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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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tat der Parteien ist. Es fehlen in der Sammlung gerade solche Briefe, aus
welche der Leser vor allen gespannt ist, nämlich die Briefe Lafarina's an den
Marchese Giorgio Pallavicino, den ehemaligen Gefangenen des Spielberg,
und an Garibaldi, die beide mit ihm zusammen eine Zeitlang den National¬
verein leiteten. Sie fehlen, weil diese beiden fanatischen Parteimänner heute
nicht mehr daran erinnert sein wollen, daß sie einst zusammengingen mit der
Nationalpartei. Sie haben die Herausgabe der an sie gerichteten Briefe
verweigert, sie haben dieselben vielleicht vernichtet; ein wahrhaft klägliches
Verfahren, womit sie sicher den Verdiensten Lafarina's Nichts entziehen, der
später von wüthendem Hasse der Garibaldianer verfolgt wurde, das vielmehr
nur wider Diejenigen spricht, welche von ihren Schmeichlern als die leben¬
dige Verkörperung strenger Heldengröße und edler Bürgertugend sich preisen
lassen. So ist das Buch, eine Erinnerung an jene Zeit begeisterten Auf¬
schwungs, zugleich ein Denkmal heutigen Parteihasses geworden.

Nicht das ist zu bedauern, daß die Parteien seitdem sich wieder geschie¬
den haben. Das lag in der Natur der Sache. Sobald die Existenz des
Vaterlands gesichert war, trat die Partei wieder in ihr Recht. Aber das muß
von den Freunden Italiens beklagt werden, daß das Parteiwesen sofort
nicht nur einen leidenschaftlichen, sondern mehr noch, einen kleinlichen und
persönlichen Charakter angenommen hat, der einen geordneten Gang der
Staatsverwaltung überaus erschwert. Vergebens fragt man nach den gro¬
ßen Principien welche die Parteien scheiden. Es ist ein ununterbrochenes
Jntriguiren zu dem einen Zweck, das jeweilige Ministerium zu stürzen und
selbst seine Stelle einzunehmen. Nie ist es ein bestimmtes Programm, sei es
in den äußeren oder in den inneren Fragen, auf deren Grund diese oder
jene Partei die Gewalt beansprucht. Es erfordert freilich wenig Witz, Er¬
sparnisse in den Ausgaben zu verlangen oder Reformen in der Verwaltung
oder eine energische Politik in der römischen Frage. Wie aber diese schönen
Dinge verwirklicht werden sollen, auf diese Frage Pflegen die kühnen Refor¬
matoren die Antwort schuldig zu bleiben. Dieser fortwährende innere Krieg,
an welchem persönliche Eitelkeit oder Ehrgeiz den größten Antheil haben, hat
bisher die Organisationsarbeiten wesentlich gehemmt.

Seit der Verlegung der Hauptstadt nach Florenz ist dazu noch ein An¬
deres gekommen: ein Wiederaufleben des Municipalgeistes, der für immer in
der siegreichen Revolution begraben schien. Nicht als ob in den Provinzen
eine Reaction gegen die Form des Einheitsstaats sich bemerklich machte. Von
einer Agitation für die Restauration der Depossedirten, von föderalistischen
Programmen ist in Italien keine Rede, der Geschmack für solche Liebhabereien
ist den Italienern ein für alle Mal vergangen. In Palermo allein regt sich
dann und wann der Geist einer trotzigen Autonomie, der an das Mittelalter


tat der Parteien ist. Es fehlen in der Sammlung gerade solche Briefe, aus
welche der Leser vor allen gespannt ist, nämlich die Briefe Lafarina's an den
Marchese Giorgio Pallavicino, den ehemaligen Gefangenen des Spielberg,
und an Garibaldi, die beide mit ihm zusammen eine Zeitlang den National¬
verein leiteten. Sie fehlen, weil diese beiden fanatischen Parteimänner heute
nicht mehr daran erinnert sein wollen, daß sie einst zusammengingen mit der
Nationalpartei. Sie haben die Herausgabe der an sie gerichteten Briefe
verweigert, sie haben dieselben vielleicht vernichtet; ein wahrhaft klägliches
Verfahren, womit sie sicher den Verdiensten Lafarina's Nichts entziehen, der
später von wüthendem Hasse der Garibaldianer verfolgt wurde, das vielmehr
nur wider Diejenigen spricht, welche von ihren Schmeichlern als die leben¬
dige Verkörperung strenger Heldengröße und edler Bürgertugend sich preisen
lassen. So ist das Buch, eine Erinnerung an jene Zeit begeisterten Auf¬
schwungs, zugleich ein Denkmal heutigen Parteihasses geworden.

Nicht das ist zu bedauern, daß die Parteien seitdem sich wieder geschie¬
den haben. Das lag in der Natur der Sache. Sobald die Existenz des
Vaterlands gesichert war, trat die Partei wieder in ihr Recht. Aber das muß
von den Freunden Italiens beklagt werden, daß das Parteiwesen sofort
nicht nur einen leidenschaftlichen, sondern mehr noch, einen kleinlichen und
persönlichen Charakter angenommen hat, der einen geordneten Gang der
Staatsverwaltung überaus erschwert. Vergebens fragt man nach den gro¬
ßen Principien welche die Parteien scheiden. Es ist ein ununterbrochenes
Jntriguiren zu dem einen Zweck, das jeweilige Ministerium zu stürzen und
selbst seine Stelle einzunehmen. Nie ist es ein bestimmtes Programm, sei es
in den äußeren oder in den inneren Fragen, auf deren Grund diese oder
jene Partei die Gewalt beansprucht. Es erfordert freilich wenig Witz, Er¬
sparnisse in den Ausgaben zu verlangen oder Reformen in der Verwaltung
oder eine energische Politik in der römischen Frage. Wie aber diese schönen
Dinge verwirklicht werden sollen, auf diese Frage Pflegen die kühnen Refor¬
matoren die Antwort schuldig zu bleiben. Dieser fortwährende innere Krieg,
an welchem persönliche Eitelkeit oder Ehrgeiz den größten Antheil haben, hat
bisher die Organisationsarbeiten wesentlich gehemmt.

Seit der Verlegung der Hauptstadt nach Florenz ist dazu noch ein An¬
deres gekommen: ein Wiederaufleben des Municipalgeistes, der für immer in
der siegreichen Revolution begraben schien. Nicht als ob in den Provinzen
eine Reaction gegen die Form des Einheitsstaats sich bemerklich machte. Von
einer Agitation für die Restauration der Depossedirten, von föderalistischen
Programmen ist in Italien keine Rede, der Geschmack für solche Liebhabereien
ist den Italienern ein für alle Mal vergangen. In Palermo allein regt sich
dann und wann der Geist einer trotzigen Autonomie, der an das Mittelalter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/432>, abgerufen am 05.02.2025.