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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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die Verhandlungen mit Amerika würde Bright's Eintritt nicht im englischen
Interesse wirken; es ist jedenfalls auffällig, daß gerade gleichzeitig mit dem
Sieg der Liberalen aus Washington telegraphirt wird, Seward verlange noch
gewisse Abänderungen an dem von Lord Stanley und Johnson unterzeichne¬
ten Protokollen. Sollte sich der schlaue Staatssecretär nicht vielleicht schmei¬
cheln, daß er unter dem Einfluß von Bright's Enthusiasmus für Amerika
noch günstigere Bedingungen von dem neuen Cabinet erhalten könnte? All' diese
Klippen würden vermieden, wenn Bright auf ein Portefeuille verzichtete; ihm
selbst wird wenig daran liegen und die Partei ist seiner mächtigen Unter¬
stützung sicher auch wenn er unabhängig bleibt.

Ist diese Frage beseitigt, so wird im Uebrigen die Constituirung des
Ministeriums keine großen Schwierigkeiten bieten: Cardwell, Löwe, Göschen
werden im Unterhaus, der Herzog von Argyll, Lord Kimberley und Granville
im Oberhaus die Hauptposten nehmen*). Damit sind aber nur die Personal¬
fragen erledigt; dann wird man den sachlichen näher treten müssen. Für zwei
Punkte hat sich Gladstone engagirt: wohlfeilere Verwaltung und Abschaffung
der irischen Kirche. Das erstere wird ihm bei seiner Kenntniß der Finanzen
keine ernsten Schwierigkeiten machen: der abyssinische Krieg ist aus, die Hin¬
terlader bezahlt, im Uebrigen wird man Flotten- und Armeebudget etwas re-
duciren; daneben heben sich die Einkünfte wieder, sodaß es leicht sein wird
2--3 Mill. zu sparen. Aber um so schwieriger liegt die irische Kirchenfrage.
Gladstone hat sich bis jetzt rein in der Negation gehalten: die Staatskirche soll
aufhören; aber er hat noch nie gesagt, was mit ihren verfügbar werdenden
Einkünften geschehen soll, er hat nur bemerkt, hierüber könne er erst als
Minister Vorschläge machen. Den Grund hiervon hat er nicht angegeben.
Wir vermögen ihn auch nicht ausfindig zu machen und muthmaßen stark,
daß Gladstone nur schweigt, weil diese Frage so ungemein schwer zu lösen
ist und jeder positive Vorschlag die Gefahr mit sich bringt seine Partei zu
spalten die bisher seine Negation gutgeheißen hat. In der That lassen sich
gegen jede Lösung ernste Bedenken geltend machen. Will man die Einkünfte
nach Verhältniß unter die drei Confessionen Irlands, Katholiken, Anglicaner
und Presbyterianer vertheilen, so erheben sich dagegen sowohl die Prote¬
stanten, welche den Katholiken nicht den Löwentheil gönnen, als die katho¬
lische Geistlichkeit, die Nichts vom Staate nehmen will. Soll das Geld für
Schulen, Hospitäler:c. verwendet werden, so wirft man dagegen ein, daß
Fonds, die religiösen Zwecken gewidmet waren, nicht für weltliche Anstalten
verwendet werden sollten, daß es auch nicht gerecht sei, Localeinkünfte, wie
die der irischen Kirche es sind, allgemeinen Anstalten zuzuwenden. Die ganze



*) Die Richtigkeit der Annahme des Herrn Corresp. ist inzwischen durch die vom Obscrver
D, Red. mitgetheilte Mimsterliste (6. Dec.) bestätigt worden.

die Verhandlungen mit Amerika würde Bright's Eintritt nicht im englischen
Interesse wirken; es ist jedenfalls auffällig, daß gerade gleichzeitig mit dem
Sieg der Liberalen aus Washington telegraphirt wird, Seward verlange noch
gewisse Abänderungen an dem von Lord Stanley und Johnson unterzeichne¬
ten Protokollen. Sollte sich der schlaue Staatssecretär nicht vielleicht schmei¬
cheln, daß er unter dem Einfluß von Bright's Enthusiasmus für Amerika
noch günstigere Bedingungen von dem neuen Cabinet erhalten könnte? All' diese
Klippen würden vermieden, wenn Bright auf ein Portefeuille verzichtete; ihm
selbst wird wenig daran liegen und die Partei ist seiner mächtigen Unter¬
stützung sicher auch wenn er unabhängig bleibt.

