Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.nossen erkennbar, welche mit strengerer Zucht, festerer Methode arbeiten, so Seit dem Jahre 1848 ist das geistige Wesen der Deutschen robuster Das Schicksal seines Jugendfreundes Devrient aber war ein anderes; nossen erkennbar, welche mit strengerer Zucht, festerer Methode arbeiten, so Seit dem Jahre 1848 ist das geistige Wesen der Deutschen robuster Das Schicksal seines Jugendfreundes Devrient aber war ein anderes; <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0414" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287686"/> <p xml:id="ID_1041" prev="#ID_1040"> nossen erkennbar, welche mit strengerer Zucht, festerer Methode arbeiten, so<lb/> an Savigny, den Grimm, an den meisten vergangenen oder alternden<lb/> Größen der Philologie, Geschichte und der Naturwissenschaft. Wohl gibt es<lb/> Ausnahmen auf jedem einzelnen Gebiete geistiger Thätigkeit und nicht die<lb/> Wissenschaft allein rühmte sich einer Kraft wie Lachmann, Aber es waren<lb/> nur einzelne festgefügte, wohlgemessene, sichere Naturen. Wenn es uns aber<lb/> > leicht wird, die Schwächen jener Zeit an den Individuen zu erschauen —<lb/> am leichtesten, wenn wir selbst in uns gegen dieselben Schwächen kämpfen<lb/> mußten — so haben wir auch bereits nach vieler Richtung Ursache, gewisse<lb/> Vorzüge jener früheren Richtung herauszuheben, die, wie es scheint, uns<lb/> seltener werden: die schöne Humanität, zarte und feine Formen des persön¬<lb/> lichen Verkehrs, die Virtuosität und das Bedürfniß, reichlich und voll von<lb/> dem eigenen Inhalt mitzutheilen, aufmerksame und verbindliche Freundlich-<lb/> keit gegen Gleichberechtigte und ehrfurchtsvolle Achtung vor jedem Talent.<lb/> Es ist wahr, die Bildung der Feinfühlenden hatte in jener Zeit Etwas von<lb/> Treibhauscultur und zu sehr bedürfte sie fremder Stützen; aber dafür war<lb/> eine sorgfältige Pflege des Humaner und eine Herzenswärme an ihnen sicht¬<lb/> bar, die wir jetzt zuweilen vermissen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1042"> Seit dem Jahre 1848 ist das geistige Wesen der Deutschen robuster<lb/> geworden, sie werden früh aus dem Schutzdach der Familie in das freie<lb/> Land versetzt, die rauhe Luft der Politik weht durch die grünenden Blätter<lb/> unseres Geschlechts. Jeder wird davon erfaßt, auch der Künstler. Ja, für<lb/> diesen sind die neuen Aufgaben unserer Zeit vielleicht übermächtig ge¬<lb/> worden und es wird ihm jetzt noch allzuschwer, Tendenz und reale Forde¬<lb/> rung, welche seiner Kunst fremd sind, von ihren Gebilden abzuhalten. Aber<lb/> mit neuen Gefahren ist auch neue Kraft gekommen, sie zu besiegen. Und es<lb/> ist eine vergebliche Frage, wenn die Sehnsucht der Freunde sie stellen will,<lb/> welche Einwirkung unsere Zeit auf den lebenden Mendelssohn gehabt hätte.<lb/> Wie sein Leben vor uns liegt, ist es selbst einem geistvoll aufgebauten und<lb/> abgeschlossenen Kunstwerk ähnlich, dessen Besonderheiten uns nicht nur das<lb/> Gepräge eines eigenthümlichen Talentes, auch das einer vergangenen Zeit<lb/> haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1043" next="#ID_1044"> Das Schicksal seines Jugendfreundes Devrient aber war ein anderes;<lb/> diesem war beschieden, noch im reifen Mannesalter die Wandlungen der Neu¬<lb/> zeit durchzumachen, in einer Stellung, welche ihm für seine Kunst schwere<lb/> Aufgaben stellte. Und wenn er die ideale Richtung der dramatischen Kunst<lb/> in einer süddeutschen Hauptstadt vertrat und dem schauenden Publicum all-<lb/> mälig ein Kunstbedürfniß gab, welches sich nicht mehr in wiener Possen und<lb/> französischer Leichtfertigkeit befriedigte, so wurde seine Thätigkeit für uns auch</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0414]
