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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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welche zwischen der vollzogenen Einigung des nördlichen und der künftigen
Einigung des ganzen Deutschland liegt und die wir jetzt langsam und ge¬
duldig durchwandern müssen. Mag man sagen, was man wolle: die wirk¬
liche politische Geduld ist unsere Sache nie gewesen -- was man mit ihr
verwechselte war eine Apathie, die weder geduldig noch ungeduldig, sondern
eben -- apathisch war. Es scheint, wir werden diese Geduld lernen müssen;
der wohlfeile Optimismus, der da meinte, das ungethane Stück Arbeit von
1866 werde sich von selbst einholen, hat zu gründlich Bankerott gemacht,
als daß uns Etwas übrig bliebe, als die Arbeit, die im Glänze der Sieges¬
sonne übernommen wurde, an lichtlosen Tagen fortzuführen und mit der
Spekulation auf unerwartete Glücksfälle abzuschließen.

Freilich wird diese Geduld mitunter auf harte Proben gestellt. Der
heurige preußische Landtag hat seine Thätigkeit mit der Betrachtung des hä߬
lichen Reverses der Medaille von 1866 beginnen müssen. Noch ehe die erwar¬
teten Vorlagen für Reorganisation der Kreisverwaltung aus dem ministeri¬
ellen Nebel traten, der über ihnen liegt, wurde dem Landtage ein Budget
vorgelegt, welches die Thatsache des eigentlich schon lange vorhandenen
Deficits unzweideutig eingestand. Was der Finanzminister vorbrachte, um
die Verantwortlichkeit für diese Schuld abzulehnen, erinnerte lebhaft an den
neulich herangezogenen Vergleich der norddeutschen Bundesverfassung mit
einer Maschine, die nur ihr Schöpfer zu handhaben wisse. Die Noth¬
wendigkeit ein verantwortliches Bundes-Finanzministerium herzustellen ist nie
mit solcher Deutlichkeit hervorgetreten, als während der Debatten, welche
dem v. d. Heydt'schen Nesumi über die Finanzlage und dem Laster'schen An¬
trage folgten. Daß dieser Antrag von den vereinigten Radicalen der Rech¬
ten und Linken zu Fall gebracht wurde, lieferte einen neuen Beleg dafür,
daß die alten Parteien schlechterdings außer Stande sind, ihre doetrinären
Schnürstiefel auszuziehen und gehen zu lernen. Die Laster'sche Bill war
so allgemein gehalten, ging so direct auf das Ziel los, dem widersinnigen
Confusionszustanve ein Ende zu machen, den Herr v. d. Heydt deutlich ge¬
nug eingestanden hatte, daß nur böser Wille oder Unverstand annehmen
konnten, es handele sich um ein Erbieten zur Aufbringung neuer Steuern
oder (wie die "Kreuzzeitung" nachträglich behauptete) um ein Attentat auf
die königliche Prärogative. Dieselben Leute, welche sich fortwährend auf die
altpreußische Praxis steifem, keine Ausgaben zu machen, ehe die entsprechen¬
den Einnahmen sicher gestellt worden, haben sich mit Hand und Fuß dagegen
gesträubt, diese Praxis auf den norddeutschen Bund auszudehnen: das Sy¬
stem, nach welchem der Reichstag nur die Ausgaben feststellt und die Auf¬
bringung der bezüglichen Mittel der Hauptsache nach den Einzelstaaten über¬
läßt, steht in directem Gegensatz zu der Forderung Ausgaben und Einnahmen


welche zwischen der vollzogenen Einigung des nördlichen und der künftigen
Einigung des ganzen Deutschland liegt und die wir jetzt langsam und ge¬
duldig durchwandern müssen. Mag man sagen, was man wolle: die wirk¬
liche politische Geduld ist unsere Sache nie gewesen — was man mit ihr
verwechselte war eine Apathie, die weder geduldig noch ungeduldig, sondern
eben — apathisch war. Es scheint, wir werden diese Geduld lernen müssen;
der wohlfeile Optimismus, der da meinte, das ungethane Stück Arbeit von
1866 werde sich von selbst einholen, hat zu gründlich Bankerott gemacht,
als daß uns Etwas übrig bliebe, als die Arbeit, die im Glänze der Sieges¬
sonne übernommen wurde, an lichtlosen Tagen fortzuführen und mit der
Spekulation auf unerwartete Glücksfälle abzuschließen.

Freilich wird diese Geduld mitunter auf harte Proben gestellt. Der
heurige preußische Landtag hat seine Thätigkeit mit der Betrachtung des hä߬
lichen Reverses der Medaille von 1866 beginnen müssen. Noch ehe die erwar¬
teten Vorlagen für Reorganisation der Kreisverwaltung aus dem ministeri¬
ellen Nebel traten, der über ihnen liegt, wurde dem Landtage ein Budget
vorgelegt, welches die Thatsache des eigentlich schon lange vorhandenen
Deficits unzweideutig eingestand. Was der Finanzminister vorbrachte, um
die Verantwortlichkeit für diese Schuld abzulehnen, erinnerte lebhaft an den
neulich herangezogenen Vergleich der norddeutschen Bundesverfassung mit
einer Maschine, die nur ihr Schöpfer zu handhaben wisse. Die Noth¬
wendigkeit ein verantwortliches Bundes-Finanzministerium herzustellen ist nie
mit solcher Deutlichkeit hervorgetreten, als während der Debatten, welche
dem v. d. Heydt'schen Nesumi über die Finanzlage und dem Laster'schen An¬
trage folgten. Daß dieser Antrag von den vereinigten Radicalen der Rech¬
ten und Linken zu Fall gebracht wurde, lieferte einen neuen Beleg dafür,
daß die alten Parteien schlechterdings außer Stande sind, ihre doetrinären
Schnürstiefel auszuziehen und gehen zu lernen. Die Laster'sche Bill war
so allgemein gehalten, ging so direct auf das Ziel los, dem widersinnigen
Confusionszustanve ein Ende zu machen, den Herr v. d. Heydt deutlich ge¬
nug eingestanden hatte, daß nur böser Wille oder Unverstand annehmen
konnten, es handele sich um ein Erbieten zur Aufbringung neuer Steuern
oder (wie die „Kreuzzeitung" nachträglich behauptete) um ein Attentat auf
die königliche Prärogative. Dieselben Leute, welche sich fortwährend auf die
altpreußische Praxis steifem, keine Ausgaben zu machen, ehe die entsprechen¬
den Einnahmen sicher gestellt worden, haben sich mit Hand und Fuß dagegen
gesträubt, diese Praxis auf den norddeutschen Bund auszudehnen: das Sy¬
stem, nach welchem der Reichstag nur die Ausgaben feststellt und die Auf¬
bringung der bezüglichen Mittel der Hauptsache nach den Einzelstaaten über¬
läßt, steht in directem Gegensatz zu der Forderung Ausgaben und Einnahmen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/416>, abgerufen am 05.02.2025.