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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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sundheit doch wiederhergestellt werden, und ich habe den Kaiser bereits um
Milderung seines Looses gebeten."

Der Tag der Abreise des Thronfolgers aus Kurgan, der 6. Juni,
war der Pfingsttag und zugleich das Kirchenfest unserer Stadt. Das Volk
feierte diesen Tag außerhalb der Stadt, ungefähr vier Werst beim großen
Hügel, von welchem die Stadt ihren Namen erhielt. Dort am Ufer des
Tobol. in einem nahen Wäldchen, wandelten die Fröhlichen, tranken Thee,
Bier und Branntwein, knackten Nüsse, sangen und tanzten nach einem Accor-
dion. Gegen Abend fuhr ich mit meinen Kindern dahin; Städter und
Landbewohner umringten mich mit Fragen, die Theilnahme verkündeten.
"Haben Sie den Thronfolger gesehen? was hat er Ihnen gesagt? hat er
Ihnen Befreiung versprochen? Gott gebe Ihnen Trost und Befreiung!" --
Den 8. August erfuhren wir, daß, der Großfürst aus der Slatoust'schen
Fabrik, seinem ersten Nachtlager, einen Courier mit einem Brief an den
Kaiser abgefertigt habe, in welchem er um unsere Befreiung und Rückkehr
in die Heimath gebeten. Der Kaiser Nikolaus hatte nach Empfang dieses
Schreibens geäußert, daß für "diese Herren" der Weg nach Rußland nur
über den Kaukasus führen könne, und sodann befohlen uns als gemeine
Soldaten in das abgesonderte kaukasische Corps überzuführen. Wir erhielten
diese Nachricht zu gleicher Zeit durch unseren Generalgouvemeur und durch
den nach Kurgan gekommenen Capitän des finnländischen Garderegiments
Grafen Gregoire Konownitzin, der um die Erlaubniß nachgesucht hatte, seine
Schwester, Frau von Naryschkin, zu ihrer Mutter zu begleiten. Von diesem
Befreiungsacte war > allein unser Camerad A. F. von der Brügger aus¬
geschlossen und zwar)ohne allen Grund; fast ein Jahr nach unserer Abreise
wurde er als Canzelist im kurganschen Kreisgerichte angestellt und erhielt
nach zehn Jahren den ersten Classenrang. -- Da der kaiserliche Befehl sofort
ausgeführt werden mußte, reisten meine Gefährten schon nach einigen Tagen über
Tooolsk. Kasan und Rostow an unsern neuen Bestimmungsort ab. Meiner
Krankheit und meiner Familie wegen hatte der Generalgouvemeur Fürst
D. T. Gortschakow mir gestattet, gerade über Orenburg und Saratow zu
reisen und einige Tage lang Reisevorbereitungen zu treffen.

Am 6. Sept. reisten wir in dem Wagen, mit dem meine Frau aus
Moskau gekommen war, nach Europa zurück, des wackern deutschen Meisters
gedenkend, der dieses solide Fahrzeug gebaut und Wort gehalten hatte, als
er meine Frau versicherte, sie werde in demselben wieder nach Moskau zu¬
rückkehren können. -- Aus dem Lande der Verbannten scheidend, gedachte
ich meiner Kameraden, die zurückgeblieben waren; mein Segen ruht auf
ihnen, wie auch auf diesem Lande, welches mit der Zeit aufhören wird, ein


sundheit doch wiederhergestellt werden, und ich habe den Kaiser bereits um
Milderung seines Looses gebeten."

Der Tag der Abreise des Thronfolgers aus Kurgan, der 6. Juni,
war der Pfingsttag und zugleich das Kirchenfest unserer Stadt. Das Volk
feierte diesen Tag außerhalb der Stadt, ungefähr vier Werst beim großen
Hügel, von welchem die Stadt ihren Namen erhielt. Dort am Ufer des
Tobol. in einem nahen Wäldchen, wandelten die Fröhlichen, tranken Thee,
Bier und Branntwein, knackten Nüsse, sangen und tanzten nach einem Accor-
dion. Gegen Abend fuhr ich mit meinen Kindern dahin; Städter und
Landbewohner umringten mich mit Fragen, die Theilnahme verkündeten.
„Haben Sie den Thronfolger gesehen? was hat er Ihnen gesagt? hat er
Ihnen Befreiung versprochen? Gott gebe Ihnen Trost und Befreiung!" —
Den 8. August erfuhren wir, daß, der Großfürst aus der Slatoust'schen
Fabrik, seinem ersten Nachtlager, einen Courier mit einem Brief an den
Kaiser abgefertigt habe, in welchem er um unsere Befreiung und Rückkehr
in die Heimath gebeten. Der Kaiser Nikolaus hatte nach Empfang dieses
Schreibens geäußert, daß für „diese Herren" der Weg nach Rußland nur
über den Kaukasus führen könne, und sodann befohlen uns als gemeine
Soldaten in das abgesonderte kaukasische Corps überzuführen. Wir erhielten
diese Nachricht zu gleicher Zeit durch unseren Generalgouvemeur und durch
den nach Kurgan gekommenen Capitän des finnländischen Garderegiments
Grafen Gregoire Konownitzin, der um die Erlaubniß nachgesucht hatte, seine
Schwester, Frau von Naryschkin, zu ihrer Mutter zu begleiten. Von diesem
Befreiungsacte war > allein unser Camerad A. F. von der Brügger aus¬
geschlossen und zwar)ohne allen Grund; fast ein Jahr nach unserer Abreise
wurde er als Canzelist im kurganschen Kreisgerichte angestellt und erhielt
nach zehn Jahren den ersten Classenrang. — Da der kaiserliche Befehl sofort
ausgeführt werden mußte, reisten meine Gefährten schon nach einigen Tagen über
Tooolsk. Kasan und Rostow an unsern neuen Bestimmungsort ab. Meiner
Krankheit und meiner Familie wegen hatte der Generalgouvemeur Fürst
D. T. Gortschakow mir gestattet, gerade über Orenburg und Saratow zu
reisen und einige Tage lang Reisevorbereitungen zu treffen.