nossen erkennbar, welche mit strengerer Zucht, festerer Methode arbeiten, so
an Savigny, den Grimm, an den meisten vergangenen oder alternden
Größen der Philologie, Geschichte und der Naturwissenschaft. Wohl gibt es
Ausnahmen auf jedem einzelnen Gebiete geistiger Thätigkeit und nicht die
Wissenschaft allein rühmte sich einer Kraft wie Lachmann, Aber es waren
nur einzelne festgefügte, wohlgemessene, sichere Naturen. Wenn es uns aber
> leicht wird, die Schwächen jener Zeit an den Individuen zu erschauen —
am leichtesten, wenn wir selbst in uns gegen dieselben Schwächen kämpfen
mußten — so haben wir auch bereits nach vieler Richtung Ursache, gewisse
Vorzüge jener früheren Richtung herauszuheben, die, wie es scheint, uns
seltener werden: die schöne Humanität, zarte und feine Formen des persön¬
lichen Verkehrs, die Virtuosität und das Bedürfniß, reichlich und voll von
dem eigenen Inhalt mitzutheilen, aufmerksame und verbindliche Freundlich-
keit gegen Gleichberechtigte und ehrfurchtsvolle Achtung vor jedem Talent.
Es ist wahr, die Bildung der Feinfühlenden hatte in jener Zeit Etwas von
Treibhauscultur und zu sehr bedürfte sie fremder Stützen; aber dafür war
eine sorgfältige Pflege des Humaner und eine Herzenswärme an ihnen sicht¬
bar, die wir jetzt zuweilen vermissen.
Seit dem Jahre 1848 ist das geistige Wesen der Deutschen robuster
geworden, sie werden früh aus dem Schutzdach der Familie in das freie
Land versetzt, die rauhe Luft der Politik weht durch die grünenden Blätter
unseres Geschlechts. Jeder wird davon erfaßt, auch der Künstler. Ja, für
diesen sind die neuen Aufgaben unserer Zeit vielleicht übermächtig ge¬
worden und es wird ihm jetzt noch allzuschwer, Tendenz und reale Forde¬
rung, welche seiner Kunst fremd sind, von ihren Gebilden abzuhalten. Aber
mit neuen Gefahren ist auch neue Kraft gekommen, sie zu besiegen. Und es
ist eine vergebliche Frage, wenn die Sehnsucht der Freunde sie stellen will,
welche Einwirkung unsere Zeit auf den lebenden Mendelssohn gehabt hätte.
Wie sein Leben vor uns liegt, ist es selbst einem geistvoll aufgebauten und
abgeschlossenen Kunstwerk ähnlich, dessen Besonderheiten uns nicht nur das
Gepräge eines eigenthümlichen Talentes, auch das einer vergangenen Zeit
haben.
Das Schicksal seines Jugendfreundes Devrient aber war ein anderes;
diesem war beschieden, noch im reifen Mannesalter die Wandlungen der Neu¬
zeit durchzumachen, in einer Stellung, welche ihm für seine Kunst schwere
Aufgaben stellte. Und wenn er die ideale Richtung der dramatischen Kunst
in einer süddeutschen Hauptstadt vertrat und dem schauenden Publicum all-
mälig ein Kunstbedürfniß gab, welches sich nicht mehr in wiener Possen und
französischer Leichtfertigkeit befriedigte, so wurde seine Thätigkeit für uns auch
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