Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

auf den Vasenbildern durch Inschrift als Dämonen der Zwietracht bezeichnet
sind. Die Schlange, welche von der Hand der Thetis gegen den sie um¬
fassenden Peleus anspringt, . das naive Motiv, um die Verwandlung an¬
zudeuten , ist stehend aus zahlreichen Vasenbildern. Das löwenköpfige Schreck¬
bild auf dem Schilde des Agamemnon, der Kentaur, "der nicht blos
Pferdefuße, sondern vorn Menschenfuße hat", sind gewöhnlich auf Vasen¬
bildern; selbst die fremdartige Vorstellung der Gerechtigkeit, welche die Un¬
gerechtigkeit mißhandelt, ist auf einem Vasenbild, durch dieselben Inschriften
gesichert, ganz entsprechend zum Vorschein gekommen; die Ansprüche an die
Darstellung der Gerechtigkeit als einer "schönen Frau" werden auch der Kyp-
seloslade gegenüber nicht hoch zu spannen gewesen sein. Sind uns viele Be¬
sonderheiten durch die Vasenbilder geläufig geworden, so lassen sie uns ein¬
zelnes sogar klarer erkennen, als Pausanias, der keine bemalten Vasen sah,
welche zu seiner Zeit längst außer Gebrauch gekommen in den Gräbern
ruhten, die sie uns wiedergegeben haben. So sagt er bei einer Vorstellung,
von zwei anderen Frauen, die mit Keulen im Mörser stampfen, meine man,
sie verständen sich auf Zaubermittel. Er fügt hinzu, Inschriften seien nicht
dabei; die Erklärer in Olympia hatten also nur gerathen, wie es scheint, ohne
auch Pausanias recht zu überzeugen. Eine ganz entsprechende Darstellung
ist nun auf einer Vase zum Vorschein gekommen, und läßt kaum einen
Zweifel zu. daß die Frauen, statt Gift zu mischen, vielmehr Korn im Mörser
zerstampfen, das älteste Verfahren, Mehl zu mahlen, ehe Mühlen erfunden
waren. Ein andermal sagt er: Artemis ist dargestellt, ich weiß nicht aus
welchem Grunde, mit Flügeln an den Schultern; mit der Rechten hält sie
einen Panther, mit der Linken einen Löwen. Einen Grund können wir zwar
auch nicht angeben, aber die Figur, welche Pausanias offenbar befremdlich
war, ist uns aus Vasenbildern, alterthümlichen Terracotten und aus etrus-
kischen Kunstwerken wohlbekannt, und es läßt sich nachweisen, daß es der
Typus einer in Asien angesehenen Göttin ist, den die älteste griechische Kunst
von der asiatischen übernahm.

Bieten uns die ältesten Vasenbilder die Anschauung einer Darstellungs¬
weise, welche wir als eine der Kypseloslade analoge anzusehen berechtigt
sind, so ist der immer noch erhebliche Unterschied der Technik freilich nicht
außer Acht zu lassen. Zwischen einem kunstreichen Schnitzwerk aus Holz,
Elfenbein und Gold und den Vasenbildern besteht nur die allgemeine Ueber¬
einstimmung der künstlerischen Auffassung und Formgebung, welche allerdings
in den älteren Zeiten streng gebunden ist; der Eindruck der Lade mußte
natürlich von der eines Vasenbildes sehr unterschieden sein. Etwas anderes
als solche -- wie immer lehrreiche -- Analogien sind die Copieen eines bestimmten
Originals, und wenn auch die Nachbildung einer Bronzestatue in Marmor


Grenzboten II. 1868. 13

auf den Vasenbildern durch Inschrift als Dämonen der Zwietracht bezeichnet
sind. Die Schlange, welche von der Hand der Thetis gegen den sie um¬
fassenden Peleus anspringt, . das naive Motiv, um die Verwandlung an¬
zudeuten , ist stehend aus zahlreichen Vasenbildern. Das löwenköpfige Schreck¬
bild auf dem Schilde des Agamemnon, der Kentaur, „der nicht blos
Pferdefuße, sondern vorn Menschenfuße hat", sind gewöhnlich auf Vasen¬
bildern; selbst die fremdartige Vorstellung der Gerechtigkeit, welche die Un¬
gerechtigkeit mißhandelt, ist auf einem Vasenbild, durch dieselben Inschriften
gesichert, ganz entsprechend zum Vorschein gekommen; die Ansprüche an die
Darstellung der Gerechtigkeit als einer „schönen Frau" werden auch der Kyp-
seloslade gegenüber nicht hoch zu spannen gewesen sein. Sind uns viele Be¬
sonderheiten durch die Vasenbilder geläufig geworden, so lassen sie uns ein¬
zelnes sogar klarer erkennen, als Pausanias, der keine bemalten Vasen sah,
welche zu seiner Zeit längst außer Gebrauch gekommen in den Gräbern
ruhten, die sie uns wiedergegeben haben. So sagt er bei einer Vorstellung,
von zwei anderen Frauen, die mit Keulen im Mörser stampfen, meine man,
sie verständen sich auf Zaubermittel. Er fügt hinzu, Inschriften seien nicht
dabei; die Erklärer in Olympia hatten also nur gerathen, wie es scheint, ohne
auch Pausanias recht zu überzeugen. Eine ganz entsprechende Darstellung
ist nun auf einer Vase zum Vorschein gekommen, und läßt kaum einen
Zweifel zu. daß die Frauen, statt Gift zu mischen, vielmehr Korn im Mörser
zerstampfen, das älteste Verfahren, Mehl zu mahlen, ehe Mühlen erfunden
waren. Ein andermal sagt er: Artemis ist dargestellt, ich weiß nicht aus
welchem Grunde, mit Flügeln an den Schultern; mit der Rechten hält sie
einen Panther, mit der Linken einen Löwen. Einen Grund können wir zwar
auch nicht angeben, aber die Figur, welche Pausanias offenbar befremdlich
war, ist uns aus Vasenbildern, alterthümlichen Terracotten und aus etrus-
kischen Kunstwerken wohlbekannt, und es läßt sich nachweisen, daß es der
Typus einer in Asien angesehenen Göttin ist, den die älteste griechische Kunst
von der asiatischen übernahm.

