Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.Sehr richtig war es auch von Disraeli, daß er der Königin nicht aus Sehr richtig war es auch von Disraeli, daß er der Königin nicht aus <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0546" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287818"/> <p xml:id="ID_1383" next="#ID_1384"> Sehr richtig war es auch von Disraeli, daß er der Königin nicht aus<lb/> Ranküne gegen seinen Nebenbuhler empfohlen, Lord Granville mit der Bildung<lb/> eines Ministeriums zu beauftragen, da dies die Königin nur in eine schiefe<lb/> Stellung gebracht haben würde, weil der genannte Peer den Auftrag hätte<lb/> ablehnen und erklären müssen, daß Gladstone allein als Premier möglich sei.<lb/> Derselbe ist denn auch ohne große Schwierigkeiten mit der Bildung seiner<lb/> Verwaltung zu Stande gekommen, aber dieselbe bietet gleichwohl überraschende<lb/> Momente. Zunächst ist der Charakter des Ministeriums keineswegs so fort¬<lb/> schrittsmäßig liberal, wie man es wohl erwartet hat, Gladstone hat es keines¬<lb/> wegs als seine Aufgabe angesehen, die Scheidewand zwischen dem Liberalis¬<lb/> mus und Radikalismus niederzubrechen, sondern hat sich nach dem Charakter<lb/> der Wahlen gerichtet; es ist mit Ausnahme Bnght's ein Whigcabinet. wie<lb/> es Palmerston ohne großen Widerstand hätte acceptiren können. Forster und<lb/> Stansfield haben sich mit Plätzen zweiten Ranges begnügen müssen. Brtght<lb/> selbst war im Cabinet nicht zu entbehren; er wäre außerhalb desselben auch<lb/> in einer schiefen Stellung gewesen, da er es hätte unterstützen müssen und<lb/> doch keine Verantwortlichkeit getragen hätte. Aber man glaubte, daß ihm<lb/> ein wichtigerer Posten zufallen würde, wenigstens ein Staatssecretariat wie<lb/> das des Innern: er hat sich mit dem des Präsidenten des Handelsamts be¬<lb/> gnügt oder begnügen müssen. Ob diese Wahl vom sachlichen Gesichtspunkte<lb/> besonders glücklich ist. steht dahin. Die Abschaffung der wichtigsten Zölle,<lb/> die Bright als sein Programm verkündet, wird er in jener Stellung nicht<lb/> durchsetzen, denn das schlägt ins Gebiet des Schatzkanzlers. Daneben ist es<lb/> fraglich, ob er zu der Function taugt, die augenblicklich besonders dem Han¬<lb/> delsamt obliegt. Bekanntlich ist beschlossen, sämmtliche Telegraphen zu expro-<lb/> priiren und unter den Betrieb der Regierung zu stellen, außerdem verlangt<lb/> man allgemein für die Eisenbahnen zum wenigsten eine scharfe Controle, damit<lb/> den zu Tage gekommenen Sccmdalen in der Verwaltung derselben ein Ende<lb/> gemacht werde. Bright aber ist als abstracter Manchestermann principiell<lb/> gegen die Einmischung des Staates in solche Verhältnisse; unserem Gefühl<lb/> nach hätte Göschen's klarer, eombinirender Kopf besser für diese Aufgabe<lb/> gepaßt. Die Hauptsache sür das Cabinet ist indeß die parlamentarische Unter¬<lb/> stützung, welche ihm Bright auf der Ministerbank geben wird und die es<lb/> nicht entbehren konnte. Wie er übrigens mit seinem alten Gegner in der<lb/> Reformfrage, Löwe, auf die Länge zusammengehen kann, bleibt noch ein<lb/> Räthsel, obwohl derselbe in seiner letzen Rede an der londoner Univer¬<lb/> sität plötzlich ziemlich radicale Sätze aufstellte, z. B. das Oberhaus zu<lb/> einem amerikanischen Senate umzubilden vorschlug. Jedenfalls hat Löwe's<lb/> Ernennung zum Schatzkanzler noch mehr Wunder genommen als die Bright's;<lb/> unter allen Ccmdtdaten hätte man zuerst wohl aus Cardwell gerathen, der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0546]
Sehr richtig war es auch von Disraeli, daß er der Königin nicht aus
Ranküne gegen seinen Nebenbuhler empfohlen, Lord Granville mit der Bildung
eines Ministeriums zu beauftragen, da dies die Königin nur in eine schiefe
Stellung gebracht haben würde, weil der genannte Peer den Auftrag hätte
ablehnen und erklären müssen, daß Gladstone allein als Premier möglich sei.