Ist diese Frage beseitigt, so wird im Uebrigen die Constituirung des
Ministeriums keine großen Schwierigkeiten bieten: Cardwell, Löwe, Göschen
werden im Unterhaus, der Herzog von Argyll, Lord Kimberley und Granville
im Oberhaus die Hauptposten nehmen*). Damit sind aber nur die Personal¬
fragen erledigt; dann wird man den sachlichen näher treten müssen. Für zwei
Punkte hat sich Gladstone engagirt: wohlfeilere Verwaltung und Abschaffung
der irischen Kirche. Das erstere wird ihm bei seiner Kenntniß der Finanzen
keine ernsten Schwierigkeiten machen: der abyssinische Krieg ist aus, die Hin¬
terlader bezahlt, im Uebrigen wird man Flotten- und Armeebudget etwas re-
duciren; daneben heben sich die Einkünfte wieder, sodaß es leicht sein wird
2—3 Mill. zu sparen. Aber um so schwieriger liegt die irische Kirchenfrage.
Gladstone hat sich bis jetzt rein in der Negation gehalten: die Staatskirche soll
aufhören; aber er hat noch nie gesagt, was mit ihren verfügbar werdenden
Einkünften geschehen soll, er hat nur bemerkt, hierüber könne er erst als
Minister Vorschläge machen. Den Grund hiervon hat er nicht angegeben.
Wir vermögen ihn auch nicht ausfindig zu machen und muthmaßen stark,
daß Gladstone nur schweigt, weil diese Frage so ungemein schwer zu lösen
ist und jeder positive Vorschlag die Gefahr mit sich bringt seine Partei zu
spalten die bisher seine Negation gutgeheißen hat. In der That lassen sich
gegen jede Lösung ernste Bedenken geltend machen. Will man die Einkünfte
nach Verhältniß unter die drei Confessionen Irlands, Katholiken, Anglicaner
und Presbyterianer vertheilen, so erheben sich dagegen sowohl die Prote¬
stanten, welche den Katholiken nicht den Löwentheil gönnen, als die katho¬
lische Geistlichkeit, die Nichts vom Staate nehmen will. Soll das Geld für
Schulen, Hospitäler:c. verwendet werden, so wirft man dagegen ein, daß
Fonds, die religiösen Zwecken gewidmet waren, nicht für weltliche Anstalten
verwendet werden sollten, daß es auch nicht gerecht sei, Localeinkünfte, wie
die der irischen Kirche es sind, allgemeinen Anstalten zuzuwenden. Die ganze



*) Die Richtigkeit der Annahme des Herrn Corresp. ist inzwischen durch die vom Obscrver
D, Red. mitgetheilte Mimsterliste (6. Dec.) bestätigt worden.
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[0445] die Verhandlungen mit Amerika würde Bright's Eintritt nicht im englischen Interesse wirken; es ist jedenfalls auffällig, daß gerade gleichzeitig mit dem Sieg der Liberalen aus Washington telegraphirt wird, Seward verlange noch gewisse Abänderungen an dem von Lord Stanley und Johnson unterzeichne¬ ten Protokollen. Sollte sich der schlaue Staatssecretär nicht vielleicht schmei¬ cheln, daß er unter dem Einfluß von Bright's Enthusiasmus für Amerika noch günstigere Bedingungen von dem neuen Cabinet erhalten könnte? All' diese Klippen würden vermieden, wenn Bright auf ein Portefeuille verzichtete; ihm selbst wird wenig daran liegen und die Partei ist seiner mächtigen Unter¬ stützung sicher auch wenn er unabhängig bleibt. Ist diese Frage beseitigt, so wird im Uebrigen die Constituirung des Ministeriums keine großen Schwierigkeiten bieten: Cardwell, Löwe, Göschen werden im Unterhaus, der Herzog von Argyll, Lord Kimberley und Granville im Oberhaus die Hauptposten nehmen*). Damit sind aber nur die Personal¬ fragen erledigt; dann wird man den sachlichen näher treten müssen. Für zwei Punkte hat sich Gladstone engagirt: wohlfeilere Verwaltung und Abschaffung der irischen Kirche. Das erstere wird ihm bei seiner Kenntniß der Finanzen keine ernsten Schwierigkeiten machen: der abyssinische Krieg ist aus, die Hin¬ terlader bezahlt, im Uebrigen wird man Flotten- und Armeebudget etwas re- duciren; daneben heben sich die Einkünfte wieder, sodaß es leicht sein wird 2—3 Mill. zu sparen. Aber um so schwieriger liegt die irische Kirchenfrage. Gladstone hat sich bis jetzt rein in der Negation gehalten: die Staatskirche soll aufhören; aber er hat noch nie gesagt, was mit ihren verfügbar werdenden Einkünften geschehen soll, er hat nur bemerkt, hierüber könne er erst als Minister Vorschläge machen. Den Grund hiervon hat er nicht angegeben. Wir vermögen ihn auch nicht ausfindig zu machen und muthmaßen stark, daß Gladstone nur schweigt, weil diese Frage so ungemein schwer zu lösen ist und jeder positive Vorschlag die Gefahr mit sich bringt seine Partei zu spalten die bisher seine Negation gutgeheißen hat. In der That lassen sich gegen jede Lösung ernste Bedenken geltend machen. Will man die Einkünfte nach Verhältniß unter die drei Confessionen Irlands, Katholiken, Anglicaner und Presbyterianer vertheilen, so erheben sich dagegen sowohl die Prote¬ stanten, welche den Katholiken nicht den Löwentheil gönnen, als die katho¬ lische Geistlichkeit, die Nichts vom Staate nehmen will. Soll das Geld für Schulen, Hospitäler:c. verwendet werden, so wirft man dagegen ein, daß Fonds, die religiösen Zwecken gewidmet waren, nicht für weltliche Anstalten verwendet werden sollten, daß es auch nicht gerecht sei, Localeinkünfte, wie die der irischen Kirche es sind, allgemeinen Anstalten zuzuwenden. Die ganze *) Die Richtigkeit der Annahme des Herrn Corresp. ist inzwischen durch die vom Obscrver D, Red. mitgetheilte Mimsterliste (6. Dec.) bestätigt worden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/445>, abgerufen am 11.02.2025.