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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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entschieden antirussisch und als Unterzeichner des pariser Friedens wird er
Alles aufbieten um im Einklang mit Frankreich und Oestreich den russisch,
griechischen Agitationen entgegenzutreten. Außerdem bringt er dem Cabinet sür
die nächste Hauptfrage eine besonders werthvolle Unterstützung, weil er längere
Zeit Mcekönig von Irland war und als solcher mit Autorität über die Kirchen¬
frage sprechen kann. Secretär für Irland ist Forteseue geworden, der Mann
der bekannten Lady Waldegrave, der Egeria der Whigs; er hat sich durch
^ eingehende Studien und einige tüchtige Schriften über irische Verhältnisse
bekannt gemacht.

Die augenblickliche kurze Session des Parlamentes ist nur zum Ein¬
schwören der Mitglieder bestimmt; erst Mitte Januar wird die eigentliche
Arbeit beginnen; bis dahin muß Gladstone seine Bill über die irische Kirche
einbringen und alle Welt erwartet mit Spannung, was er vorschlagen wird.
Leicht ist seine Aufgabe nicht: Disraeli wird das Seinige thun sie so schwer
wie möglich zu machen und seine Stellung in der Opposition wird um so
gefährlicher als er jeden Compromiß annehmen kann, welcher nur die Staats¬
kirche nicht vollkommen zerstört, während Gladstone sich durch seine Resolu¬
tionen schon für dieses Extrem gebunden hat. Das Schiff des neuen Ca-
binets ist vom Stapel gelaufen, aber erst die Folge wird zeigen, ob und wie
es schwimmen kan".




Polnischer Monatsbericht.

X

Für die politische Welt pflegt bereits der 24. December den Jahresschluß
zu bezeichnen und die letzte Deeemberwoche der Ruhe gewidmet zu sein. In
diesem Jahre kann es leicht geschehrn, daß die sonst neutralen letzten Deeem-
bertage kriegerischer und ereignißvoller werden, als die 355 Tage, welche ihnen
vorausgegangen waren. In Spanien ist der Bürgerkrieg ausgebrochen, der
schon nach dem ersten Monat Prim-Serrano'scher Politik voraus zu berechnen
war; im Orient stehen Türken und Griechen einander mit entfesselter Leiden¬
schaft gegenüber; Oestreich zeigt trotz seiner unaufhörlichen Friedensversicherungen
die deutliche "Absicht, aus der Zurückhaltung, in welche es durch das Jahr
1866 versetzt worden, wieder herauszutreten; in Frankreich ist ein Minister¬
wechsel eingetreten, dessen Bedeutung sehr viel disputabler ist, als die. Opti¬
misten wahr haben wollen; in England ist Lord Clarendon Leiter des aus¬
wärtigen Amtes geworden und die deutsche Frage droht durch die Rüstungen
der offenburger Coalition gegen das Ministerium Jolly in eine neue Phase
von wesentlich reaktionären Charakter gezogen zu werden.


entschieden antirussisch und als Unterzeichner des pariser Friedens wird er
Alles aufbieten um im Einklang mit Frankreich und Oestreich den russisch,
griechischen Agitationen entgegenzutreten. Außerdem bringt er dem Cabinet sür
die nächste Hauptfrage eine besonders werthvolle Unterstützung, weil er längere
Zeit Mcekönig von Irland war und als solcher mit Autorität über die Kirchen¬
frage sprechen kann. Secretär für Irland ist Forteseue geworden, der Mann
der bekannten Lady Waldegrave, der Egeria der Whigs; er hat sich durch
^ eingehende Studien und einige tüchtige Schriften über irische Verhältnisse
bekannt gemacht.

Die augenblickliche kurze Session des Parlamentes ist nur zum Ein¬
schwören der Mitglieder bestimmt; erst Mitte Januar wird die eigentliche
Arbeit beginnen; bis dahin muß Gladstone seine Bill über die irische Kirche
einbringen und alle Welt erwartet mit Spannung, was er vorschlagen wird.
Leicht ist seine Aufgabe nicht: Disraeli wird das Seinige thun sie so schwer
wie möglich zu machen und seine Stellung in der Opposition wird um so
gefährlicher als er jeden Compromiß annehmen kann, welcher nur die Staats¬
kirche nicht vollkommen zerstört, während Gladstone sich durch seine Resolu¬
tionen schon für dieses Extrem gebunden hat. Das Schiff des neuen Ca-
binets ist vom Stapel gelaufen, aber erst die Folge wird zeigen, ob und wie
es schwimmen kan».




Polnischer Monatsbericht.

X

Für die politische Welt pflegt bereits der 24. December den Jahresschluß
zu bezeichnen und die letzte Deeemberwoche der Ruhe gewidmet zu sein. In
diesem Jahre kann es leicht geschehrn, daß die sonst neutralen letzten Deeem-
bertage kriegerischer und ereignißvoller werden, als die 355 Tage, welche ihnen
vorausgegangen waren. In Spanien ist der Bürgerkrieg ausgebrochen, der
schon nach dem ersten Monat Prim-Serrano'scher Politik voraus zu berechnen
war; im Orient stehen Türken und Griechen einander mit entfesselter Leiden¬
schaft gegenüber; Oestreich zeigt trotz seiner unaufhörlichen Friedensversicherungen
die deutliche „Absicht, aus der Zurückhaltung, in welche es durch das Jahr
1866 versetzt worden, wieder herauszutreten; in Frankreich ist ein Minister¬
wechsel eingetreten, dessen Bedeutung sehr viel disputabler ist, als die. Opti¬
misten wahr haben wollen; in England ist Lord Clarendon Leiter des aus¬
wärtigen Amtes geworden und die deutsche Frage droht durch die Rüstungen
der offenburger Coalition gegen das Ministerium Jolly in eine neue Phase
von wesentlich reaktionären Charakter gezogen zu werden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/548>, abgerufen am 05.02.2025.