Derselbe ist denn auch ohne große Schwierigkeiten mit der Bildung seiner
Verwaltung zu Stande gekommen, aber dieselbe bietet gleichwohl überraschende
Momente. Zunächst ist der Charakter des Ministeriums keineswegs so fort¬
schrittsmäßig liberal, wie man es wohl erwartet hat, Gladstone hat es keines¬
wegs als seine Aufgabe angesehen, die Scheidewand zwischen dem Liberalis¬
mus und Radikalismus niederzubrechen, sondern hat sich nach dem Charakter
der Wahlen gerichtet; es ist mit Ausnahme Bnght's ein Whigcabinet. wie
es Palmerston ohne großen Widerstand hätte acceptiren können. Forster und
Stansfield haben sich mit Plätzen zweiten Ranges begnügen müssen. Brtght
selbst war im Cabinet nicht zu entbehren; er wäre außerhalb desselben auch
in einer schiefen Stellung gewesen, da er es hätte unterstützen müssen und
doch keine Verantwortlichkeit getragen hätte. Aber man glaubte, daß ihm
ein wichtigerer Posten zufallen würde, wenigstens ein Staatssecretariat wie
das des Innern: er hat sich mit dem des Präsidenten des Handelsamts be¬
gnügt oder begnügen müssen. Ob diese Wahl vom sachlichen Gesichtspunkte
besonders glücklich ist. steht dahin. Die Abschaffung der wichtigsten Zölle,
die Bright als sein Programm verkündet, wird er in jener Stellung nicht
durchsetzen, denn das schlägt ins Gebiet des Schatzkanzlers. Daneben ist es
fraglich, ob er zu der Function taugt, die augenblicklich besonders dem Han¬
delsamt obliegt. Bekanntlich ist beschlossen, sämmtliche Telegraphen zu expro-
priiren und unter den Betrieb der Regierung zu stellen, außerdem verlangt
man allgemein für die Eisenbahnen zum wenigsten eine scharfe Controle, damit
den zu Tage gekommenen Sccmdalen in der Verwaltung derselben ein Ende
gemacht werde. Bright aber ist als abstracter Manchestermann principiell
gegen die Einmischung des Staates in solche Verhältnisse; unserem Gefühl
nach hätte Göschen's klarer, eombinirender Kopf besser für diese Aufgabe
gepaßt. Die Hauptsache sür das Cabinet ist indeß die parlamentarische Unter¬
stützung, welche ihm Bright auf der Ministerbank geben wird und die es
nicht entbehren konnte. Wie er übrigens mit seinem alten Gegner in der
Reformfrage, Löwe, auf die Länge zusammengehen kann, bleibt noch ein
Räthsel, obwohl derselbe in seiner letzen Rede an der londoner Univer¬
sität plötzlich ziemlich radicale Sätze aufstellte, z. B. das Oberhaus zu
einem amerikanischen Senate umzubilden vorschlug. Jedenfalls hat Löwe's
Ernennung zum Schatzkanzler noch mehr Wunder genommen als die Bright's;
unter allen Ccmdtdaten hätte man zuerst wohl aus Cardwell gerathen, der
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