriechenden Eidechse mit einem Pfeil aus der
Nähe (nicht mit dem Bogen) auflauert, den man den Eidechsentödter (s-m-
roetonos) nennt." Ebenso beschreibt Martial eine beliebte Statue, von der
man Copien verschenkte, ohne den Künstler zu nennen. Da die Statue voll¬
kommen dem entspricht, was uns über den Kunstcharakter des Praxiteles be¬
kannt ist. so darf man unbedenklich diesem Werk seinen bestimmten Platz in
der Kunstgeschichte anweisen.

Aber so prägnante Situationen und Motive und so genaue Angaben
sind selten, in der Regel muß man schon mit kürzeren Andeutungen sehr zu¬
frieden sein. Dazu kommen in vielen Fällen als erwünschtes Hilfsmittel die
Münzen. Die griechischen Städte waren stolz auf den Besitz berühmter
Kunstwerke; Cicero kommt in der Anklage gegen Verres immer wieder darauf
zurück, wie die Entführung berühmter Kunstwerke als eine Landescalamität
betrauert worden sei. „Glaubt ihr," sagt er, „daß die Rheginer um irgend
welchen Preis ihre marmorne Ver us weggäben? die Tarentin er die Europ a
auf dem Stier von Pythagoras oder den Satyr im Tempel der Vesta?
die Thespienser den Amor des Praxiteles, den zu sehen man nach
Thespiä reist? dieKnidier die Venus des Praxiteles? die Koer die des
Apelles? die Cyzicener den Aiax oder dieMedea des Timonachus? die
Rhodier den Jalysus des Protogenes? die Ephesier ihren Alex¬
ander des Apelles? die Athener den marmornen Iacchus von Praxi¬
teles, oder den Paralus von Protogenes, oder die eherne Kuh des
Mhron?" In der That erbot sich König Nikomedes vergebens, die ganze
Staatsschuld der Knidier zu übernehmen, wenn sie ihm ihre Venusstatue
abtreten wollten. Es ist daher begreiflich, daß die Städte auf ihre Münzen
gern Bilder berühmter Kunstwerke in ihrem Besitz prägen ließen, in späteren
Zeiten auch solcher, die sie besessen und eingebüßt hatten. Allerdings sind
diese Abbilder in kleinen Dimensionen ausgeführt und im Detail oft umso-
weniger zuverlässig, als auch die Stempelschneider es mit den Einzelheiten
nicht genau nahmen, zufrieden, wenn man nur das bekannte Kunstwerk
wieder erkannte. Und mit dem Anhaltspunkt, den sie so bieten, müssen auch
wir zufrieden sein. Trifft nun die Notiz, daß ein Kunstwerk sich an einem be¬
stimmten Ort befunden habe, mit den Münztypen desselben zusammen, so ge¬
winnen wir nicht allein eine Bestätigung jener Angabe; sondern wenn jener
Typus uns sicher erkennbar in mehrfachen statuarischen Wiederholungen be¬
gegnet, dürfen wir schließen, daß das Original eben jenes Werk sei, welches
die Münzen darstellen. Wie ein Münztypus eine bestimmte Entscheidung


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[0103] Pfeil einer an dem Stamm heraufkriechenden Eidechse aufpaßt, von einem Original des Praxiteles copiert sei, das Plinius wie nach einer der erhal¬ tenen Statuen beschreibt: „Praxiteles bildete auch Apollo als herangewachse¬ nen Knaben, wie er einer herankriechenden Eidechse mit einem Pfeil aus der Nähe (nicht mit dem Bogen) auflauert, den man den Eidechsentödter (s-m- roetonos) nennt." Ebenso beschreibt Martial eine beliebte Statue, von der man Copien verschenkte, ohne den Künstler zu nennen. Da die Statue voll¬ kommen dem entspricht, was uns über den Kunstcharakter des Praxiteles be¬ kannt ist. so darf man unbedenklich diesem Werk seinen bestimmten Platz in der Kunstgeschichte anweisen. Aber so prägnante Situationen und Motive und so genaue Angaben sind selten, in der Regel muß man schon mit kürzeren Andeutungen sehr zu¬ frieden sein. Dazu kommen in vielen Fällen als erwünschtes Hilfsmittel die Münzen. Die griechischen Städte waren stolz auf den Besitz berühmter Kunstwerke; Cicero kommt in der Anklage gegen Verres immer wieder darauf zurück, wie die Entführung berühmter Kunstwerke als eine Landescalamität betrauert worden sei. „Glaubt ihr," sagt er, „daß die Rheginer um irgend welchen Preis ihre marmorne Ver us weggäben? die Tarentin er die Europ a auf dem Stier von Pythagoras oder den Satyr im Tempel der Vesta? die Thespienser den Amor des Praxiteles, den zu sehen man nach Thespiä reist? dieKnidier die Venus des Praxiteles? die Koer die des Apelles? die Cyzicener den Aiax oder dieMedea des Timonachus? die Rhodier den Jalysus des Protogenes? die Ephesier ihren Alex¬ ander des Apelles? die Athener den marmornen Iacchus von Praxi¬ teles, oder den Paralus von Protogenes, oder die eherne Kuh des Mhron?" In der That erbot sich König Nikomedes vergebens, die ganze Staatsschuld der Knidier zu übernehmen, wenn sie ihm ihre Venusstatue abtreten wollten. Es ist daher begreiflich, daß die Städte auf ihre Münzen gern Bilder berühmter Kunstwerke in ihrem Besitz prägen ließen, in späteren Zeiten auch solcher, die sie besessen und eingebüßt hatten. Allerdings sind diese Abbilder in kleinen Dimensionen ausgeführt und im Detail oft umso- weniger zuverlässig, als auch die Stempelschneider es mit den Einzelheiten nicht genau nahmen, zufrieden, wenn man nur das bekannte Kunstwerk wieder erkannte. Und mit dem Anhaltspunkt, den sie so bieten, müssen auch wir zufrieden sein. Trifft nun die Notiz, daß ein Kunstwerk sich an einem be¬ stimmten Ort befunden habe, mit den Münztypen desselben zusammen, so ge¬ winnen wir nicht allein eine Bestätigung jener Angabe; sondern wenn jener Typus uns sicher erkennbar in mehrfachen statuarischen Wiederholungen be¬ gegnet, dürfen wir schließen, daß das Original eben jenes Werk sei, welches die Münzen darstellen. Wie ein Münztypus eine bestimmte Entscheidung 13"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/103>, abgerufen am 15.01.2025.