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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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kanzler sagt ferner nur, daß die Zögerung eine Verbindlichkeit zu er¬
füllen, die man im Grundsatz nicht zu bestreikn vermöge, dem allgemeinen
Interesse an Sicherstellung des Friedens nicht eben förderlich zu sein scheine.
Er könne sich vom preußischen Standpunkt die Ausführung des betreffenden
Artikels auf doppelte Weise vorstellen: entweder nach dem Wortlaut durch
freie Abstimmung der Bevölkerung, dann sei es erklärlich wenn Preußen für
die deutschen Minoritäten der abzutretenden Districte Garantien fordere;
oder mehr nach politisch-strategischen als nach nationalen Momenten, dann
könne es sich nur um die Abtretung eines kleinen Bezirks handeln, der ziem¬
lich rein dänisch sein werde, sodaß für die Deutschen nur die freie Aus¬
wanderung auszubedingen sein würde.

Wir wissen gegen diese Argumentation Nichts einzuwenden, nachdem ein¬
mal der unglückliche Artikel in den prager Frieden zugelassen ist und glauben
auch zu wissen, daß Graf Bismarck durchaus für jene zweite Alternative ist,
aber damit nicht hat durchdringen können.

Die orientalischen Actenstücke zerfallen in zwei Theile: solche welche
Rumänien und solche welche die allgemeine große Frage berühren, die man sich
gewöhnt hat schlechtweg die orientalische zu nennen. In der ersten Frage stehen
wir in keinem Gegensatz zu der Politik des Reichskanzlers; hinsichtlich der
zweiten haben wir auch vom östreichischen Gesichtspunkt erhebliche Bedenken. Die
über Rumänien veröffentlichten Actenstücke zeigen aufs Neue wie unsicher die
Grundlagen dieses ganzen Staatswesens sind: zuerst die Judenhetze, welche'
bis zum letzten Augenblick von den Machthabern mit der größten Unver¬
schämtheit geleugnet, im Grunde aber von ihnen ins Werk gesetzt ist; sodann
in neuester Zeit die Waffentransporte.

Ueber die Judenverfolgungen hat der Unwille der ganzen civilisirten
Welt gerichtet und die verdächtigen Rüstungen ließen sich schließlich doch so
wenig vertheidigen, daß der Hauptunruhestifter, Braticmo, darüber gefallen
ist. Daß es nicht mit rechten Dingen zugehen kann, wenn in Preußen be¬
stellte Waffen trotz des weiten Umwegs und der damit verbundenen Kosten¬
vermehrung über Rußland unter der falschen Bezeichnung von Eisenbahn¬
schienen nach Bukarest gehen, liegt auf der Hand und man kann sich nicht
wundern, wenn die östreichische Regierung, welche bisher stets den directen
Transit durch ihr Gebiet gestattete, an solchem Verfahren, das mit dem Er¬
scheinen der bulgarischen Banden auf rumänischen Boden zusammenfiel, An¬
stoß nahm. Die officiöse preußische Presse hat zuerst diese Angaben als Ver¬
dächtigungen abgewiesen, während sie keine der angeführten Thatsachen
widerlegen konnte und hat doch auch eine Schwenkung vollzogen, indem
sie Rumänien auf den Frieden hinwies. Wir können uns dieser Schwenkung
nur freuen, denn wir halten der Ungarn wegen die Gefahr eines agitatori-


kanzler sagt ferner nur, daß die Zögerung eine Verbindlichkeit zu er¬
füllen, die man im Grundsatz nicht zu bestreikn vermöge, dem allgemeinen
Interesse an Sicherstellung des Friedens nicht eben förderlich zu sein scheine.
Er könne sich vom preußischen Standpunkt die Ausführung des betreffenden
Artikels auf doppelte Weise vorstellen: entweder nach dem Wortlaut durch
freie Abstimmung der Bevölkerung, dann sei es erklärlich wenn Preußen für
die deutschen Minoritäten der abzutretenden Districte Garantien fordere;
oder mehr nach politisch-strategischen als nach nationalen Momenten, dann
könne es sich nur um die Abtretung eines kleinen Bezirks handeln, der ziem¬
lich rein dänisch sein werde, sodaß für die Deutschen nur die freie Aus¬
wanderung auszubedingen sein würde.

Wir wissen gegen diese Argumentation Nichts einzuwenden, nachdem ein¬
mal der unglückliche Artikel in den prager Frieden zugelassen ist und glauben
auch zu wissen, daß Graf Bismarck durchaus für jene zweite Alternative ist,
aber damit nicht hat durchdringen können.

Die orientalischen Actenstücke zerfallen in zwei Theile: solche welche
Rumänien und solche welche die allgemeine große Frage berühren, die man sich
gewöhnt hat schlechtweg die orientalische zu nennen. In der ersten Frage stehen
wir in keinem Gegensatz zu der Politik des Reichskanzlers; hinsichtlich der
zweiten haben wir auch vom östreichischen Gesichtspunkt erhebliche Bedenken. Die
über Rumänien veröffentlichten Actenstücke zeigen aufs Neue wie unsicher die
Grundlagen dieses ganzen Staatswesens sind: zuerst die Judenhetze, welche'
bis zum letzten Augenblick von den Machthabern mit der größten Unver¬
schämtheit geleugnet, im Grunde aber von ihnen ins Werk gesetzt ist; sodann
in neuester Zeit die Waffentransporte.

Ueber die Judenverfolgungen hat der Unwille der ganzen civilisirten
Welt gerichtet und die verdächtigen Rüstungen ließen sich schließlich doch so
wenig vertheidigen, daß der Hauptunruhestifter, Braticmo, darüber gefallen
ist. Daß es nicht mit rechten Dingen zugehen kann, wenn in Preußen be¬
stellte Waffen trotz des weiten Umwegs und der damit verbundenen Kosten¬
vermehrung über Rußland unter der falschen Bezeichnung von Eisenbahn¬
schienen nach Bukarest gehen, liegt auf der Hand und man kann sich nicht
wundern, wenn die östreichische Regierung, welche bisher stets den directen
Transit durch ihr Gebiet gestattete, an solchem Verfahren, das mit dem Er¬
scheinen der bulgarischen Banden auf rumänischen Boden zusammenfiel, An¬
stoß nahm. Die officiöse preußische Presse hat zuerst diese Angaben als Ver¬
dächtigungen abgewiesen, während sie keine der angeführten Thatsachen
widerlegen konnte und hat doch auch eine Schwenkung vollzogen, indem
sie Rumänien auf den Frieden hinwies. Wir können uns dieser Schwenkung
nur freuen, denn wir halten der Ungarn wegen die Gefahr eines agitatori-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/452>, abgerufen am 06.02.2025.