Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.Streit, aber in ihren Augen sind die Russen nicht schuldiger als die Oestrei¬ Herr Leger legt endlich einem Südslaven folgende Worte in den "Angenommen, daß wir an einem Tage der Verzweiflung den Russen Auf wissenschaftlichem Gebiete hat der Panslavismus übrigens in Frank¬ 64*
Streit, aber in ihren Augen sind die Russen nicht schuldiger als die Oestrei¬ Herr Leger legt endlich einem Südslaven folgende Worte in den „Angenommen, daß wir an einem Tage der Verzweiflung den Russen Auf wissenschaftlichem Gebiete hat der Panslavismus übrigens in Frank¬ 64*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0541" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287813"/> <p xml:id="ID_1370" prev="#ID_1369"> Streit, aber in ihren Augen sind die Russen nicht schuldiger als die Oestrei¬<lb/> cher in Venedig oder Galizien, die Engländer in Irland oder die Franzosen<lb/> in Mexico."</p><lb/> <p xml:id="ID_1371"> Herr Leger legt endlich einem Südslaven folgende Worte in den<lb/> Mund:</p><lb/> <p xml:id="ID_1372"> „Angenommen, daß wir an einem Tage der Verzweiflung den Russen<lb/> zu Hilfe riefen, wer wollte wohl wagen, uns daraus einen Vorwurf zu<lb/> machen? Haben nicht einst Preußen und Oestreich die heilige Allianz mir<lb/> Rußland abgeschlossen? Hat nicht Franz Joseph den Kaiser Nikolaus gegen<lb/> das empörte Ungarn zur Hilfe gerufen? Warum sollten wir unsere wahren<lb/> Interessen Vorurtheilen opfern, welche wir nicht theilen?"</p><lb/> <p xml:id="ID_1373" next="#ID_1374"> Auf wissenschaftlichem Gebiete hat der Panslavismus übrigens in Frank¬<lb/> reich neuerdings eine nicht zu unterschätzende Niederlage erlitten und zwar<lb/> durch ein kürzlich (am 11. Nov.) im Moniteur veröffentlichtes Decret des<lb/> Unterrichtsministeriums. — Bekanntlich hatte im April 1840 Cousin, damals<lb/> Minister des öffentlichen Unterrichts im Cabinet Thiers, der Deputirtenkam-<lb/> mer einen Gesetzentwurf vorgelegt, welcher die Errichtung eines Lehrstuhls<lb/> für slavische Sprache und Literatur am LoIIöZe us I^aues zum<lb/> Gegenstande hatte. Sehr spaßhaft sagte der Moniteur vom 30. April bei<lb/> dieser Gelegenheit: „Beinahe 70 Millionen Menschen sprechen die slavische<lb/> Sprache (sie!) und dieses in seinen Dialekten so reiche und mannigfaltige Idiom<lb/> hat in hohem Grade ein politisches Interesse." Noch spaßhafter klingt es,<lb/> wenn das Expose der Motive des Gesetzvorschlages sagt, daß beinahe 70<lb/> Millionen Menschen die verschiedenen Dialekte dieser Sprache reden. Es<lb/> steht da wörtlich: „das ganze russische Kaiserreich ist slavisch." — Die be¬<lb/> kannte Stärke der Franzosen in geographischen Materien wird hier officiell<lb/> durch die Thatsachen documentirt, daß so und soviel Tataren, Finnen, Esthen,<lb/> Lappen, Deutsche, Armenier, Georgier. Bessarabier, Einwohner Sibiriens ze.<lb/> ohne Weiteres zu Slaven gemacht werden. — Trotz eines vereinzelten Wider¬<lb/> spruchs wurde der Gesetzvorschlag angenommen und seit der Zeit existirre in<lb/> Frankreich eine eluürs as lemgus et littöraturo Slave, was eine Art Aner¬<lb/> kennung der panslavistischen Tendenzen involoirte, von der natürlich Rußland<lb/> nicht versäumte, politisches Capital zu schlagen. Noch in demselben Monat<lb/> erschien ein Ukas, worin das Petersburger Cabinet officiell erklärte, wie durch<lb/> die Geschichte und die öffentliche Meinung Europas bewiesen sei, daß die<lb/> Großrussen mit den Kleinrussen und den Weißrussen durch das Band ge¬<lb/> meinsamen slavischen Ursprungs vereint seien. Officiell inspirirte russische<lb/> Gelehrte erklärten wenig später das Russische für die slavische Sprache, zu<lb/> welcher die anderen slavischen Idiome sich wie bloße Dialekte verhielten.<lb/> Diese Anmaßung erfuhr, namentlich von Seiten der polnischen Emigration,</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 64*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0541]
Streit, aber in ihren Augen sind die Russen nicht schuldiger als die Oestrei¬
cher in Venedig oder Galizien, die Engländer in Irland oder die Franzosen
in Mexico."
