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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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wenig wahrscheinlich ist und man polnischer Seits versuchen wird, die Sache
aus die Spitze zu treiben; zweifelhaft aber kann nicht sein, daß die Polen
damit die Niederlage ihrer Sache selbst und vielleicht für immer unterschrieben
halten. Es zeigt von einer Selbstüberschätzung, für welche man um den Aus¬
druck verlegen sein könnte, wenn dieser im eignen Lande die Minorität bil¬
dende Stamm wegen des Vorschubs, der ihm durch Oestreichs gegen Ru߬
land laufende Interessen geleistet worden, in den Wahn gewiegt worden ist.
er sei der eigentliche Meister der Situation und nur nach einer Verständigung
mit ihm könne Oestreich hoffen, das Werk seiner Neugestaltung zu vollziehen.
Daß das Verhältniß das umgekehrte ist, liegt für Jeden, der die Lage mit
irgend nüchternen Augen ansieht, so sehr auf der Hand, daß alle Nachweise
dafür überflüssig scheinen. So gering auch die Hoffnungen sind, welche wir für
eine continuirliche Fortentwickelung des constitutionellen Lebens in Oestreich
hegen, so genau wir auch wissen, daß dasselbe immer wieder Gefahr laufen
wird, von absolutistischen und clericalen Velleitäten gekreuzt zu werden -- daß
die Polen Galiziens nicht die Leute sind, Oestreich aus den Angeln zu heben,
in welche es durch die liberale innere Politik der letzten Jahre gehängt worden
ist, versteht sich von selbst.

Es gibt geschichtliche Nothwendigkeiten, welche sich unerbittlich und ohne
jede Rücksicht darauf, wie groß die Opfer sind, welche auf Unkosten der Hu¬
manität gebracht werden, vollziehen. Man hat die Vernichtung des polnischen
Elements zu diesen Nothwendigkeiten gerechnet. Wenn irgend Etwas geeig¬
net ist, diese Auffassung zu unterstützen, so sind es die Capitel der polnischen
Geschichte, welche in den Jahren 1853 und 1868 in Rußland und Oestreich
gespielt haben. Daß es kaum fünf Jahre nach den furchtbaren Erfahrungen, ^
die Polen seit dem Bankerott des Wielopolski'schen System's gemacht, möglich
gewesen, politische Thorheiten wie die des letzten lemberger Landtags zu er¬
leben, schlägt denen, welche an die Möglichkeit einer Wiederherstellung dieses
Staates geglaubt haben, empfindlicher ins Gesicht, als Alles was unter den
Lesczinsky und Poniatowski gesündigt worden. So frische Erfahrungen so
rasch und so vollständig in den Wind zu schlagen, vermag bloß die'unbelehr¬
bare und unverbesserliche Leichtfertigkeit, und wenn Oestreich dereinst dieselbe
Polenfeindliche Politik adoptirt, in welcher Rußland gegenwärtig das Heil
sucht, so wird seine Berufung auf die Erfahrungen von 1868 bei der Mehr¬
zahl der Zeitgenossen keine ganz vergebliche sein.




wenig wahrscheinlich ist und man polnischer Seits versuchen wird, die Sache
aus die Spitze zu treiben; zweifelhaft aber kann nicht sein, daß die Polen
damit die Niederlage ihrer Sache selbst und vielleicht für immer unterschrieben
halten. Es zeigt von einer Selbstüberschätzung, für welche man um den Aus¬
druck verlegen sein könnte, wenn dieser im eignen Lande die Minorität bil¬
dende Stamm wegen des Vorschubs, der ihm durch Oestreichs gegen Ru߬
land laufende Interessen geleistet worden, in den Wahn gewiegt worden ist.
er sei der eigentliche Meister der Situation und nur nach einer Verständigung
mit ihm könne Oestreich hoffen, das Werk seiner Neugestaltung zu vollziehen.
Daß das Verhältniß das umgekehrte ist, liegt für Jeden, der die Lage mit
irgend nüchternen Augen ansieht, so sehr auf der Hand, daß alle Nachweise
dafür überflüssig scheinen. So gering auch die Hoffnungen sind, welche wir für
eine continuirliche Fortentwickelung des constitutionellen Lebens in Oestreich
hegen, so genau wir auch wissen, daß dasselbe immer wieder Gefahr laufen
wird, von absolutistischen und clericalen Velleitäten gekreuzt zu werden — daß
die Polen Galiziens nicht die Leute sind, Oestreich aus den Angeln zu heben,
in welche es durch die liberale innere Politik der letzten Jahre gehängt worden
ist, versteht sich von selbst.

Es gibt geschichtliche Nothwendigkeiten, welche sich unerbittlich und ohne
jede Rücksicht darauf, wie groß die Opfer sind, welche auf Unkosten der Hu¬
manität gebracht werden, vollziehen. Man hat die Vernichtung des polnischen
Elements zu diesen Nothwendigkeiten gerechnet. Wenn irgend Etwas geeig¬
net ist, diese Auffassung zu unterstützen, so sind es die Capitel der polnischen
Geschichte, welche in den Jahren 1853 und 1868 in Rußland und Oestreich
gespielt haben. Daß es kaum fünf Jahre nach den furchtbaren Erfahrungen, ^
die Polen seit dem Bankerott des Wielopolski'schen System's gemacht, möglich
gewesen, politische Thorheiten wie die des letzten lemberger Landtags zu er¬
leben, schlägt denen, welche an die Möglichkeit einer Wiederherstellung dieses
Staates geglaubt haben, empfindlicher ins Gesicht, als Alles was unter den
Lesczinsky und Poniatowski gesündigt worden. So frische Erfahrungen so
rasch und so vollständig in den Wind zu schlagen, vermag bloß die'unbelehr¬
bare und unverbesserliche Leichtfertigkeit, und wenn Oestreich dereinst dieselbe
Polenfeindliche Politik adoptirt, in welcher Rußland gegenwärtig das Heil
sucht, so wird seine Berufung auf die Erfahrungen von 1868 bei der Mehr¬
zahl der Zeitgenossen keine ganz vergebliche sein.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/89>, abgerufen am 05.02.2025.