Am 6. Sept. reisten wir in dem Wagen, mit dem meine Frau aus
Moskau gekommen war, nach Europa zurück, des wackern deutschen Meisters
gedenkend, der dieses solide Fahrzeug gebaut und Wort gehalten hatte, als
er meine Frau versicherte, sie werde in demselben wieder nach Moskau zu¬
rückkehren können. — Aus dem Lande der Verbannten scheidend, gedachte
ich meiner Kameraden, die zurückgeblieben waren; mein Segen ruht auf
ihnen, wie auch auf diesem Lande, welches mit der Zeit aufhören wird, ein


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[0466] sundheit doch wiederhergestellt werden, und ich habe den Kaiser bereits um Milderung seines Looses gebeten." Der Tag der Abreise des Thronfolgers aus Kurgan, der 6. Juni, war der Pfingsttag und zugleich das Kirchenfest unserer Stadt. Das Volk feierte diesen Tag außerhalb der Stadt, ungefähr vier Werst beim großen Hügel, von welchem die Stadt ihren Namen erhielt. Dort am Ufer des Tobol. in einem nahen Wäldchen, wandelten die Fröhlichen, tranken Thee, Bier und Branntwein, knackten Nüsse, sangen und tanzten nach einem Accor- dion. Gegen Abend fuhr ich mit meinen Kindern dahin; Städter und Landbewohner umringten mich mit Fragen, die Theilnahme verkündeten. „Haben Sie den Thronfolger gesehen? was hat er Ihnen gesagt? hat er Ihnen Befreiung versprochen? Gott gebe Ihnen Trost und Befreiung!" — Den 8. August erfuhren wir, daß, der Großfürst aus der Slatoust'schen Fabrik, seinem ersten Nachtlager, einen Courier mit einem Brief an den Kaiser abgefertigt habe, in welchem er um unsere Befreiung und Rückkehr in die Heimath gebeten. Der Kaiser Nikolaus hatte nach Empfang dieses Schreibens geäußert, daß für „diese Herren" der Weg nach Rußland nur über den Kaukasus führen könne, und sodann befohlen uns als gemeine Soldaten in das abgesonderte kaukasische Corps überzuführen. Wir erhielten diese Nachricht zu gleicher Zeit durch unseren Generalgouvemeur und durch den nach Kurgan gekommenen Capitän des finnländischen Garderegiments Grafen Gregoire Konownitzin, der um die Erlaubniß nachgesucht hatte, seine Schwester, Frau von Naryschkin, zu ihrer Mutter zu begleiten. Von diesem Befreiungsacte war > allein unser Camerad A. F. von der Brügger aus¬ geschlossen und zwar)ohne allen Grund; fast ein Jahr nach unserer Abreise wurde er als Canzelist im kurganschen Kreisgerichte angestellt und erhielt nach zehn Jahren den ersten Classenrang. — Da der kaiserliche Befehl sofort ausgeführt werden mußte, reisten meine Gefährten schon nach einigen Tagen über Tooolsk. Kasan und Rostow an unsern neuen Bestimmungsort ab. Meiner Krankheit und meiner Familie wegen hatte der Generalgouvemeur Fürst D. T. Gortschakow mir gestattet, gerade über Orenburg und Saratow zu reisen und einige Tage lang Reisevorbereitungen zu treffen. Am 6. Sept. reisten wir in dem Wagen, mit dem meine Frau aus Moskau gekommen war, nach Europa zurück, des wackern deutschen Meisters gedenkend, der dieses solide Fahrzeug gebaut und Wort gehalten hatte, als er meine Frau versicherte, sie werde in demselben wieder nach Moskau zu¬ rückkehren können. — Aus dem Lande der Verbannten scheidend, gedachte ich meiner Kameraden, die zurückgeblieben waren; mein Segen ruht auf ihnen, wie auch auf diesem Lande, welches mit der Zeit aufhören wird, ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/466>, abgerufen am 05.02.2025.