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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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langsamer aber unablässiger Fortschritt zum Besseren. Die alte Wahrheit,
daß die schlechteste Regierung nicht so viel ruiniren kann, als das Culturvolk
durch die stille Arbeit von Millionen Kleiner gewinnt, gilt auch in Spa¬
nien, obgleich dies Land so reich an anspruchsvollen Müßiggängern ist. Wer
die Cultur Spaniens im Jahre 1868 mit den Verhältnissen im Anfang des
Jahrhunderts vergleicht, Handel, Städteleben, sogar die Schulen und die
Landwirthschaft, Staatsfinanzen, die Richter, die Verwaltung, Heer und
Flotte, der wird, wenn er den Maßstab seines weiter fortgeschrittenen Volkes
anlegt, überall zuerst auffällige Schäden finden und doch nicht leugnen, daß
trotz Allem gegen die Zeit Napoleon I. und Ferdinand VII. sehr viel ge¬
bessert ist. Auch in den Charakteren der Politiker ist der Fortschritt deut¬
lich. Politische Ueberzeugungen, welche zu Anfang des Jahrhunderts nur
in wenigen der Intelligentesten lebten, sind jetzt Gemeingut geworden. Eine
gesetzliche Grundlage für den Staatsorganismus ist gewonnen, sogar die
reagirenden Gewaltmaßregeln der Könige und der Pfaffen sind humaner ge¬
worden. Bei den inneren Kämpfen der Gegenwart handelte es sich nicht
mehr um absolute Königsherrschaft oder Verfassung, nur um die Hinterlist
und das böse Gewissen der Regierenden, welche gültiges Gesetz escamotiren
wollten. Die öffentliche Meinung, wie sie in der Presse ihren Ausdruck
findet, ist noch schwach, und die Controle, welche sie über die Ehrlichkeit der
Politiker ausübt, ist selten kräftig genug, um Eigennutz und rohen Egoismus
zu bändigen, aber sie übt ihr lästiges Censoramt doch immer wieder und
ihre Unterdrückung war die verhängnißvollste Ungesetzlichkeit des gestürzten Re¬
giments. Die geistige Jsolirung der Spanier hat aufgehört; wer über die
Menge hervorragt, dem liegt daran, die gute Meinung des Auslandes zu
gewinnen und zu behalten, nicht mehr fremder Regierungen, welche geheime
Dienste bezahlen, sondern der Nationen, welche vom Politiker Patriotismus
und Ehrlichkeit, von dem Gelehrten die moderne Wissenschaftlichkeit for¬
dern. Dampfmaschinen und Eisenbahnen, Staatsgläubiger und Comptoir-
briefe, Revue-Artikel und Kammerreden, die Einwanderung Fremder und die
Reisen Eingeborener, vor Allem die Arbeit der Werkstatt und die Lehren der
Schulstube haben im Bunde mit den verhängnißvollen Erfahrungen der
letzten hundert Jahre an Charakter und Sitten der Spanier ihre segensreiche
Arbeit gethan. Für den Geschichtschreiber ist es vielleicht die schwierigste
Aufgabe, solche Fortbildung, die zwischen Hemmnissen aller Art von Jahr
zu Jahr wirksam ist, zu schildern und in ihren Resultaten zu würdigen.
Daß in dem vorliegenden Werke das Auge des Verfassers unablässig auf
diesen realen Gewinn der Nation, die tröstliche Kehrseite des leidvollen poli¬
tischen Lebens gerichtet ist, vermag man bereits aus den vorliegenden Theilen
des Werkes zu erkennen.


langsamer aber unablässiger Fortschritt zum Besseren. Die alte Wahrheit,
daß die schlechteste Regierung nicht so viel ruiniren kann, als das Culturvolk
durch die stille Arbeit von Millionen Kleiner gewinnt, gilt auch in Spa¬
nien, obgleich dies Land so reich an anspruchsvollen Müßiggängern ist. Wer
die Cultur Spaniens im Jahre 1868 mit den Verhältnissen im Anfang des
Jahrhunderts vergleicht, Handel, Städteleben, sogar die Schulen und die
Landwirthschaft, Staatsfinanzen, die Richter, die Verwaltung, Heer und
Flotte, der wird, wenn er den Maßstab seines weiter fortgeschrittenen Volkes
anlegt, überall zuerst auffällige Schäden finden und doch nicht leugnen, daß
trotz Allem gegen die Zeit Napoleon I. und Ferdinand VII. sehr viel ge¬
bessert ist. Auch in den Charakteren der Politiker ist der Fortschritt deut¬
lich. Politische Ueberzeugungen, welche zu Anfang des Jahrhunderts nur
in wenigen der Intelligentesten lebten, sind jetzt Gemeingut geworden. Eine
gesetzliche Grundlage für den Staatsorganismus ist gewonnen, sogar die
reagirenden Gewaltmaßregeln der Könige und der Pfaffen sind humaner ge¬
worden. Bei den inneren Kämpfen der Gegenwart handelte es sich nicht
mehr um absolute Königsherrschaft oder Verfassung, nur um die Hinterlist
und das böse Gewissen der Regierenden, welche gültiges Gesetz escamotiren
wollten. Die öffentliche Meinung, wie sie in der Presse ihren Ausdruck
findet, ist noch schwach, und die Controle, welche sie über die Ehrlichkeit der
Politiker ausübt, ist selten kräftig genug, um Eigennutz und rohen Egoismus
zu bändigen, aber sie übt ihr lästiges Censoramt doch immer wieder und
ihre Unterdrückung war die verhängnißvollste Ungesetzlichkeit des gestürzten Re¬
giments. Die geistige Jsolirung der Spanier hat aufgehört; wer über die
Menge hervorragt, dem liegt daran, die gute Meinung des Auslandes zu
gewinnen und zu behalten, nicht mehr fremder Regierungen, welche geheime
Dienste bezahlen, sondern der Nationen, welche vom Politiker Patriotismus
und Ehrlichkeit, von dem Gelehrten die moderne Wissenschaftlichkeit for¬
dern. Dampfmaschinen und Eisenbahnen, Staatsgläubiger und Comptoir-
briefe, Revue-Artikel und Kammerreden, die Einwanderung Fremder und die
Reisen Eingeborener, vor Allem die Arbeit der Werkstatt und die Lehren der
Schulstube haben im Bunde mit den verhängnißvollen Erfahrungen der
letzten hundert Jahre an Charakter und Sitten der Spanier ihre segensreiche
Arbeit gethan. Für den Geschichtschreiber ist es vielleicht die schwierigste
Aufgabe, solche Fortbildung, die zwischen Hemmnissen aller Art von Jahr
zu Jahr wirksam ist, zu schildern und in ihren Resultaten zu würdigen.
Daß in dem vorliegenden Werke das Auge des Verfassers unablässig auf
diesen realen Gewinn der Nation, die tröstliche Kehrseite des leidvollen poli¬
tischen Lebens gerichtet ist, vermag man bereits aus den vorliegenden Theilen
des Werkes zu erkennen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/83>, abgerufen am 05.02.2025.