Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.beherrschten Oestreich sogar größer, als in dem konstitutionellen Verfassungs¬ Diesen nahe liegenden Erwägungen scheinen sich selbst die Heißsporne des Wie nun die Magyaren selbst von der Eventualität eines Anschlusses Ga¬ 10*
beherrschten Oestreich sogar größer, als in dem konstitutionellen Verfassungs¬ Diesen nahe liegenden Erwägungen scheinen sich selbst die Heißsporne des Wie nun die Magyaren selbst von der Eventualität eines Anschlusses Ga¬ 10*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0087" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287359"/> <p xml:id="ID_202" prev="#ID_201"> beherrschten Oestreich sogar größer, als in dem konstitutionellen Verfassungs¬<lb/> staat der Gegenwart.</p><lb/> <p xml:id="ID_203"> Diesen nahe liegenden Erwägungen scheinen sich selbst die Heißsporne des<lb/> lemberger Landtags nicht ganz verschlossen zu haben. Wenn sie zunächst auch<lb/> nur gegen die centralistische Structur der Constitution und für die Autono<lb/> mie Galiziens ins Feuer gingen, so ließ sich doch durchsehen, daß die in der<lb/> Presse wiederholt und nachdrücklich ausgesprochene Drohung mit einem even«<lb/> knellen Anschluß an die transleithanische Reichshälfte in den Köpfen, nament¬<lb/> lich der entschiedenen Oppositionsmänner, eine beträchtliche Rolle spielte.</p><lb/> <p xml:id="ID_204" next="#ID_205"> Wie nun die Magyaren selbst von der Eventualität eines Anschlusses Ga¬<lb/> liziens an Ungarn denken, ist in Norddeutschland nicht bekannt. Aus An¬<lb/> deutungen der die Anschauungen der Linken des pesther Landtags vertreten¬<lb/> den „Ungarischen Monatsschrift" läßt sich nur ersehen, daß die vorgeschrittene<lb/> Partei jede Erweiterung der ungarischen Machtsphäre gern sehen würde.<lb/> Daß sich aber die maßgebenden ungarischen Politiker mit der Ungeheuerlich¬<lb/> keit einer Assimilation Galiziens jemals befreunden könnten, ist geradezu un¬<lb/> denkbar. Für Ungarn ist das Vorhandensein einer in einzelnen Comitaten<lb/> prävalirenden slavischen Bevölkerung bereits gegenwärtig eine Calamität,<lb/> denn wesentlich ihm ist es zuzuschreiben, daß der Panslavismus in dem Ma-<lb/> gyarenthum seinen Todfeind bekämpft. In den eompact magyarischen Lar«<lb/> besehenen liegt der Schwerpunkt des ungarischen Staats; daß es außerdem<lb/> Provinzen gibt, in denen die Magyaren die herrschende Classe vertreten und<lb/> eine slavische Landbevölkerung unter sich haben, mag dem Nationalstolz Ein¬<lb/> zelner schmeicheln, trägt zur Kräftigung des Ganzen aber sicherlich nicht bei.<lb/> Von dem Polonismus ist das Magyarenthum ^ja eben dadurch fundamental<lb/> unterschieden gewesen, daß es eine-wirkliche Nationalität, die Summe aller<lb/> zu einem Staatsganzen erforderlichen Elemente repräsentirte und seinen ur¬<lb/> sprünglich wesentlich aristokratischen Charakter zu überwinden und loszuwerden<lb/> wußte. Wird Galizien dem ungarischen Staate zugefügt, so treten doppelte<lb/> Schwierigkeiten ein. Der östliche Theil Galiziens, der geographisch Ungarn<lb/> am nächsten liegt, ist der Majorität seiner Bevölkerung nach von Ruthenen<lb/> (Kletnrussen) bewohnt. Je inniger die Verbindung ist, in welche die Polen<lb/> mit den Magyaren treten, desto unvermeidlicher erscheint eine Interessenge¬<lb/> meinschaft zwischen Ruthenen und mißvergnügten ungarischen Slaven und<lb/> der ständisch-nationale Gegensatz, der der Fluch Galiziens und bereits gegen¬<lb/> wärtig die schwache Seite Ungarns ist, überträgt sie auf den größten Theil<lb/> der unter der Stephanskrone stehenden Länder 'und frißt die Gesundheit des<lb/> gesammten Staatslebens an. Die Vortheile einer unläugbar bereits vor¬<lb/> handenen Interessengemeinschaft zwischen Polen und Magyaren werden durch<lb/> den Umstand, daß diese Gemeinschaft zugleich einen Gegensatz gegen die</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 10*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0087]
beherrschten Oestreich sogar größer, als in dem konstitutionellen Verfassungs¬
staat der Gegenwart.
Diesen nahe liegenden Erwägungen scheinen sich selbst die Heißsporne des
lemberger Landtags nicht ganz verschlossen zu haben. Wenn sie zunächst auch
nur gegen die centralistische Structur der Constitution und für die Autono
mie Galiziens ins Feuer gingen, so ließ sich doch durchsehen, daß die in der
Presse wiederholt und nachdrücklich ausgesprochene Drohung mit einem even«
knellen Anschluß an die transleithanische Reichshälfte in den Köpfen, nament¬
lich der entschiedenen Oppositionsmänner, eine beträchtliche Rolle spielte.
Wie nun die Magyaren selbst von der Eventualität eines Anschlusses Ga¬
liziens an Ungarn denken, ist in Norddeutschland nicht bekannt. Aus An¬
deutungen der die Anschauungen der Linken des pesther Landtags vertreten¬
den „Ungarischen Monatsschrift" läßt sich nur ersehen, daß die vorgeschrittene
Partei jede Erweiterung der ungarischen Machtsphäre gern sehen würde.
Daß sich aber die maßgebenden ungarischen Politiker mit der Ungeheuerlich¬
keit einer Assimilation Galiziens jemals befreunden könnten, ist geradezu un¬
denkbar. Für Ungarn ist das Vorhandensein einer in einzelnen Comitaten
prävalirenden slavischen Bevölkerung bereits gegenwärtig eine Calamität,
denn wesentlich ihm ist es zuzuschreiben, daß der Panslavismus in dem Ma-
gyarenthum seinen Todfeind bekämpft. In den eompact magyarischen Lar«
besehenen liegt der Schwerpunkt des ungarischen Staats; daß es außerdem
Provinzen gibt, in denen die Magyaren die herrschende Classe vertreten und
eine slavische Landbevölkerung unter sich haben, mag dem Nationalstolz Ein¬
zelner schmeicheln, trägt zur Kräftigung des Ganzen aber sicherlich nicht bei.
Von dem Polonismus ist das Magyarenthum ^ja eben dadurch fundamental
unterschieden gewesen, daß es eine-wirkliche Nationalität, die Summe aller
zu einem Staatsganzen erforderlichen Elemente repräsentirte und seinen ur¬
sprünglich wesentlich aristokratischen Charakter zu überwinden und loszuwerden
wußte. Wird Galizien dem ungarischen Staate zugefügt, so treten doppelte
Schwierigkeiten ein. Der östliche Theil Galiziens, der geographisch Ungarn
am nächsten liegt, ist der Majorität seiner Bevölkerung nach von Ruthenen
(Kletnrussen) bewohnt. Je inniger die Verbindung ist, in welche die Polen
mit den Magyaren treten, desto unvermeidlicher erscheint eine Interessenge¬
meinschaft zwischen Ruthenen und mißvergnügten ungarischen Slaven und
der ständisch-nationale Gegensatz, der der Fluch Galiziens und bereits gegen¬
wärtig die schwache Seite Ungarns ist, überträgt sie auf den größten Theil
der unter der Stephanskrone stehenden Länder 'und frißt die Gesundheit des
gesammten Staatslebens an. Die Vortheile einer unläugbar bereits vor¬
handenen Interessengemeinschaft zwischen Polen und Magyaren werden durch
den Umstand, daß diese Gemeinschaft zugleich einen Gegensatz gegen die
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