Herr Leger legt endlich einem Südslaven folgende Worte in den
Mund:
„Angenommen, daß wir an einem Tage der Verzweiflung den Russen
zu Hilfe riefen, wer wollte wohl wagen, uns daraus einen Vorwurf zu
machen? Haben nicht einst Preußen und Oestreich die heilige Allianz mir
Rußland abgeschlossen? Hat nicht Franz Joseph den Kaiser Nikolaus gegen
das empörte Ungarn zur Hilfe gerufen? Warum sollten wir unsere wahren
Interessen Vorurtheilen opfern, welche wir nicht theilen?"
Auf wissenschaftlichem Gebiete hat der Panslavismus übrigens in Frank¬
reich neuerdings eine nicht zu unterschätzende Niederlage erlitten und zwar
durch ein kürzlich (am 11. Nov.) im Moniteur veröffentlichtes Decret des
Unterrichtsministeriums. — Bekanntlich hatte im April 1840 Cousin, damals
Minister des öffentlichen Unterrichts im Cabinet Thiers, der Deputirtenkam-
mer einen Gesetzentwurf vorgelegt, welcher die Errichtung eines Lehrstuhls
für slavische Sprache und Literatur am LoIIöZe us I^aues zum
Gegenstande hatte. Sehr spaßhaft sagte der Moniteur vom 30. April bei
dieser Gelegenheit: „Beinahe 70 Millionen Menschen sprechen die slavische
Sprache (sie!) und dieses in seinen Dialekten so reiche und mannigfaltige Idiom
hat in hohem Grade ein politisches Interesse." Noch spaßhafter klingt es,
wenn das Expose der Motive des Gesetzvorschlages sagt, daß beinahe 70
Millionen Menschen die verschiedenen Dialekte dieser Sprache reden. Es
steht da wörtlich: „das ganze russische Kaiserreich ist slavisch." — Die be¬
kannte Stärke der Franzosen in geographischen Materien wird hier officiell
durch die Thatsachen documentirt, daß so und soviel Tataren, Finnen, Esthen,
Lappen, Deutsche, Armenier, Georgier. Bessarabier, Einwohner Sibiriens ze.
ohne Weiteres zu Slaven gemacht werden. — Trotz eines vereinzelten Wider¬
spruchs wurde der Gesetzvorschlag angenommen und seit der Zeit existirre in
Frankreich eine eluürs as lemgus et littöraturo Slave, was eine Art Aner¬
kennung der panslavistischen Tendenzen involoirte, von der natürlich Rußland
nicht versäumte, politisches Capital zu schlagen. Noch in demselben Monat
erschien ein Ukas, worin das Petersburger Cabinet officiell erklärte, wie durch
die Geschichte und die öffentliche Meinung Europas bewiesen sei, daß die
Großrussen mit den Kleinrussen und den Weißrussen durch das Band ge¬
meinsamen slavischen Ursprungs vereint seien. Officiell inspirirte russische
Gelehrte erklärten wenig später das Russische für die slavische Sprache, zu
welcher die anderen slavischen Idiome sich wie bloße Dialekte verhielten.
Diese Anmaßung erfuhr, namentlich von Seiten der polnischen Emigration,
64*
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |