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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Administration und unsere Strafgerichtsverfassung, die auch in ihrer jetzigen
Gestalt immer noch einen Fortschritt von Jahrhunderten gegen das alte
hiesige Chaos darstellen, könnten dem Ideale um ein Unendliches näher sein:
trügen sie die Farbe Preußens, so würden die Querelen jener Partei über
Mißregierung sich in anderer Tonart, aber mit nicht minderer Festigkeit er¬
gehen. Zudem ist das. was HerrHänel in Betreff der "Herrschaft" der Staats¬
anwälte über die "Inferiorität" der Gerichte klagend vorgebracht hat. zwar
mit leidlicher Klugheit ausersonnen, aber doch eben nur eine Erfindung des
Herrn Professors. Etwas Absonderliches sollte vorgebracht werden. und so
mußte ein in der Literatur über die Reform der Staatsanwaltschaft häufig
als eine mögliche Gefahr herangezogener Gesichtspunkt dazu herhalten, in
schärfster Zuspitzung dem Vortrage besonderen Reiz zu verleihen. Je stärker
die darin enthaltene Beleidigung gegen unsere Richter, desto gewisser die
Aussicht. Mißtrauen auch da zu säen, wo es im Interesse Aller bisher noch
unbekannt war. Grade das war es. was ich in meiner letzten Correspondenz
den hiesigen Staatsanwälten zu Gute hielt, daß sie im Allgemeinen ent¬
schieden das Bestreben zeigen, in collegialen Einvernehmen mit den Gerichten
und mit richterlicher Unabhängigkeit die Strafrechtspflege zu handhaben. Der
Justizminister hatte ganz Recht darin: die Schleswig-holstein'schen Richter
sind im Ganzen nicht aus dem Holze geschnitzt, um sich durch ein bischen
Geschäftsroutine und gewandte Plaidoyers moralisch unterjochen zu lassen.
Auch haben wir schon jetzt sowohl Richter wie Rechtsanwälte zur Genüge,
die vollkommen befähigt sind, dem Parquet das Gleichgewicht zu halten, wo
eine Präponderanz sich geltend machen möchte. Ich bin überzeugt, hätte der
jetzige Justizminister nicht in ganz unnöthiger Weise einige der verrufensten
Ministerial-Rescripte aus der Simons'schen Zeit, welche die Staatsanwalt¬
schaft in Preßsachen und bei Anklagen gegen Beamte in eine abscheuliche
Abhängigkeit von Polizei- und Administrativbehörden bringen, plötzlich en
bloc den Staatsanwälten der neuen Provinzen aufoctroyirt. er hätte mit
noch besserem Gewissen die ganze Hänel'sche-. Insinuation abfertigen können.
In Summa entspricht es trotzdem allein der Wahrheit, wenn ich behaupte.
Schleswig-Holstein erfreut sich einer erheblich größeren thatsächlichen Pre߬
freiheit und einer viel geringeren Zahl politischer Verfolgungen, als die alten
Provinzen.

Die Beispiele, mit denen Herr Hänel seine zweite Rede illustrirt hat.
sind sämmtlich den Acten der kieler Staatsanwaltschaft entnommen und
zum Theil eine recht wunderliche Blumenlese. Eins davon, das zugleich die
hiesigen Zustände charakterisirt. möchte auch ich mir in den Strauß binden.
Vor etwa Jahresfrist gerathen bei Gelegenheit irgend einer Festfeier und
einer dabei veranstalteten Sammlung von Geldbeiträgen ein Amtmann Gr. R.


Administration und unsere Strafgerichtsverfassung, die auch in ihrer jetzigen
Gestalt immer noch einen Fortschritt von Jahrhunderten gegen das alte
hiesige Chaos darstellen, könnten dem Ideale um ein Unendliches näher sein:
trügen sie die Farbe Preußens, so würden die Querelen jener Partei über
Mißregierung sich in anderer Tonart, aber mit nicht minderer Festigkeit er¬
gehen. Zudem ist das. was HerrHänel in Betreff der „Herrschaft" der Staats¬
anwälte über die „Inferiorität" der Gerichte klagend vorgebracht hat. zwar
mit leidlicher Klugheit ausersonnen, aber doch eben nur eine Erfindung des
Herrn Professors. Etwas Absonderliches sollte vorgebracht werden. und so
mußte ein in der Literatur über die Reform der Staatsanwaltschaft häufig
als eine mögliche Gefahr herangezogener Gesichtspunkt dazu herhalten, in
schärfster Zuspitzung dem Vortrage besonderen Reiz zu verleihen. Je stärker
die darin enthaltene Beleidigung gegen unsere Richter, desto gewisser die
Aussicht. Mißtrauen auch da zu säen, wo es im Interesse Aller bisher noch
unbekannt war. Grade das war es. was ich in meiner letzten Correspondenz
den hiesigen Staatsanwälten zu Gute hielt, daß sie im Allgemeinen ent¬
schieden das Bestreben zeigen, in collegialen Einvernehmen mit den Gerichten
und mit richterlicher Unabhängigkeit die Strafrechtspflege zu handhaben. Der
Justizminister hatte ganz Recht darin: die Schleswig-holstein'schen Richter
sind im Ganzen nicht aus dem Holze geschnitzt, um sich durch ein bischen
Geschäftsroutine und gewandte Plaidoyers moralisch unterjochen zu lassen.
Auch haben wir schon jetzt sowohl Richter wie Rechtsanwälte zur Genüge,
die vollkommen befähigt sind, dem Parquet das Gleichgewicht zu halten, wo
eine Präponderanz sich geltend machen möchte. Ich bin überzeugt, hätte der
jetzige Justizminister nicht in ganz unnöthiger Weise einige der verrufensten
Ministerial-Rescripte aus der Simons'schen Zeit, welche die Staatsanwalt¬
schaft in Preßsachen und bei Anklagen gegen Beamte in eine abscheuliche
Abhängigkeit von Polizei- und Administrativbehörden bringen, plötzlich en
bloc den Staatsanwälten der neuen Provinzen aufoctroyirt. er hätte mit
noch besserem Gewissen die ganze Hänel'sche-. Insinuation abfertigen können.
In Summa entspricht es trotzdem allein der Wahrheit, wenn ich behaupte.
Schleswig-Holstein erfreut sich einer erheblich größeren thatsächlichen Pre߬
freiheit und einer viel geringeren Zahl politischer Verfolgungen, als die alten
Provinzen.

Die Beispiele, mit denen Herr Hänel seine zweite Rede illustrirt hat.
sind sämmtlich den Acten der kieler Staatsanwaltschaft entnommen und
zum Theil eine recht wunderliche Blumenlese. Eins davon, das zugleich die
hiesigen Zustände charakterisirt. möchte auch ich mir in den Strauß binden.
Vor etwa Jahresfrist gerathen bei Gelegenheit irgend einer Festfeier und
einer dabei veranstalteten Sammlung von Geldbeiträgen ein Amtmann Gr. R.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/503>, abgerufen am 05.02.2025.