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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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nomistischer Weise und ohne Einmischung der Centralgewalt -- mag die¬
selbe Ministerium oder Parlament heißen -- zu Stande gekommen sind.
Daß man hier provinciellen Neigungen und Gewohnheiten freies Feld ge¬
lassen und wirklich blos zugesehen hat, scheint uns von unermeßlichen Werth
zu sein. Nichts Verkehrteres hätte sich denken lassen, als wenn die provin-
cielle Selbstverwaltungsmaschine von anderen Leuten ausgestellt worden
wäre, als denen die mit ihr auszukommen haben, nichts Unwahreres und
Hohleres, als wenn man die Begründung der Selbstverwaltung auf dem
Wege der Bevormundung eingeleitet und das Selbstbestimmungsrecht der neuen
Provinzen schon in seiner Geburtsstunde namens liberaler oder conservativer
Doctrinen gekreuzt hätte.

Noch eine andere Errungenschaft ist aus der preußischen Geschichte des
letzten Monats aufzuzählen und da wir im Uebrigen an liberalen preußischen
Errungenschaften nicht besonders reich sind, darf sie nicht übergangen werden:
die parlamentarische Redefreiheit ist endlich seitens der Negierung anerkannt
worden und wenn sie nicht noch im Herrenhause auf Klippen stoßt, wird
die Wiederkehr von Processen im Stil der Laster-Tochter'schen künftig un¬
möglich sein. Mit Recht hat die liberale Partei sich gehütet, von der allend¬
lichen Anerkennung einer selbstverständlichen Forderung besondres Aufheben
zu machen -- immerhin aber ist es ^in Gewinn, daß ein Odium der pein¬
lichsten Art aus dem inneren preußischen Staatsleben ausgemerzt worden ist.

Fragen der auswärtigen Politik haben seit Begründung des norddeut¬
schen Bundes in dem Hause am Dönhofsplatz keine Stätte mehr. In der
letzten Zeit hat die preußische Diplomatie -- so weit sich über dieselbe über¬
haupt urtheilen läßt -- ruhigere Tage gehabt. Frankreich ist mit Spanien
und mit sich selbst überbeschäftigt, zumal seit es Herrn Pinard gelungen, den
todten Baudin aus dem Grabe aufzuwecken und täglich durch die Straßen
und Gerichtssäle der französischen Hauptstadt zu fuhren -- und das Verhältniß
zu Frankreich ist und bleibt, trotz aller östreichischen Ravomontaden, immer die
große und im Grunde die einzige Frage der preußisch-deutschen auswärtigen
Politik. Erst wenn in Frankreich die Kriegspartei die Oberhand gewinnt,
werden die 800,000 Soldaten, welche Herr v. Beust sich vom wiener Reichs¬
rath bewilligen ließ, waffenfähig, erst wenn Marschall Niet über die Rath¬
schläge de Moustier's und Rouher's die Oberhand gewinnt, kommt in Be¬
tracht, was man in Stuttgart, Darmstadt u. s. w. gegen die neue Ord¬
nung der deutschen Dinge plant. Bis es zu einer Entscheidung über Frank¬
reichs auswärtige Politik kommt, haben wir vom deutschen Süden Nichts
zu hoffen aber auch Nichts zu fürchten und wird unsere deutsche Politik sich
aller Wahrscheinlichkeit nach darauf beschränken können, den staws puo zu er¬
halten und darüber zu wachen, daß Preußens und des norddeutschen Bundes


nomistischer Weise und ohne Einmischung der Centralgewalt — mag die¬
selbe Ministerium oder Parlament heißen — zu Stande gekommen sind.
Daß man hier provinciellen Neigungen und Gewohnheiten freies Feld ge¬
lassen und wirklich blos zugesehen hat, scheint uns von unermeßlichen Werth
zu sein. Nichts Verkehrteres hätte sich denken lassen, als wenn die provin-
cielle Selbstverwaltungsmaschine von anderen Leuten ausgestellt worden
wäre, als denen die mit ihr auszukommen haben, nichts Unwahreres und
Hohleres, als wenn man die Begründung der Selbstverwaltung auf dem
Wege der Bevormundung eingeleitet und das Selbstbestimmungsrecht der neuen
Provinzen schon in seiner Geburtsstunde namens liberaler oder conservativer
Doctrinen gekreuzt hätte.

Noch eine andere Errungenschaft ist aus der preußischen Geschichte des
letzten Monats aufzuzählen und da wir im Uebrigen an liberalen preußischen
Errungenschaften nicht besonders reich sind, darf sie nicht übergangen werden:
die parlamentarische Redefreiheit ist endlich seitens der Negierung anerkannt
worden und wenn sie nicht noch im Herrenhause auf Klippen stoßt, wird
die Wiederkehr von Processen im Stil der Laster-Tochter'schen künftig un¬
möglich sein. Mit Recht hat die liberale Partei sich gehütet, von der allend¬
lichen Anerkennung einer selbstverständlichen Forderung besondres Aufheben
zu machen — immerhin aber ist es ^in Gewinn, daß ein Odium der pein¬
lichsten Art aus dem inneren preußischen Staatsleben ausgemerzt worden ist.

Fragen der auswärtigen Politik haben seit Begründung des norddeut¬
schen Bundes in dem Hause am Dönhofsplatz keine Stätte mehr. In der
letzten Zeit hat die preußische Diplomatie — so weit sich über dieselbe über¬
haupt urtheilen läßt — ruhigere Tage gehabt. Frankreich ist mit Spanien
und mit sich selbst überbeschäftigt, zumal seit es Herrn Pinard gelungen, den
todten Baudin aus dem Grabe aufzuwecken und täglich durch die Straßen
und Gerichtssäle der französischen Hauptstadt zu fuhren — und das Verhältniß
zu Frankreich ist und bleibt, trotz aller östreichischen Ravomontaden, immer die
große und im Grunde die einzige Frage der preußisch-deutschen auswärtigen
Politik. Erst wenn in Frankreich die Kriegspartei die Oberhand gewinnt,
werden die 800,000 Soldaten, welche Herr v. Beust sich vom wiener Reichs¬
rath bewilligen ließ, waffenfähig, erst wenn Marschall Niet über die Rath¬
schläge de Moustier's und Rouher's die Oberhand gewinnt, kommt in Be¬
tracht, was man in Stuttgart, Darmstadt u. s. w. gegen die neue Ord¬
nung der deutschen Dinge plant. Bis es zu einer Entscheidung über Frank¬
reichs auswärtige Politik kommt, haben wir vom deutschen Süden Nichts
zu hoffen aber auch Nichts zu fürchten und wird unsere deutsche Politik sich
aller Wahrscheinlichkeit nach darauf beschränken können, den staws puo zu er¬
halten und darüber zu wachen, daß Preußens und des norddeutschen Bundes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/418>, abgerufen am 07.02.2025.