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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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lebhaften Widerspruch und der Hauptvertheidiger der Theorie, welche die
moskovitischen (Groß-) Russen aus der slavischen Völkerfamilie verbannt und
ihnen einen turanischen Ursprung zuweisen möchte, Hr. Duchinski, forderte
die pariser linguistische Gesellschaft zur Intervention bei dem Unterrichts¬
minister behufs Verwandlung des unmotivirten Singulars (in der Benennung
des Lehrstuhls am Lollegs as Kranes) in einen Plural auf. Diese gelehrte
Gesellschaft, deren Thätigkeit durch andere Fragen in Anspruch genommen
war, ging über diesen Antrag zur Tagesordnung über, womit sür dieses Mal
die Angelegenheit erledigt war. Im Beginne dieses Jahres jedoch machte
sich Herr Casimir Delamarre aufs Neue in einer vielverbreiteten
Broschüre (IIr xluiiel xour un smAuliör et 1e Mvslavismk est ä6truie
äans Lvu xrineixe) zum Organe dieser berechtigten Opposition und wurde
dieser neue Anlauf auf das Princip des Panslavismus (das Hr. Delamarre
nicht ohne französisches Selbstgefühl in der Benennung eines Lehrstuhls
am Oollvgs av ?rauee findet) von Erfolg gekrönt, indem neuerdings das
obenerwähnte Decret die Benennung des Lehrstuhls 'dahin geändert hat,
daß er jetzt "crairs as lanFuss et as littsrawres ä'oriAMö slavs" heißt.
In der Benennung dieses Lehrstuhls haben die französischen Unterrichts¬
ministerien offenbar kein Glück.

Es ist übrigens nur gerecht, zu bemerken, daß Herr Louis Leger, yui
niliil soviel s, se s-Iionuin putat, schon im Januar dieses Jahres auf die
factische Unrichtigkeit der Benennung des betreffenden Lehrstuhls in der
üevus ach cours litt^raires (wo er einen Lehrstuhl für das Russische in
Paris verlangte) aufmerksam gemacht hatte. Herr Leger bewies dadurch,
daß er sich nicht einseitig für die Czechen interessire obgleich diesen der
größte Theil seiner Sympathien gehört, sondern daß er auch den anderen
Nationalitäten slavischen Ursprungs seine Aufmerksamkeit zuwende. Nur von
den Polen, welche Demjenigen, der in diesen Fragen keinen Parteistandpunkt
einnimmt, unter allen slavischen Völkern das meiste Interesse zu verdienen
scheinen, hat sich die politisch und literarisch-agitatorische Thätigkeit des Herrn
Leger in neuerer Zeit abgewendet. Dies war nicht immer so und die
bezügliche Veränderung in Leger's Anschauungen steht mit den Oscillationen
der böhmischen und südslavischen Nationalpolitik, welche namentlich seit dem
ethnographischen Congreß in Moskau dahin gekommen ist, den Messias des
Slaventhums im Czaren zu sehen, in engem Causalzusammenhang. Seine
panslavistischen Tendenzen direct auf die Fahne zu schreiben, nimmt Herr
Leger zwar Anstand; sie werden "ernsten Leuten" und "ausgezeichneten Publi-
cisten" in Agram in den Mund gelegt; auch für die unglücklichen Polen
werden an geeigneter Stelle einige Thränen vergossen, aber als Gesammt-
eindruck ergibt sich eine ganz directe Parteinahme sür die panslavistischen


lebhaften Widerspruch und der Hauptvertheidiger der Theorie, welche die
moskovitischen (Groß-) Russen aus der slavischen Völkerfamilie verbannt und
ihnen einen turanischen Ursprung zuweisen möchte, Hr. Duchinski, forderte
die pariser linguistische Gesellschaft zur Intervention bei dem Unterrichts¬
minister behufs Verwandlung des unmotivirten Singulars (in der Benennung
des Lehrstuhls am Lollegs as Kranes) in einen Plural auf. Diese gelehrte
Gesellschaft, deren Thätigkeit durch andere Fragen in Anspruch genommen
war, ging über diesen Antrag zur Tagesordnung über, womit sür dieses Mal
die Angelegenheit erledigt war. Im Beginne dieses Jahres jedoch machte
sich Herr Casimir Delamarre aufs Neue in einer vielverbreiteten
Broschüre (IIr xluiiel xour un smAuliör et 1e Mvslavismk est ä6truie
äans Lvu xrineixe) zum Organe dieser berechtigten Opposition und wurde
dieser neue Anlauf auf das Princip des Panslavismus (das Hr. Delamarre
nicht ohne französisches Selbstgefühl in der Benennung eines Lehrstuhls
am Oollvgs av ?rauee findet) von Erfolg gekrönt, indem neuerdings das
obenerwähnte Decret die Benennung des Lehrstuhls 'dahin geändert hat,
daß er jetzt „crairs as lanFuss et as littsrawres ä'oriAMö slavs" heißt.
In der Benennung dieses Lehrstuhls haben die französischen Unterrichts¬
ministerien offenbar kein Glück.

Es ist übrigens nur gerecht, zu bemerken, daß Herr Louis Leger, yui
niliil soviel s, se s-Iionuin putat, schon im Januar dieses Jahres auf die
factische Unrichtigkeit der Benennung des betreffenden Lehrstuhls in der
üevus ach cours litt^raires (wo er einen Lehrstuhl für das Russische in
Paris verlangte) aufmerksam gemacht hatte. Herr Leger bewies dadurch,
daß er sich nicht einseitig für die Czechen interessire obgleich diesen der
größte Theil seiner Sympathien gehört, sondern daß er auch den anderen
Nationalitäten slavischen Ursprungs seine Aufmerksamkeit zuwende. Nur von
den Polen, welche Demjenigen, der in diesen Fragen keinen Parteistandpunkt
einnimmt, unter allen slavischen Völkern das meiste Interesse zu verdienen
scheinen, hat sich die politisch und literarisch-agitatorische Thätigkeit des Herrn
Leger in neuerer Zeit abgewendet. Dies war nicht immer so und die
bezügliche Veränderung in Leger's Anschauungen steht mit den Oscillationen
der böhmischen und südslavischen Nationalpolitik, welche namentlich seit dem
ethnographischen Congreß in Moskau dahin gekommen ist, den Messias des
Slaventhums im Czaren zu sehen, in engem Causalzusammenhang. Seine
panslavistischen Tendenzen direct auf die Fahne zu schreiben, nimmt Herr
Leger zwar Anstand; sie werden „ernsten Leuten" und „ausgezeichneten Publi-
cisten" in Agram in den Mund gelegt; auch für die unglücklichen Polen
werden an geeigneter Stelle einige Thränen vergossen, aber als Gesammt-
eindruck ergibt sich eine ganz directe Parteinahme sür die panslavistischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/542>, abgerufen am 06.02.2025.