Bieten uns die ältesten Vasenbilder die Anschauung einer Darstellungs¬
weise, welche wir als eine der Kypseloslade analoge anzusehen berechtigt
sind, so ist der immer noch erhebliche Unterschied der Technik freilich nicht
außer Acht zu lassen. Zwischen einem kunstreichen Schnitzwerk aus Holz,
Elfenbein und Gold und den Vasenbildern besteht nur die allgemeine Ueber¬
einstimmung der künstlerischen Auffassung und Formgebung, welche allerdings
in den älteren Zeiten streng gebunden ist; der Eindruck der Lade mußte
natürlich von der eines Vasenbildes sehr unterschieden sein. Etwas anderes
als solche — wie immer lehrreiche — Analogien sind die Copieen eines bestimmten
Originals, und wenn auch die Nachbildung einer Bronzestatue in Marmor


Grenzboten II. 1868. 13
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0101" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117633"/>
          <p xml:id="ID_319" prev="#ID_318"> auf den Vasenbildern durch Inschrift als Dämonen der Zwietracht bezeichnet<lb/>
sind. Die Schlange, welche von der Hand der Thetis gegen den sie um¬<lb/>
fassenden Peleus anspringt, . das naive Motiv, um die Verwandlung an¬<lb/>
zudeuten , ist stehend aus zahlreichen Vasenbildern. Das löwenköpfige Schreck¬<lb/>
bild auf dem Schilde des Agamemnon, der Kentaur, &#x201E;der nicht blos<lb/>
Pferdefuße, sondern vorn Menschenfuße hat", sind gewöhnlich auf Vasen¬<lb/>
bildern; selbst die fremdartige Vorstellung der Gerechtigkeit, welche die Un¬<lb/>
gerechtigkeit mißhandelt, ist auf einem Vasenbild, durch dieselben Inschriften<lb/>
gesichert, ganz entsprechend zum Vorschein gekommen; die Ansprüche an die<lb/>
Darstellung der Gerechtigkeit als einer &#x201E;schönen Frau" werden auch der Kyp-<lb/>
seloslade gegenüber nicht hoch zu spannen gewesen sein. Sind uns viele Be¬<lb/>
sonderheiten durch die Vasenbilder geläufig geworden, so lassen sie uns ein¬<lb/>
zelnes sogar klarer erkennen, als Pausanias, der keine bemalten Vasen sah,<lb/>
welche zu seiner Zeit längst außer Gebrauch gekommen in den Gräbern<lb/>
ruhten, die sie uns wiedergegeben haben. So sagt er bei einer Vorstellung,<lb/>
von zwei anderen Frauen, die mit Keulen im Mörser stampfen, meine man,<lb/>
sie verständen sich auf Zaubermittel. Er fügt hinzu, Inschriften seien nicht<lb/>
dabei; die Erklärer in Olympia hatten also nur gerathen, wie es scheint, ohne<lb/>
auch Pausanias recht zu überzeugen. Eine ganz entsprechende Darstellung<lb/>
ist nun auf einer Vase zum Vorschein gekommen, und läßt kaum einen<lb/>
Zweifel zu. daß die Frauen, statt Gift zu mischen, vielmehr Korn im Mörser<lb/>
zerstampfen, das älteste Verfahren, Mehl zu mahlen, ehe Mühlen erfunden<lb/>
waren. Ein andermal sagt er: Artemis ist dargestellt, ich weiß nicht aus<lb/>
welchem Grunde, mit Flügeln an den Schultern; mit der Rechten hält sie<lb/>
einen Panther, mit der Linken einen Löwen. Einen Grund können wir zwar<lb/>
auch nicht angeben, aber die Figur, welche Pausanias offenbar befremdlich<lb/>
war, ist uns aus Vasenbildern, alterthümlichen Terracotten und aus etrus-<lb/>
kischen Kunstwerken wohlbekannt, und es läßt sich nachweisen, daß es der<lb/>
Typus einer in Asien angesehenen Göttin ist, den die älteste griechische Kunst<lb/>
von der asiatischen übernahm.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_320" next="#ID_321"> Bieten uns die ältesten Vasenbilder die Anschauung einer Darstellungs¬<lb/>
weise, welche wir als eine der Kypseloslade analoge anzusehen berechtigt<lb/>
sind, so ist der immer noch erhebliche Unterschied der Technik freilich nicht<lb/>
außer Acht zu lassen. Zwischen einem kunstreichen Schnitzwerk aus Holz,<lb/>
