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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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innerhalb desselben sofort auf den bequemen Fauteuils der Opposition nieder¬
zulassen. Oberitalten. Toscana und die Emilia bilden das Hauptcontingent
dieser Gruppe, in welcher noch immer der Schwerpunkt des Parlaments ruht.
Sie wird verstärkt durch die sogenannte dritte Partei, teriZv xartito, aus
etwa 20 Abgeordneten bestehend, die, früher der Linken angehörig, später eine
Mittelstellung einnahmen und jetzt der Rechten beizuzählen sind. Namentlich
am 8. August waren sie es, welche den Sieg des Ministeriums entschieden.
Dieser Uebergang einer gemäßigten Demokratie zur Partei der Regierung
ist ebenso bezeichnend als der Uebergang der hochconservativen Piemontesen
zu den Garibaldianern. Führer dieser Partei ist Mordini, das konservativ
gewordene einstige Haupt der Linken; auch an Bargoni, Correnti u. A.
besitzt sie hervorragende Talente, wie sie überhaupt eine Zukunft hat. Ihr
Organ ist der Diritto.

Endlich hat sich bei der Abstimmung vom 23. Nov. noch eine kleine
clericale Partei gezeigt, als deren Wortführer der Prof. der Philosophie in
Pisa, A. Conti, auftrat. Zu dieser Gruppe, die 8--9 Mitglieder zählt, ge¬
hört auch der bekannte Palermitaner Baron d'Ortes Reggio.

Es mag noch erwähnt sein, daß sich auch in Italien lebhaft das Be¬
dürfniß geltend gemacht hat, durch einfachere Formen aus den schleppenden,
zeitraubenden Gewohnheiten des französischen Constitutionalismus herauszu¬
kommen. Die Geschäftsordnung war in dieser Beziehung um so mangel¬
hafter, als der Italiener sich im Uebermaß gern sprechen hört und bei wich¬
tigeren Fragen wo möglich ein Jeder zum Wort kommen will, wo möglich
Jeder auch seinen besonderen Antrag stellen zu müssen glaubt. Es kommt
vor, daß ein Redner -- so Rattazzi nach Mendana -- nicht weniger als
drei Sitzungen braucht, um seine Rede zu vollenden! Solchem Drange ist
nun freilich schwer durch die Geschäftsordnung ein Damm entgegenzusetzen.
Aber immerhin ist schon dies ein Fortschritt, daß der übermäßige Zeitverlust
von allen Seiten gefühlt und anerkannt worden ist. Man hat eine Com¬
mission aus bedeutenden Mitgliedern aller Parteien niedergesetzt, die Wochen
und Monate auf das Studium der englischen Geschäftsordnung verwandt
und nach diesem Vorbild die eigene zu reformiren versucht hat. Lanza war
Vorsitzender. Massari Berichterstatter dieser Commission. Nach ihren Vor¬
schlägen sollen künftig die Wahlprüfungen nicht mehr vom Plenum des
Hauses vorgenommen werden, weil sich herausgestellt hat, daß gewöhnlich
schon diese Gelegenheit zu politischen Reden benützt und die Entscheidungen
mehr nach politischen als nach juridischen Gründen getroffen wurden. Die
Prüfung der Wahlen soll deshalb künftig einem Ausschuß von 12 Mit-
gliedern zustehen. Gerade dieser Punkt stieß aber auf lebhaften Widerspruch,
als in der ersten Sitzung die neue Geschäftsordnung en divo angenommen


innerhalb desselben sofort auf den bequemen Fauteuils der Opposition nieder¬
zulassen. Oberitalten. Toscana und die Emilia bilden das Hauptcontingent
dieser Gruppe, in welcher noch immer der Schwerpunkt des Parlaments ruht.
Sie wird verstärkt durch die sogenannte dritte Partei, teriZv xartito, aus
etwa 20 Abgeordneten bestehend, die, früher der Linken angehörig, später eine
Mittelstellung einnahmen und jetzt der Rechten beizuzählen sind. Namentlich
am 8. August waren sie es, welche den Sieg des Ministeriums entschieden.
Dieser Uebergang einer gemäßigten Demokratie zur Partei der Regierung
ist ebenso bezeichnend als der Uebergang der hochconservativen Piemontesen
zu den Garibaldianern. Führer dieser Partei ist Mordini, das konservativ
gewordene einstige Haupt der Linken; auch an Bargoni, Correnti u. A.
besitzt sie hervorragende Talente, wie sie überhaupt eine Zukunft hat. Ihr
Organ ist der Diritto.

Endlich hat sich bei der Abstimmung vom 23. Nov. noch eine kleine
clericale Partei gezeigt, als deren Wortführer der Prof. der Philosophie in
Pisa, A. Conti, auftrat. Zu dieser Gruppe, die 8—9 Mitglieder zählt, ge¬
hört auch der bekannte Palermitaner Baron d'Ortes Reggio.

Es mag noch erwähnt sein, daß sich auch in Italien lebhaft das Be¬
dürfniß geltend gemacht hat, durch einfachere Formen aus den schleppenden,
zeitraubenden Gewohnheiten des französischen Constitutionalismus herauszu¬
kommen. Die Geschäftsordnung war in dieser Beziehung um so mangel¬
hafter, als der Italiener sich im Uebermaß gern sprechen hört und bei wich¬
tigeren Fragen wo möglich ein Jeder zum Wort kommen will, wo möglich
Jeder auch seinen besonderen Antrag stellen zu müssen glaubt. Es kommt
vor, daß ein Redner — so Rattazzi nach Mendana — nicht weniger als
drei Sitzungen braucht, um seine Rede zu vollenden! Solchem Drange ist
nun freilich schwer durch die Geschäftsordnung ein Damm entgegenzusetzen.
Aber immerhin ist schon dies ein Fortschritt, daß der übermäßige Zeitverlust
von allen Seiten gefühlt und anerkannt worden ist. Man hat eine Com¬
mission aus bedeutenden Mitgliedern aller Parteien niedergesetzt, die Wochen
und Monate auf das Studium der englischen Geschäftsordnung verwandt
und nach diesem Vorbild die eigene zu reformiren versucht hat. Lanza war
Vorsitzender. Massari Berichterstatter dieser Commission. Nach ihren Vor¬
schlägen sollen künftig die Wahlprüfungen nicht mehr vom Plenum des
Hauses vorgenommen werden, weil sich herausgestellt hat, daß gewöhnlich
schon diese Gelegenheit zu politischen Reden benützt und die Entscheidungen
mehr nach politischen als nach juridischen Gründen getroffen wurden. Die
Prüfung der Wahlen soll deshalb künftig einem Ausschuß von 12 Mit-
gliedern zustehen. Gerade dieser Punkt stieß aber auf lebhaften Widerspruch,
als in der ersten Sitzung die neue Geschäftsordnung en divo angenommen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/438>, abgerufen am 05.02.2025.