Elfenbein und Gold und den Vasenbildern besteht nur die allgemeine Ueber¬<lb/>
einstimmung der künstlerischen Auffassung und Formgebung, welche allerdings<lb/>
in den älteren Zeiten streng gebunden ist; der Eindruck der Lade mußte<lb/>
natürlich von der eines Vasenbildes sehr unterschieden sein. Etwas anderes<lb/>
als solche &#x2014; wie immer lehrreiche &#x2014; Analogien sind die Copieen eines bestimmten<lb/>
Originals, und wenn auch die Nachbildung einer Bronzestatue in Marmor</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1868. 13</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0101] auf den Vasenbildern durch Inschrift als Dämonen der Zwietracht bezeichnet sind. Die Schlange, welche von der Hand der Thetis gegen den sie um¬ fassenden Peleus anspringt, . das naive Motiv, um die Verwandlung an¬ zudeuten , ist stehend aus zahlreichen Vasenbildern. Das löwenköpfige Schreck¬ bild auf dem Schilde des Agamemnon, der Kentaur, „der nicht blos Pferdefuße, sondern vorn Menschenfuße hat", sind gewöhnlich auf Vasen¬ bildern; selbst die fremdartige Vorstellung der Gerechtigkeit, welche die Un¬ gerechtigkeit mißhandelt, ist auf einem Vasenbild, durch dieselben Inschriften gesichert, ganz entsprechend zum Vorschein gekommen; die Ansprüche an die Darstellung der Gerechtigkeit als einer „schönen Frau" werden auch der Kyp- seloslade gegenüber nicht hoch zu spannen gewesen sein. Sind uns viele Be¬ sonderheiten durch die Vasenbilder geläufig geworden, so lassen sie uns ein¬ zelnes sogar klarer erkennen, als Pausanias, der keine bemalten Vasen sah, welche zu seiner Zeit längst außer Gebrauch gekommen in den Gräbern ruhten, die sie uns wiedergegeben haben. So sagt er bei einer Vorstellung, von zwei anderen Frauen, die mit Keulen im Mörser stampfen, meine man, sie verständen sich auf Zaubermittel. Er fügt hinzu, Inschriften seien nicht dabei; die Erklärer in Olympia hatten also nur gerathen, wie es scheint, ohne auch Pausanias recht zu überzeugen. Eine ganz entsprechende Darstellung ist nun auf einer Vase zum Vorschein gekommen, und läßt kaum einen Zweifel zu. daß die Frauen, statt Gift zu mischen, vielmehr Korn im Mörser zerstampfen, das älteste Verfahren, Mehl zu mahlen, ehe Mühlen erfunden waren. Ein andermal sagt er: Artemis ist dargestellt, ich weiß nicht aus welchem Grunde, mit Flügeln an den Schultern; mit der Rechten hält sie einen Panther, mit der Linken einen Löwen. Einen Grund können wir zwar auch nicht angeben, aber die Figur, welche Pausanias offenbar befremdlich war, ist uns aus Vasenbildern, alterthümlichen Terracotten und aus etrus- kischen Kunstwerken wohlbekannt, und es läßt sich nachweisen, daß es der Typus einer in Asien angesehenen Göttin ist, den die älteste griechische Kunst von der asiatischen übernahm. Bieten uns die ältesten Vasenbilder die Anschauung einer Darstellungs¬ weise, welche wir als eine der Kypseloslade analoge anzusehen berechtigt sind, so ist der immer noch erhebliche Unterschied der Technik freilich nicht außer Acht zu lassen. Zwischen einem kunstreichen Schnitzwerk aus Holz, Elfenbein und Gold und den Vasenbildern besteht nur die allgemeine Ueber¬ einstimmung der künstlerischen Auffassung und Formgebung, welche allerdings in den älteren Zeiten streng gebunden ist; der Eindruck der Lade mußte natürlich von der eines Vasenbildes sehr unterschieden sein. Etwas anderes als solche — wie immer lehrreiche — Analogien sind die Copieen eines bestimmten Originals, und wenn auch die Nachbildung einer Bronzestatue in Marmor Grenzboten II. 1868. 13

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/101
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/101>, abgerufen am 15.01.2025.